Der Standard

Kabeljau-Koffein statt Red Bull

Das Rad können die Isländer vielleicht nicht neu erfinden, in der Fischindus­trie wollen sie es zumindest versuchen. Wie Fischabfal­l zu Energydrin­ks, Lachsleder und medizinisc­hen Produkten wird, ist am Hafen von Reykjavík zu sehen.

- REPORTAGE: Julia Beirer Die Reise erfolgte auf Einladung des Bundeskanz­leramts.

Faulig stechender Geruch – wer an Fischreste denkt, hat unmittelba­r einen beißenden Gestank in der Nase. Im Iceland Ocean Cluster am Hafen von Reykjavík haben allerdings auch besonders feine Nasen nichts zu befürchten.

Ganz im Gegenteil. Im Erdgeschoß verbreiten Imbissstän­de mit ihrem gebratenen Kabeljau, Lachs und Schellfisc­h köstlichen Duft. Einen Stock höher verarbeite­n Start-ups und etablierte Firmen die weniger schmackhaf­ten Reste von der Flosse bis zur Schuppe. Sie fertigen daraus Lachsleder, Energydrin­ks und Gesichtscr­emen mit Kabeljau-Kollagen.

Um das, was sich im Inneren abspielt, nach außen widerzuspi­egeln, sind Köche und Unternehme­r in einen ehemaligen Schiffscon­tainer gezogen. Darin ist auch die Einrichtun­g eine wilde Resteansam­mlung aus dem Meer.

Von der Decke etwa leuchten Lampen, gefertigt aus Bojen, ein ausgehöhlt­er Kabeljau wird zum Lampenschi­rm, die Glühbirne ist in dessen Bauch. „Wir machen hier alles aus Fisch, was man sich nicht vorstellen kann“, sagt Alexandra Leeper, Head of Research and Innovation im Iceland Ocean Cluster.

Mode statt Müll

Sie marschiert durch den Gang zwischen den Büros. An deren Glaswänden bieten Wellenlini­en Sichtschut­z. Rund 70 Firmen sind eingemiete­t. Die Idee des Iceland Ocean Cluster sei, die Fischindus­trie, die häufig ob ihrer Umweltausw­irkungen in der Kritik steht, nachhaltig­er zu gestalten und innovative Businessmo­delle zu forcieren.

Dabei sollen Gemeinscha­ftsräume im Schiffscon­tainer und ein Kaffeemasc­hinenverbo­t in den Büros helfen. Gespräche entstehen also in der Küche. Jeden Freitag frühstücke­n alle gemeinsam. Das habe dazu geführt, dass über 70 Prozent der Unternehme­n in den vergangene­n zwei Jahren kollaborie­rt haben.

Gelungene Projekte werden in den Gemeinscha­ftsräumen präsentier­t, wie etwa ein Hemd aus Lachshaut. Das Material fühlt sich weich

an. Sorgen bezüglich anhaftende­n Fischgeruc­hs sind laut Leeper unbegründe­t. Kuhleder rieche schließlic­h auch nicht nach Kuhstall.

„Wir verwenden alles, von Köpfen über Häute und Knochen bis hin zu den Innereien der Fische“, sagt Leeper und deutet auf einen voll geräumten Tisch. Darauf zu sehen: Kabeljau-, Tilapia- und Lachsleder, ver

arbeitet zu Geldtasche­n, Brillenetu­is und Hausschuhe­n; ein getrocknet­er Fischschäd­el, der zu Granulat gerieben und als Gewürz nach Nigeria verschifft wird; biomedizin­ische Produkte gegen Diabetes, Verbrennun­gen und Erkältunge­n. Daneben steht eine Packung FishJerkey und zum Runterspül­en ein Energydrin­k mit dem Namen Collab.

Darin enthaltene­s Kollagen und Koffein stammen vom Kabeljau. Laut Leeper hätten dessen Verkaufsza­hlen in Island sogar Red Bull überboten.

Die isländisch­e Marine-Industrie verarbeite bis zu 90 Prozent des Fischs. In anderen Ländern liege der Durchschni­tt zwischen 45 und 55 Prozent. Um auch junge Menschen zu motivieren, ihre Ideen umzusetzen, wurde das Programm Ocean Academy gegründet. Schülerinn­en und Schüler im Alter zwischen 16 und 20 Jahren bekommen Raum und Unterstütz­ung beim Erstellen von Prototypen.

Entstanden sind Schokolade und Energydrin­ks mit Marine-Kollagen, gewonnen aus Fischhaut, sowie Hundelecke­rli aus Lachsteile­n und Fischnetz-Handtasche­n.

Neben der Verwertung von Fischabfal­l wollen sich die Unternehme­n im Iceland Ocean Cluster einem nachhaltig­en Ansatz des industrial­isierten

250.000 t Kabeljau werden jährlich von isländisch­en Fischern gefangen.

Fischens widmen. Naturschut­zorganisat­ionen wie etwa WWF und Greenpeace warnen seit Jahren vor einer Überfischu­ng der Meere und fordern strengere Fischfangq­uoten.

In Island existiere diese bereits teilweise. Für Kabeljau beispielsw­eise gelte eine Begrenzung von 250.000 Tonnen pro Jahr. Der gesamte Fischfang des Landes ist im Vergleich zum Vorjahr aber trotzdem um 34 Prozent gestiegen.

Neben Aluminium ist die Fischindus­trie einer der wichtigste­n Exportzwei­ge Islands. Dass der Exportwert trotz der Regulierun­g nicht sinkt, liege auch an der Vermarktun­g der neuen Produkte, so Leeper.

An einer CO2-freien Lösung für Schiffe tüftelt ein Architektu­rbüro im Haus. Die Schiffe sollen künftig leichter, effiziente­r und nachhaltig­er gebaut werden. Das inkludiert den Einsatz von Elektromot­oren, Solarenerg­ie und Geothermie.

Letztere wird durch Bohrungen in Vulkangest­ein gewonnen, dabei wird Schwefel ausgestoße­n. Auch hier ist die Sorge einer Stinkbombe unbegründe­t. Den Geruch von faulen Eiern verweht der Wind in Island sehr schnell.

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Im Iceland Ocean Cluster direkt am Hafen von Reykjavík präsentier­en Unternehme­n Produkte, die sie aus Fischabfal­l hergestell­t haben. Darunter Hausschuhe, Brillenetu­is und Gesichtscr­emen.

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