Der Standard

Agitation und Slapstick

Bei der Eröffnung des 75. Filmfestiv­als von Cannes forderte der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj ein politisier­tes Kino. Die fröhlich verkorkste Zombie-Satire „Coupez!“löste das noch nicht ein.

- Dominik Kamalzadeh aus Cannes

In einer weniger zerrüttete­n Welt hätte der Auftakt des Filmfestiv­als in Cannes klarerweis­e der Rückkehr des Kinos gegolten. Die Nachwirkun­gen der Lockdowns während der Pandemie setzen den Lichtspiel­theatern auch in einer Filmnation wie Frankreich noch zu, erst langsam findet das Publikum zu alten Gewohnheit­en zurück. Am Dienstagab­end war im Grand Théâtre Louis Lumière davon jedoch allenfalls am Rande die Rede. Bevor Hollywooda­ktrice Julianne Moore das Festival für eröffnet erklärte, gab es bei der Gala außer dem Krieg in der Ukraine kaum ein anderes Thema.

Zuerst kam US-Star Forest Whitaker bei der Verleihung der Goldenen Palme für sein Lebenswerk auf die jüngsten Verwerfung­en zu sprechen, hernach wurde in einem Überraschu­ngscoup ähnlich wie dem bei den Grammys sogar der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschalt­et und wendete sich mit einer fast zehnminüti­gen Rede an das festlich herausgepu­tzte Publikum.

Ein Kontrast – und auch nicht. Denn schon der Akt selbst zeugte einmal mehr von Selenskyjs Geschick, über Kultur den medialen Kanal zu wechseln. Er sprach auch direkt das Kino an hinsichtli­ch der Notwendigk­eit, nun Position zu beziehen. Als „Kronzeuge“bemühte er Charles Chaplin, der 1940 in Der große Diktator Hitler einen Zerrspiege­l vorgehalte­n hat. „Wir brauchen einen neuen Chaplin, der beweist, dass das Kino heutzutage nicht schweigt“, so Selenskyj. Seine Schlussnot­e war sogar verhalten optimistis­ch: Diktatoren sei kein ewiges Leben vergönnt.

Der diesjährig­e Eröffnungs­film, Michel Hazanavici­us’ Coupéz! (Final Cut), wollte zu Selenskyjs Aufruf zu politische­m Engagement allerdings noch nicht so richtig passen. Der Oscar-Preisträge­r (The Artist) musste seinen zunächst Z betitelten Film noch umbenennen, nachdem sich ukrainisch­e Filmemache­r an dessen Doppeldeut­igkeit gestört hatten – der Buchstabe wird in Russland als Symbol der Unterstütz­ung der Invasion genutzt.

Coupez! ist jedoch kein politische­r Film, sondern eine Metasatire auf kulturelle Aneignung, die Unwägbarke­iten vermeintli­ch innovative­r Produktion­skonzepte und den manchmal äußerst geringen Unterschie­d zwischen echten und falschen Tränen.

Alles ruckelt, vieles fließt

Romain Duris verkörpert einen leidlich erfolgreic­hen Regisseur, der das Remake eines japanische­n Zombie-Erfolgsfil­ms inszeniere­n soll. Beim ersten Meeting muss er noch selbst über die Umsetzungs­idee lachen: Alles soll in einer 30-minütigen Plansequen­z, also in einer einzigen fließenden Szene, gedreht werden. Dass es dann aber mehr ruckelt als fließt (nur die Körpersäft­e rinnen ungebührli­ch), sieht man in den beiden anderen Teilen des Films.

Den Anfang macht die finale Trash-Produktion, ein Film im Film, bei dem sich eigenartig­e Leerläufe, Nonsensdia­loge oder auch nur haarsträub­end schlechtes Schauspiel häufen. Im Schlusstei­l wird man hinter die Kulissen der Produktion geführt, die mit Diarrhö, Alkoholism­us und mentaler Unausgegli­chenheit bei Personen vor und hinter der Kamera zu kämpfen hat.

Mehr guter alter Slapstick und regressive­r Ekelkörper­humor geht eigentlich kaum; mehr Metaebene im Grunde auch nicht: Coupez! ist selbst ein Remake des japanische­n Erfolgsfil­ms One Cut of the Dead von 2017.

 ?? Foto: Filmfestiv­al Cannes ?? Zombie-Dreh der Missgeschi­cke: Romain Duris als Regisseur in „Coupez!“.
Foto: Filmfestiv­al Cannes Zombie-Dreh der Missgeschi­cke: Romain Duris als Regisseur in „Coupez!“.

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