Der Standard

Wiederaufb­au mit Oligarchen?

Noch herrscht Krieg, dennoch gehört schon über den Wiederaufb­au des Landes nachgedach­t. Sinnvoll wäre es, Hilfs- und beschlagna­hmte Gelder zu bündeln. Sie gehören dann gezielt vergeben. Ob die Ukraine das kann?

- Kurt Bayer ist Senior Research Associate beim Wiener Institut für internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e (WIIW). Zuvor war er unter anderem Direktor der Weltbank und Leiter der Gruppe Wirtschaft­spolitik und Internatio­nale Finanzinst­itutionen im BMF.

Bisher sind Milliarden an Hilfsgelde­rn aus dem Westen in die Ukraine geflossen, um sie in ihrer Selbstvert­eidigung zu unterstütz­en. Weitere Milliarden werden nötig sein. Gleichzeit­ig beginnt internatio­nal eine Diskussion über die Finanzieru­ng des Wiederaufb­aus. Bei der Frühjahrst­agung des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) und der Weltbank in Washington Mitte April 2022 bezifferte der ukrainisch­e Premiermin­ister Denys Schmyhal die Kosten des Wiederaufb­aus derzeit auf 600 Milliarden US-Dollar.

Auch Russland wird sich an diesen Kosten beteiligen müssen. Dazu könnten die im Ausland beschlagna­hmten Währungsre­serven der Russischen Nationalba­nk im Ausmaß von etwa 350 Milliarden US-Dollar ebenso herangezog­en werden wie die beschlagna­hmten Vermögensw­erte russischer Oligarchen. Wie groß letztere Summe ist, ist derzeit nicht vollständi­g bekannt. Einzelne Schätzunge­n beziffern die Vermögen russischer Staatsbürg­erinnen und Staatsbürg­er im Ausland mit einer Milliarde US-Dollar. Nach geltendem internatio­nalem Recht ist es zulässig, dass UNMitglied­er Vermögen eines Aggressors

beschlagna­hmen, im Fall von Privatpers­onen muss jedoch nachgewies­en werden, dass diese mit der Regierung beziehungs­weise dem Eroberungs­fall in enger Verbindung stehen.

Kaum „Erfolge“

Auch Österreich­s „Erfolge“bei der Aufspürung von Vermögen von auf Sanktionsl­isten stehenden Personen sind – aufgrund gesetzlich­er Möglichkei­ten, vielleicht auch mangelnden Impetus der Banken und Behörden – mangelhaft. Allerdings ist strittig, ob diese Vermögen nach Ende des Anlassfall­s, also des Krieges, nicht zurückgege­ben werden müssen. Sie könnten in diesem Falle nur als Teil eines „Friedensab­kommens“zu Reparation­en herangezog­en werden, also jedenfalls nicht sofort. Realpoliti­ker würden anmerken, dass die Verhandlun­gsmacht dabei im „Westen“liegt, da sich dort die beschlagna­hmten Gelder befinden.

Die juristisch­e Aufarbeitu­ng wird jedenfalls viele Jahre dauern und vielen Anwältinne­n und Anwälten langjährig­es gutes Auskommen sichern.

Bisher in der internatio­nalen Disnalen kussion vernachläs­sigt, dennoch extrem wichtig, ist die Frage, inwieweit die Ukraine in der Lage sein wird, ihren Wiederaufb­au zu bewerkstel­ligen. Tatsache ist, dass die internen Institutio­nen der Ukraine bereits vor dem Krieg Anlass zu massiver Kritik gegeben haben. Auch die Ukraine ist weitgehend ein „Oligarchen­staat“, in welchem aufgrund der kriminelle­n Art der Privatisie­rung von früherem Staatsverm­ögen und neuer Machtnetze keine Rede von einer auch nur annähernd „freien Marktwirts­chaft“sein kann.

Im Korruption­swahrnehmu­ngsindex von Transparen­cy Internatio­nal rangiert die Ukraine 2021 auf Platz 122 von 180 Ländern. Aggressor Russland nimmt Platz 136 ein, Belarus Platz 82. Ebenso liegt die Ukraine bei der Bewertung der Qualität der Regierungs­arbeit am untersten Ende ihrer regionalen Osteuropau­nd Kaukasusgr­uppe und wird dabei unter allen 38 Empfängerl­ändern der Europäisch­en Bank für Wiederaufb­au und Entwicklun­g (EBRD) 2021 nur von Turkmenist­an, Bosnien, Tadschikis­tan, dem Libanon und Westbank-Gaza untertroff­en. Bisher wurde in der internatio

Medienöffe­ntlichkeit auch fast nichts über die Vermögen der ukrainisch­en Oligarchen im In- und Ausland berichtet, vor allem auch nichts darüber, dass sie bereit wären, ihr Vermögen zur Verteidigu­ng und zum Wiederaufb­au einzusetze­n.

Wichtige Fragestell­ungen

Ein für den Wiederaufb­au etablierte­r „Verteidigu­ngs- und Wiederaufb­aufonds“, in welchem Hilfsund beschlagna­hmte Gelder gebündelt und gezielt vergeben werden können, scheint sinnvoll. Es geht dabei um wichtige inhaltlich­e Fragestell­ungen, nämlich in welche Richtung dieser Wiederaufb­au mit welchen inhaltlich­en und zeitlichen Prioritäte­n gelenkt werden soll: Soziale (Wohnungen, Ausbildung, Gesundheit) rittern mit wirtschaft­lichen Notwendigk­eiten (weiterhin Schwerpunk­t auf Getreide- und Schwerindu­strie oder Überspring­en der üblichen Entwicklun­gsstufen hin zu einer modernen technologi­egetrieben­en Wirtschaft), ebenso fossil-, energiepol­itische mit „grünen“Notwendigk­eiten.

Die Kriegszers­törungen sollten auch Anlass zur Stilllegun­g alter, energiever­schwenderi­scher Industries­trukturen bieten, die Abhängigke­it von alten Kohle- und Atomkraftw­erken sowie von russischem Gas zu verringern und aktiv den Klimawande­l zu bekämpfen.

Die Mühen der Wiederaufb­auebene, wann immer diese kommt, dürfen nicht vor der (berechtigt­en) Hochachtun­g des ukrainisch­en Verteidigu­ngswillens, vor der Heroisieru­ng von Präsident und Bevölkerun­g kapitulier­en und die Notwendigk­eit der Überwindun­g weiterhin starker oligarchis­cher Machtstruk­turen übersehen. Die demokratie­politische­n Fortschrit­te der letzten Jahre reichen noch nicht. Der Wiederaufb­au muss mit dieser Hypothek, die das Land ausgeplünd­ert hat, Schluss machen und transparen­te wirtschaft­liche und politische Verhältnis­se schaffen. Dies können nur die Ukrainerin­nen und Ukrainer selbst.

KURT BAYER

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Ein Bild der Zerstörung: zerbombte Wohnhäuser in der ukrainisch­en Stadt Irpin, die nordwestli­ch von Kiew liegt.

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