Alexander Van der Bellen
Schuldumkehr auf der Krim
Er habe sich in Wladimir Putin getäuscht, sagt der Bundespräsident seit dem russischen Überfall auf die Ukraine immer wieder. „Ich habe absolut nicht damit gerechnet, dass Putin die Ukraine als russische Provinz sieht und mit sämtlichen internationalen Regeln bricht, um einen grausamen Angriffskrieg zu führen“, erklärte Van der Bellen zuletzt im STANDARD-Interview.
Ein Hinweis auf Putins Skrupellosigkeit hätte die Annexion der Krim sein können. Diese analysierte Van der Bellen 2015 im Buch Die Kunst der Freiheit mit erstaunlich viel Verständnis für die russische Aggression – und der Klage darüber, dass dieses Verständnis in vielen Leitartikeln österreichischer Medien fehle:
„Kaum wo wird da die Position vertreten, dass die Annexion der Krim im März 2014 auch eine Vorgeschichte hatte, nämlich verantwortungsloses Gerede von einem Nato-Beitritt der Ukraine, womit Russland vom Schwarzen Meer praktisch abgeschnitten gewesen wäre. Glaubte wirklich jemand, Wladimir Putin würde dem tatenlos zusehen? Wer Kritik an der ukrainischen Regierung übt, wird sofort als ‚Putin-Versteher‘ abgestempelt. Gerät auch die Unabhängigkeit der Meinungsbildner ins Wanken? Ist aus der Pressefreiheit, die sich durch eine Vielfalt an Meinungen auszeichnen sollte, eine freiwillige Gleichschaltung der Medien geworden?“
Eine ebenfalls erstaunliche Position nimmt Van der Bellen in Bezug auf sexistische Werbung (und das geforderte Verbot davon) ein:
„Offenkundig gibt es nicht nur einzelne Leute, sondern ganze Gruppen, die sich durch Plakate mit mehr oder weniger entblößten Frauen beleidigt fühlen. Vielleicht fehlt das Pendant: entblößte Männer. Ich hätte gedacht: It’s a free country! Man sollte sexuelle Anspielungen und erotische Chiffren unter Erwachsenen nicht so ernst nehmen.“
Dass er mit solchen Aussagen potenzielle Wählerinnen und Wähler eher verschrecken könnte, scheint dem späteren Bundespräsidenten angesichts des folgenden Satzes im Vorwort zum Buch klar gewesen zu sein:
„Der Text ist (...) nicht das Programm eines allfälligen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten; vielmehr geht es um Fragen, mit denen jede Bürgerin, jeder Bürger hin und wieder konfrontiert ist.“