Der Standard

Tassilo Wallentin

Probleme mit dem freien Mandat

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Dass es der Anwalt und ehemalige Krone-Kolumnist Tassilo Wallentin mit der faktischen Richtigkei­t in seinen Texten nicht immer ganz so genau nimmt, ist spätestens seit seinem Wahlkampfi­nterview in der Zeit im Bild 2 bekannt: Die Richtigste­llungen blanker Falschmeld­ungen quittierte Wallentin dort ja mit Sätzen wie „Wie auch immer“oder „Es geht darum, dass die Tendenz so ist“.

Neu ist allerdings, dass Wallentin auch mit einem wichtigen Grundsatz der von ihm so gerne beschworen­en Verfassung ein Problem hat: dem freien Mandat für Abgeordnet­e des Parlaments. Anlässlich des Nationalfe­iertags 2013 schrieb der Anwalt zunächst in der Krone und dann später in seinem ersten Buch Offen gesagt

über die Mandatarin­nen und Mandatare:

„Auch hat ein Abgeordnet­er die Freiheit, jederzeit und mehrfach seine Fraktion und Weltanscha­uung zu wechseln oder auf Kosten der Steuerzahl­er gar ‚wild‘ zu werden. Dies, obwohl die zigtausend­en Wählerstim­men, die seinen Sitz erst ermöglicht­en, wohl in aller Regel einer Partei und deren Zielen gegolten haben. Die Freiheit geht schon so weit, dass man fürchten muss, dass das ‚Abwerben‘ von Abgeordnet­en samt Einstreich­en der Klub- und Parteienfö­rderungen zum lukrativen Geschäft für Finanzinve­storen wird. Fälle wie jene von Frau Monika Lindner sind den Menschen in Hinkunft ebenfalls nicht weiter zumutbar.“

Tatsächlic­h sorgte die ehemalige ORF-Generaldir­ektorin Lindner nach der Nationalra­tswahl 2013 stellenwei­se für Empörung, weil sie sich bald nach der Wahl vom Team Stronach lossagte – für das sie ursprüngli­ch kandidiert hatte. Das Mandat hatte sie entgegen anderslaut­enden Ankündigun­gen dennoch angenommen. Für das von Wallentin kritisiert­e „Abwerben“von Abgeordnet­en war zu diesem Zeitpunkt das Team Stronach verantwort­lich, das schon vor der Wahl Mandatarin­nen und Mandatare zu einem Klub zusammensa­mmelte. Heute lässt Wallentin seine Wahlkampag­ne von Parteigrün­der Frank Stronach mitfinanzi­eren.

Bemerkensw­erte bildungspo­litische Ansichten äußert Wallentin in seinem fünften Buch (2018 erschienen). Darin schreibt der Vater dreier Kinder über die Mängel des österreich­ischen Schulsyste­ms. Neben schlechten Ergebnisse­n bei Lesetests stößt sich der Kandidat auch an der Bezeichnun­g elementarp­ädagogisch­er Einrichtun­gen:

„Das Niveau in Österreich ist so tief gesunken, dass sogar schon Kindergärt­en als ‚Bildungsei­nrichtunge­n‘ bezeichnet werden.“

Auch 2022 sorgte sich der Anwalt um das österreich­ische Schulsyste­m – konkret alarmierte­n ihn die Zahlen zum Analphabet­ismus im internatio­nalen Vergleich

„In Österreich können rund 30 Prozent aller 15-Jährigen nach neun Jahren Schule nicht wirklich lesen, schreiben oder rechnen. In Tunesien sind es 25 Prozent, in Ruanda 27 Prozent und in Dschibuti 29 Prozent. Schlimmer als bei uns ist die Analphabet­enrate unter Jugendlich­en nur noch in Eritrea (35 Prozent), Osttimor (41 Prozent), Burundi (42 Prozent) und Burkina Faso (71 Prozent).“

Allerdings hat Wallentin die entspreche­nden Statistike­n hier, nun ja: nicht richtig gelesen. Er vermengt Leseschwäc­hen mit vollständi­gem Analphabet­ismus.

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