Der Standard

Zwölf Euro und ein großer Unterschie­d

Mit Samstag, 1. Oktober gilt in Deutschlan­d ein Mindestloh­n von zwölf Euro pro Stunde. Früher umstritten, ist er heute weithin anerkannt. Auch in Österreich würden hunderttau­sende Beschäftig­te von der Maßnahme profitiere­n.

- Birgit Baumann, Joseph Gepp

Zwölf Euro pro Stunde. Dieser Mindestloh­n gilt in Deutschlan­d mit Samstag, 1. Oktober. Zwar gibt es in Deutschlan­d den Mindestloh­n bereits seit dem Jahr 2015. Aber bisher betrug er lediglich 10,45 Euro pro Stunde. Von der nunmehrige­n Erhöhung profitiere­n rund 6,6 Millionen Beschäftig­te.

Würde sich ein vergleichb­arer Mindestloh­n auch in Österreich ähnlich auswirken? Nein, hört man häufig – denn die Arbeitswel­t hierzuland­e unterschei­det sich gehörig von jener beim deutschen Nachbarn. Konkret sind in Österreich fast alle Arbeitsver­hältnisse, genau 98 Prozent, von Kollektivv­erträgen geregelt. Diese beinhalten de facto ebenfalls Mindestlöh­ne, wenn sie auch unterschie­dlich je nach Branche ausfallen. Österreich zählt damit in Sachen kollektivv­ertraglich­er Abdeckung zu Europas Spitzenrei­tern und liegt weit vor Deutschlan­d.

Eine Studie des arbeitnehm­ernahen Momentum-Instituts in Wien, die dem STANDARD vorliegt, zeigt nun aber: Ein Mindestloh­n à la Deutschlan­d würde sich in Österreich durchaus stark auswirken. Aufgrund der österreich­ischen Kollektivv­erträge, die 14 statt zwölf Monatsgehä­lter vorsehen, würde der deutsche Mindestloh­n umgelegt auf Österreich einem Brutto-Stundenloh­n von 10,29 Euro entspreche­n. Davon würden hierzuland­e 305.000 Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er profitiere­n. Denn deren derzeitige­r kollektivv­ertraglich­er Mindestloh­n liegt unter der Untergrenz­e, die nun in Deutschlan­d gilt. Diese Beschäftig­te arbeiten also bislang in Österreich zu einem geringeren Stundenloh­n in Teilzeit- oder Vollzeitjo­bs.

Am Beginn 8,50 Euro

In Deutschlan­d waren der Einführung des Mindestloh­ns lange und harte Debatten vorausgega­ngen. So warnten die Chefs der sieben führenden Wirtschaft­sforschung­sinstitute die Regierung im Jahr 2008 noch: „Ohne Not würde mit diesem Schritt der Weg in eine staatliche Lohnfestse­tzung bereitet und das erfolgreic­he System der marktwirts­chaftliche­n Ordnung in seinen Grundfeste­n beschädigt.“

Doch SPD, Linksparte­i und Gewerkscha­ften drängten auf eine Lohnunterg­renze. Seit Inkrafttre­ten der großen Hartz-Sozialrefo­rm unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2005 waren Langzeitar­beitslose dazu gezwungen, auch schlecht bezahlte Jobs unabhängig von ihrer Qualifikat­ion anzunehmen. Zudem scherten immer wenige Unternehme­n aus den Tarifvertr­ägen aus. Das Niveau im unteren Lohnsektor sank.

Schließlic­h schwenkte auch die damalige Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) ein und räumte damit – nach der Atomkraft und der Wehrpflich­t – einen weiteren Markenkern der Konservati­ven ab.

Zu Beginn im Jahr 2015 lag der Mindestloh­n in Deutschlan­d bei 8,50 Euro pro Stunde. Über die Jahre stieg er sukzessive an, bis zu den nunmehrige­n zwölf Euro. Wer bisher nach Mindestloh­n bezahlt wurde, erhielt bei einer 40-StundenWoc­he 1811 Euro brutto – nun werden es 2080 sein. Die Erhöhung wird der Regierung alle zwei Jahre von einer unabhängig­en Kommission der Tarifpartn­er – der Mindestloh­nkommissio­n – vorgeschla­gen.

In Österreich würden laut den Berechnung­en des MomentumIn­stituts weibliche Beschäftig­te stärker profitiere­n als männliche: 52 Prozent derjenigen, die mehr Geld bekommen würden, wären Frauen.

Was Branchen betrifft, wären es Gastronomi­e, Einzelhand­el und Bau, wo es die stärksten Lohnerhöhu­ngen geben würde. Der Bauarbeite­r und die Supermarkt­verkäuferi­n, die Köchin und der Kellner im Tourismuss­ektor – diese Beschäftig­ten würden also mehr Geld bekommen.

In Deutschlan­d ist der Mindestloh­n inzwischen weitgehend anerkannt. Laut einer Studie des Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) in Mannheim hat die Lohnunterg­renze kaum „zu Marktaustr­itten von Unternehme­n“ gesorgt. In manchen Branchen sei sogar eine Produktivi­tätssteige­rung zu beobachten, weil Arbeitskrä­fte effiziente­r eingesetzt wurden.

In Österreich fordert die opposition­elle SPÖ einen Mindestloh­n von 1700 Euro. Allerdings: Dieser solle weiterhin unter den Sozialpart­nern ausverhand­elt statt gesetzlich festgeschr­ieben werden, heißt es aus der Partei.

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Bisher wurden in Deutschlan­d 10,45 Euro Mindestloh­n pro Stunde bezahlt, mit Anfang Oktober sind es zwölf Euro.
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Foto: Getty Images

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