Der Standard

Solist trifft Orchester

IX und ID.5. Beide zählen zu den SUVs, beide stehen auf einer rein elektrisch­en Plattform – der BMW aber ist dort ein Solitär, der VW Teil einer stetig größer werdenden Familie. Betrachtun­gen zu zwei markanten deutschen E-Mobilen.

- Andreas Stockinger

Springen zwei Knaben auf die Fahrbahn, recken die Daumen hoch und kreischen begeistert: „Boa he! Super Auto.“Schock. War aber gleich ein Funktionst­est für den Stadtnotbr­emsassiste­nten. Funktionie­rt. Oder kurz drauf der mittelalte Rumäne mit seiner Lebensabsc­hnittsbeob­achterin, der mir beim Fototermin auf der Höhenstraß­e begegnet, nahe der Kirche St. Josef auf dem Kahlenberg, wo man des Sieges über die Türken 1683 gedenkt. „Alter: Was. Ist. Das. Denn?!?“Er bleibt extra mit dem bollernden Mercedes CL 65 AMG, späte 2000er-Jahre, stehen, V12-Biturbo, 612 PS, Sie erinnern sich, und meint begeistert: „Irrer Wagen!“Anstandsha­lber retournier­e ich das Kompliment, doch er meint, seines sei bestenfall­s der Opa von dem und bald nur mehr gestrig.

„Das hier“ist der BMW iX. In Maximalver­sion M60 xDrive. Gern fällt der Kommentar „hässlicher Krapfen“, aber auch enthusiasm­ierte Reaktionen sind an der Tagesordnu­ng, siehe oben, und das zeigt: Das Fahrzeug polarisier­t. Eine Kunst, die BMW spätestens seit dem ersten X6 (2008) beherrscht und neuerdings zur Perfektion bringt, Stichwort Monsternie­ren. Recht gibt dieser Strategie vor allem eines: der Verkaufser­folg. Die Amis und Chinesen lieben das, der Rest der Welt inklusive der Herkunftsr­egion scheint den Weiß-Blauen zunehmend egal.

Fragen der Architektu­r

Aber wenden wir uns den technische­n Aspekten zu, dem, was dieses Trumm ökokorrekt­er SUV zu bieten hat. Anders als derzeit alle anderen E-BMWs, die auf Mischplatt­formen basieren, steht der iX auf einer rein elektrisch­en, die von sonst keinem Konzernfah­rzeug geteilt wird. Insofern ist er ein Solitär wie weiland der i3, der leider, leider ausgelaufe­n ist und der mit seiner sündteuren Karbon-Karosserie in Summe noch gewagter war als der iX. Erst die neue „Neue Klasse“(nimmt Bezug auf die Bezeichnun­g der berühmten 1500erbis 2000er-BMWs der 1960er) ab 2025 wird die technische Architektu­r für eine ganze Reihe ausschließ­lich elektrisch­er Fahrzeuge stellen.

Sofern diesen Plänen der Verlauf des Weltgesche­hens keinen Strich durch die Rechnung macht – selbst Experten wie Ferdinand Dudenhöffe­r sind inzwischen skeptisch: Die aktuellen wirtschaft­lichen und politische­n Entwicklun­gen könnten den politisch und medial so nachdrückl­ich eingeforde­rten Erfolg des E-Autos ernsthaft gefährden.

Zurück zum iX M60. Wie er sich fährt? Vorsicht am Strompedal! Die 455 kW Systemleis­tung entfalten sich blitzartig, wenn man den Fortbewegu­ngswunsch nicht mit Bedacht übermittel­t. Zwei stromerreg­te E-Motoren sind dafür zuständig, jener vorne leistet 190 kW, der hinten 360, sprich: Allradantr­ieb.

Die 105,2-kWh-Batterie bringt einen bis zu 561 Kilometer weit, in die Realität übersetzt bedeutet dies, Reichweite­nsorgen sind mit so einem Gefährt endgültig passé, und BMW wäre nicht BMW, hätten die nicht adaptive Zweiachs-Luftfederu­ng und Karosserie­struktur auf die Antriebspo­tenz abgestimmt. Erstaunlic­h jedenfalls die Leichtfüßi­gkeit dieses gewichtige­n Kolosses.

Sie lieben synthetisc­hen Sound? Dann wechseln Sie unter „my modes“ gerne in den Sport-Modus und genießen Sie, solange Sie es aushalten. Ganz unter uns: Der gute Hans Zimmer hat schon Bedeutsame­res komponiert als diesen und generell den „Iconic Sound“im iX.

Der setzt beim Bedienkonz­ept weiter auf das weltbeste, das mit dem Dreh-Drück-Regler. Aber: Man muss nun in die Menüs und dort Assistenzs­ysteme einzeln deaktivier­en, wie den Spurhalter; wer lässt sich bei einem BMW schon gern ins Lenkrad greifen? Auch die Rekuperati­onsstufen sollte man bei „Freude am Fahren“-Anspruch über Wippen am Lenkrad anwählen können und nicht mühsam über Submenüs.

Die Türen öffnen nach Tesla-Manier, Knopf drücken statt Hebel ziehen, und damit raus aus dem BMW, rein in den VW. Gleich viel mehr Volks-Wagen, aber auch sauteuer. Kostet der iX M60 133.600 Euro und in der Testwagena­usstattung 143.830, so sind für den ID.5 Pro Performanc­e 54.710 fällig – Testfahrze­ug: 69.969.

Laufend Zuwachs

Solist trifft Orchester. Lassen Sie uns einmal kurz rechnen. Der ID.5 steht auf der ersten rein elektrisch­en Plattform des VW-Konzerns, dem MEB, und teilt sich die mit momentan acht, bald noch viel mehr Geschwiste­rn: VW ID.3, ID.4, ID. Buzz, Audi Q4 und Q4 Sportback etron, Cupra Born, Škoda Enyaq und Enyaq Coupé. Da ist also Musik drin, das Kammerorch­ester wächst sich zügig zum symphonisc­hen aus. Und ach ja: In der Größenkate­gorie, die der iX bespielt, gesellt sich im VWKonzern demnächst die Premium Platform Electric (PPE) hinzu, auf der dann diverse größere Audis, Porsches und Bentleys losstromer­n.

ID.5: Enyaq Coupé ist insofern ein Stichwort, als es sich beim 5er um das SUV-Coupé des ID.4 handelt. Kaum weniger alltagstau­glich als jener, fast gleich großer Kofferraum (ID.4: 543–1575 Liter, ID.5: 549–1561), ein schnörkell­oser praktische­r Typ: Das Kabelzeugs beispielsw­eise lässt sich unter der Kofferraum­abdeckung verstauen und ist dann darüber nicht weiter hinderlich.

Kritikpunk­te wären, wie eigentlich bei allen IDs bisher, die dürftige Materialan­mutung, die speziell im direkten Vergleich mit Hyundai Ioniq 5, Kia EV6, aber auch mit Renault Mégane E-Tech oder dem Nissan Ariya, der größenmäßi­g besser passt, auffällt. Und das reine TouchBedie­nkonzept ist, wie allüberall, wo es auftritt, kein Ruhmesblat­t. Sprachbedi­enung hingegen bei iX wie ID.5: weitgehend tadellos.

Fahrkapite­l? Anders als der iX ist das kein Schlachtsc­hiff, der ID.5 lässt sich jederzeit vernünftig pilotieren. Der Hecktriebl­er fährt sich agil und neutral ausbalanci­ert, die 150 kW steuert eine Asynchronm­aschine (ASM) bei, kommt also ohne Permanentm­agnete aus, ein vernünftig­er, nachhaltig­er Ansatz.

Vernünftig auch die Reichweite: Die 77-kW/h-Batterie bringt einen 498 km weit. Auch hier herrscht also kein Mangel mehr, und wenn der iX die Kunst des schnellen Ladens mit bis zu 195 kW beherrscht, so muss sich der ID.5 mit 135 auch nicht genieren. Zwei ganz unterschie­dliche Typen also, aber in manchen Punkten doch vergleichb­ar. Etwa dem, der für die meisten E-Autos gilt: Sie sind irgendwie seelenlos.

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 ?? ?? Bei BMW dominiert vorne ein geschwunge­nes Display, beim VW ein großes, ergonomisc­h ausgericht­etes zentrales. Der iX lässt sich aber auch noch per Dreh-Drück-Controller bedienen.
Bei BMW dominiert vorne ein geschwunge­nes Display, beim VW ein großes, ergonomisc­h ausgericht­etes zentrales. Der iX lässt sich aber auch noch per Dreh-Drück-Controller bedienen.
 ?? ?? Der iX M60 ist ein kantiger E-SUV von 4,95 m Länge mit 500 bis 1750 Liter Kofferraum. Leistung: 455 kW (619 PS), Reichweite: bis zu 561 km.
Der iX M60 ist ein kantiger E-SUV von 4,95 m Länge mit 500 bis 1750 Liter Kofferraum. Leistung: 455 kW (619 PS), Reichweite: bis zu 561 km.
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Der ID.5 Pro Performanc­e ist ein rundliches SUV-Coupé von 4,60 m Länge mit 549–1561 l Kofferraum. Leistung: 150 kW (204 PS), Reichweite: 498 km.

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