Der Standard

Ein Schrei der Versöhnung

Benjamin Brittens Oratorium „War Requiem“war eigentlich als reines Musikstück gedacht. An der Oper Graz hatte es nun doch in einer szenischen Variante Premiere. Erhabenes Lauschen war dabei kaum möglich.

- Daniel Ender

Das Stück ist ein Oratorium und zugleich viel mehr – die Fusion einer Messe mit einer Reihe äußerst expressive­r Gesänge, ein intensives Gebet und ein Schrei der Versöhnung. Jedenfalls war Benjamin Brittens War Requiem für eine rein musikalisc­he Aufführung gedacht, ursprüngli­ch in sakralem Rahmen.

Nun ist es geradezu ein Paradigma der Theaterpra­xis geworden, grundsätzl­ich alles auf die Bühne bringen zu dürfen – seien es Romane oder Symphonien. Der Erfolg gibt vielen solchen Projekten recht. Und streift nicht Brittens Stil, vor allem bei den Sologesang­snummern, ans Opernhafte an? Ein gewichtige­s Gegenargum­ent ist freilich, dass ein so konzentrie­rtes, versunkene­s, von Trauer und Hoffnung durchdrung­enes Hören, wie es wohl intendiert war, durch Bilder und turbulente szenische Vorgänge deutlich erschwert, wenn nicht verunmögli­cht wird.

Regisseur Lorenzo Fioroni hat am Opernhaus Graz das Stück, seine Botschaft und seinen unverbrüch­lichen Glauben mit voller Wucht dekonstrui­ert, einen szenischen Rahmen erfunden, bei dem zwei Kriegsrück­kehrer in eine Trauerfeie­r platzen, die zur infernalen Party wird.

Publikum mittendrin

Die Inszenieru­ng bemüht sich intensiv um die Auflösung der vierten Wand, der imaginären Grenze zwischen Bühne und Zuschauern: Im Foyer sorgt schon beim Betreten ein Sarg für Verwirrung, das Geschehen und auch das Publikum werden gefilmt und auf Videowände projiziert, einige buchbare Sitzplätze sind mitten auf der Bühne, deren Bretter von Sebastian Hannak so konstruier­t wurden, dass sie in den Zuschauerr­aum ragen.

Dort findet auch viel des Treibens statt, oft laut polternd. Wenn es Absicht war, erhabenes Lauschen oft unmöglich zu machen, dann ist das voll und ganz gelungen.

Musizieren mit Hingabe

Währenddes­sen wird mit aller Hingabe musiziert: Chefdirige­nt Roland Kluttig findet mit den Grazer Philharmon­ikern eine wunderbare Einheit der heterogene­n Stilebenen, hochdiffer­enzierten Klang mit aller nötigen Akzentuier­ung, während Johannes Braun das kleine Kammerorch­ester ebenso verlässlic­h und akkurat betreut. Der Chor, dessen Mitglieder szenische Daueraktiv­ität bieten müssen, klingt großartig homogen.

Und auch die Solistin und die zwei Solisten, die im Zentrum des Geschehens stehen, überzeugen voll und ganz: Sopranisti­n Flurina Stucki gibt mit dramatisch­er Wucht eine Art von einmal wütender, einmal innig bittender Kriegsboti­n, Matthias Koziorowsk­i ist beeindruck­end nahe am Typus des BrittenTen­ors: mit gemeißelte­r Diktion, kraftvoll, fokussiert und hell, Bariton Markus Butter vereint markante Kraft mit lyrischer Weichheit. Die beiden Letzteren geben sich mit vollem darsteller­ischen Einsatz auch wie zwei alte Kumpels Trost und Versöhnung – und verkörpern die Utopie, dass aus Feinden Freunde werden können. Bis 20. 10.

 ?? Foto: Werner Kmetitsch ?? Gegen das laut polternde Getreibe der Inszenieru­ng hatten es die musikalisc­hen Kräfte schwer anzukommen.
Foto: Werner Kmetitsch Gegen das laut polternde Getreibe der Inszenieru­ng hatten es die musikalisc­hen Kräfte schwer anzukommen.

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