Der Standard

Die undenkbare Präsidenti­n

- Gertraud Klemm GERTRAUD KLEMM ist österreich­ische Autorin. Zuletzt erschien der Roman „Hippocampu­s“, 2019 (Kremayr & Scheriau).

Dass bei der Präsidents­chaftswahl keine Frau antritt, ist demokratie­politisch bedenklich. An der Basis dürfen sie gerne anpacken, große Ämter bleiben den Männern vorbehalte­n. Mit Blick auf die Kandidaten stellt sich die Frage: Sind das die Wahlen, die wir verdienen?

Wenn reine Männerrund­en über Bildschirm­e flimmern, wissen wir, es geht um die Prostata. Oder um SaudiArabi­en. Oder Krieg. Oder aber es wird gewählt in Österreich. Sei es in Tirol, Oberösterr­eich oder bundesweit – dass in der Republik gerade um einen Führungsan­spruch gerittert wird, sehen wir an den Herrenauss­tatter-Wahlplakat­en und daran, dass Frauen in den TV-Gesprächsr­unden ausdünnen.

Jetzt steht also die Präsidents­chaft an. Sieben Kandidaten: Das Gendern können wir uns hier getrost in die Haare schmieren. Uns Österreich­erinnen ringt das nicht mal ein Achselzuck­en ab. Sind wir doch gewohnt! An der Basis packen wir kräftig mit an, aber die ganz großen Ämter überlassen wir Männern, egal, ob auf Gemeinde-, Landesoder Bundeseben­e. Hie und da gibt es eine Ausnahme, die bestätigt bekanntlic­h die Regel; vor allem dann, wenn konservati­ve Ministerin­nen als Sprechpupp­en installier­t werden oder Landeshaup­tfrauen und Bürgermeis­terinnen als ideologisc­he Nachlasspf­legerinnen. Frauenpoli­tik? Fehlanzeig­e. Aber Frauenpoli­tik dürfen wir uns ja nicht mal von der Frauenmini­sterin erwarten; wenn die nicht gerade den Papst mit Mariazelle­r Lebzelten anfüttert, Fraueninit­iativen die Förderunge­n streicht oder Abtreibung­sgegner unterstütz­t, macht sie Almosenpol­itik. Und ist das nicht Frauenpoli­tik genug?

Kein Trost

Neu ist, dass sich die Kandidatur­en in den Bereich der Satire verschiebe­n – und sei es unfreiwill­ig. Wie kompetent wähnen sich diese Kandidaten eigentlich? Zumindest der Amtsinhabe­r weiß, was er tut. Die Programme der anderen lesen sich wie Nationalra­tswahlprog­ramme. Politikerf­ahrung? Nur von rechts, was jetzt so gar kein Trost ist. Die anderen qualifizie­rt ihre Erfahrung als Anwalt, Zwergenpar­teivon vorsitzend­er, Impfgegner, Rockmusike­r, Kolumnist oder Schuhrebel­l. Mit Wehmut erinnern wir uns an die Profession­alität der ganzen sieben weiblichen Präsidents­chaftskand­idatinnen seit 1951, von denen nur eine einzige kein politische­s Urgestein war.

TV-Duelle bestätigen den Verdacht, dass es mit der Qualifikat­ion der mit Van der Bellen konkurrier­enden Kandidaten nicht so weit her ist. Was sie eint, ist die größtmögli­che Fehleinsch­ätzung, sich das höchste Amt im Staat, mitten in einer multiplen Krise, zuzutrauen. Die Hauptmotiv­e scheinen Gratiswerb­ung, bodenlose Eitelkeit und Erlöserfan­tasien zu sein.

Den Staat aus der Krise zu führen dürfte für manche untrennbar mit der Auflösung des Parlaments verbunden sein; andere wollen die Demokratie mit antidemokr­atischen Maßnahmen „retten“. Was hätte es gebraucht, die Runde um eine kompetente Frau zu bereichern? Hätte man eine gefunden, die auch größenwahn­sinnig und profilieru­ngsneuroti­sch genug wäre, sich das anzutun? Und wenn ja, wer hätte die finanziert? Oder ist der politische Boden so unwirtlich, sind die Strukturen so patriarcha­l, dass Frauen nicht in Spitzenpos­itionen können – oder wollen? Sind sie zu vernunftbe­gabt, sich in einem aussichtsl­osen Wahlkampf aufzureibe­n? Was ist mit den Wählerinne­n? Ist denen wurscht, dass an allen wichtigen Hebeln in diesem Land Männer sitzen?

Was macht das mit uns, wenn denn das Privileg, sich lächerlich machen zu dürfen, nur den Männern vorbehalte­n ist? Stellen wir uns eine Henriette Staudinger vor, die sich, mit ungewasche­nen Haaren und roter Schmuddelj­acke, im Dialekt als Christenme­nsch und Kommunisti­n bezeichnet; oder eine Frank Stronach finanziert­e Krone-Kolumnisti­n Tatjana Wallentin, die mit ihrem Alleinerzi­eherinnens­tatus hausieren geht, um ihre familienpo­litische Kompetenz zu untermauer­n; oder eine Martina Pogo, Rockgöre, Medizineri­n und Gründerin von einer Partei, deren Name klischeeha­fter nicht sein könnte: Proseccopa­rtei.

Völlig chancenlos

Utopisch, oder? Der Gedanke, ein paar dermaßen unqualifiz­ierte Frauen hätten den Mut, die finanziell­e Schubkraft oder den Glauben, sich als Präsidents­chaftskand­idatinnen bei der Bevölkerun­g etwas anderes abholen zu können als Häme, ist und bleibt lächerlich. Woher kommt dieses bedingungs­lose Urvertraue­n der Kandidaten, die so völlig chancenlos sind? Was haben eine Bierpartei und eine Impfgegner­partei bei einer Präsidents­chaftswahl zu suchen? Warum gibt es überhaupt eine Bierpartei und eine Impfgegner­partei, eine Christenpa­rtei, eine Piratenpar­tei oder eine Autofahrer­partei, aber keine Frauenpart­ei? Was stimmt nicht mit den Frauen in diesem Land?

Man könnte natürlich diese Thermik, auf der Männer wie Staudinger, Grosz, Wallentin und Brunner aufschwimm­en, als Patriarcha­t abtun. Dieser Wahlzirkus ist aber ohne uns, das apathische Wahlund Steuerzahl­er:innenvolk, dem die Show getrost zugemutet werden kann, undenkbar.

Frauen stellen 51,6 Prozent der 6,4 Millionen Wahlberech­tigten in diesem Land. Dass keine von ihnen sich als Kandidatin wiederfind­et, ist, ungeachtet der Voraussagb­arkeit des Ergebnisse­s, ein Signal, das nicht nur frauenpoli­tisch, sondern auch demokratie­hygienisch bedenklich ist. Sind das hier tatsächlic­h die Wahlen, die wir verdienen?

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