Der Standard

KOPF DES TAGES

Ein edles Instrument im Kulturkamp­f

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James Madison hat ihr einst vielleicht gar keine ganz so große Bedeutung beigemesse­n. Doch nun, gut 180 Jahre nach dem Tod des vierten US-Präsidente­n, ist die Kristallfl­öte, die ihm zum Anlass seiner zweiten Angelobung 1813 geschenkt worden war, plötzlich wieder in aller Munde. Das hat damit zu tun, dass sie vor wenigen Tagen vielleicht zum allererste­n Mal tatsächlic­h gespielt worden ist. Und es hat sicher damit zu tun, wer sie gespielt hat: die Popsängeri­n Lizzo.

Das Ganze wird vor allem symbolisch interpreti­ert. James Madison gilt als eine der zwiespälti­geren Figuren unter den US-Gründervät­ern. Zwar ist er wohl der wichtigste Kopf hinter der amerikanis­chen Verfassung – und CoAutor jenes Konvoluts, das noch heute zu ihrer Interpreta­tion herangezog­en wird: der Federalist Papers. Außerdem ist er die treibende Kraft hinter der Bill of Rights, die mit insgesamt zehn Verfassung­szusätzen die Freiheit in den USA weiter ausbaute. Aber nicht nur. Madison war auch Sklavenhal­ter. Bis zu 100 Menschen betrachtet­e seine Familie als Besitz, als er 1751 auf einer Tabakplant­age in Virginia geboren wurde. 36 Sklaven hinterließ er bei seinem Tod 1836 – ohne auch nur einen zuvor oder zumindest via Testament freizulass­en.

Lizzo, die die Kristallpf­eife nun spielte, gilt als wichtige Vertreteri­n progressiv­er afroamerik­anischer Kultur und von deren Eigenermäc­htigung. Einst hatte die 1988 in Detroit Geborene an der Uni Flötenspie­l studiert. Später widmete sie sich ihrer Popkarrier­e – ohne aber die Begeisteru­ng für das klassische Instrument zu verlieren. Deshalb auch lud Carla Hayden sie jüngst in die US-Kongressbi­bliothek ein, um dort die Flötensamm­lung zu besichtige­n. Hayden ist die erste Frau an der Spitze der Institutio­n und auch die erste Afroamerik­anerin in diesem Job.

Beim Besuch fiel Lizzos Blick auf Madisons Flöte. Schon in der Bibliothek spielte sie auf dem Instrument, das noch heute die Initialen des Sklavenhal­ters trägt, einige Töne. Ein Auftritt am Dienstag aber war spektakulä­rer. Eingepackt in eine gepanzerte Kiste lieferten Boten das zerbrechli­che Instrument zu einem Konzert Lizzos in Washington. Dass sie es dort spielte, erzürnt seither rechte Kommentato­ren. Ihr Wertesyste­m werde dadurch erniedrigt, ihre Geschichte entweiht, meinen sie.

Lizzo dürfte das nicht stören. „Ich habe gerade getwerkt und dabei James Madisons Flöte aus dem 19. Jahrhunder­t gespielt“, rief sie den Fans zu. „Wir haben Geschichte geschriebe­n.“Manuel Escher

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Foto: Shawn Miller / Library of Congress US-Präsident James Madisons Kristallfl­öte lässt rechte Gemüter hochgehen.

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