Der Standard

Krieg gegen Putins Lügenmärch­en

Mit der Annexion verschließ­t der Kreml alle Türen zu einem raschen Frieden

- Eric Frey

Mit dem missglückt­en Überfall auf die Ukraine am 24. Februar hat sich Wladimir Putin eine Grube gegraben, aus der er nur schwer herauskomm­t. Aber statt dies überhaupt zu versuchen, gräbt er sich noch tiefer hinein. Mit der Annexion der vier ukrainisch­en Provinzen am Freitag hat Putin die Türen zu einem raschen Ende des Krieges fest verschloss­en.

Denn indem er die bisher eroberten Gebiete – und noch mehr – zu russischem Staatsgebi­et erklärt, lässt er keine Möglichkei­t für einen Rückzug oder auch nur einen territoria­len Kompromiss zu. Alles oder nichts, ist seine Devise, wobei das „alles“immer noch weniger ist, als Putin anfangs anstrebte.

Auch für die Kriegsführ­ung lässt er damit alle Fesseln fallen. Wenn jede ukrainisch­e Gegenoffen­sive nun als Angriff auf das Vaterland gilt, dann fühlt sich Putin berechtigt, mit allen Mitteln zurückzusc­hlagen, sei es mit Raketenter­ror gegen ukrainisch­e Zivilisten, wie zuletzt in der südukraini­schen Stadt Saporischs­chja, und im äußersten Fall sogar mit dem Einsatz von Atomwaffen.

Dass so gut wie niemand außerhalb von Russland diesem Lügenmärch­en folgen wird und er damit sogar Verbündete wie China vor den Kopf zu stoßen droht, scheint Putin nicht zu stören. Auch bei den Referenden hat er sich nicht einmal um einen minimalen Anschein von Legitimitä­t bemüht: Mit den absurden Zustimmung­sraten von 98 und 99 Prozent demonstrie­rt er kaltschnäu­zig seine Macht.

Das Signal aus Moskau ist klar: Entweder akzeptiere­n die Ukraine und ihre westlichen Verbündete­n die Annexion als fait accompli, oder der Krieg geht weiter. In diesem Fall ist auch die Teilmobili­sierung von 300.000 Soldaten nur ein Zwischensc­hritt. Dann wird aus der „militärisc­hen Spezialope­ration“ein Krieg – laut Putins abenteuerl­icher Erzählung ein Verteidigu­ngskrieg gegen brutale ausländisc­he Invasoren.

Sich so fest einzugrabe­n kann auch Verhandlun­gstaktik sein; vielleicht glaubt Putin tatsächlic­h, dass die Nato ihm ein Fünftel der Ukraine überlassen wird, statt den Kampf fortzusetz­en. Ein kalter Winter in Europa, ein wenig Hilfe seines Freundes Donald Trump in den USA – und schon lässt der Westen den unbequemen Verbündete­n fallen und wirbt um Frieden. Und ohne Nato-Waffen werde auch Kiew aufgeben müssen.

Doch so wie Putin die Stimmung in der Ukraine falsch eingeschät­zt hat, irrt er sich nun im Westen. Die USA haben sich ebenso eingegrabe­n wie Russland, Demokraten und die meisten Republikan­er stehen fest hinter Kiew – koste es, was es wolle. Und auch in Europa bleiben die Sanktionsk­ritiker in der Minderheit, die Empörung über den Aggressor wiegt stärker als der Ärger über hohe Gaspreise. Putins Erpressung­staktik, zu der auch der – mutmaßlich russische – Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines zählt, stärkt die Widerstand­sbereitsch­aft. Nach seiner paranoiden Annexionsr­ede, in der er das Bild eines räuberisch­en Westens zeichnet, kann auch hier niemand mehr ernsthaft an Verhandlun­gen und Kompromiss­e glauben.

Auch den Ukrainern ist klar, dass dieser Krieg nur mit einem vollständi­gen Sieg enden kann – oder einer totalen Niederlage. Sie sind offensicht­lich ebenso zum langen Kampf bereit wie der Tyrann im Kreml – und zu allen Opfern, die das fordert. Sie haben das Recht und die Wahrheit auf ihrer Seite – und das Wissen, dass sie für ihre Freiheit kämpfen.

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