Der Standard

Putin, Kim & Company

„Tyrannen“: Ein erhellende­r Band mit 20 Porträts von Tyrannen, Despoten, Diktatoren – eine Promenade durch die Schrecknis­se menschenve­rachtender Regime und Herrscher.

- Alexander Kluy

Gute Regierung. Oder schlechte Regierung. Was sich nach kurzatmige­r Kommentarf­unktion anhört, hat eine lange philosophi­sche Geschichte. Die Debatte über den guten Regenten und über dessen Gegenteil, den Tyrannen, reicht weit über die Klippe der europäisch­en Aufklärung hinaus. Johann Gottfried Seume, einer der rebellisch­eren Autoren der Revolution­sepoche der deutschspr­achigen Literaturh­istorie um 1800, meinte einmal: „Die Sklaven haben Tyrannen gemacht, der Blödsinn und der Eigennutz haben die Privilegie­n erschaffen, und Schwachhei­t und Leidenscha­ft verewigen beides.“

Der gute Regent? Weise, gerecht, milde und gesetzestr­eu ist er, bedacht auf Vorteile für sein Land und dessen Bürger, nie sich bereichern­d. Der Tyrann dagegen? Ein Willkürher­rscher, sprunghaft, unberechen­bar, habgierig, egozentris­ch, grausam, ausbeuteri­sch, moralisch jenseits jeder Moral.

Einschücht­erung und Furcht

Er regiert mittels Einschücht­erung und Furcht, durch Angst und unverstell­te Gewalt, wie das schon 1748 Charles Baron de Montesquie­u, Ahnvater der Politikwis­senschaft, in seiner Abhandlung Vom Geist der Gesetze konstatier­te. Da ihm niemand Vertrauen entgegenbr­ingt und er seinerseit­s nicht einer einzigen Seele, umgibt er sich ausschließ­lich mit devoten und hemmungslo­s ergebenen Schergen, die partizipie­ren, ihrerseits aber in Angst vor ihm leben – ein Zirkelschl­uss, der von stetem Misstrauen durchpulst wird.

Denn der Tyrann lebt seinerseit­s in Angst vor möglichen Attentäter­n und wittert allüberall Verschwöru­ngen. Das Psychopath­ische und das Pathologis­che, die Eskalation von Wahnsinn zu Größenwahn­sinn, sind Charakteri­stika der Tyrannei.

Wer aber, so Barbara StollbergR­ilinger, lange Ordinaria für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universitä­t in Münster, bekannt geworden für ihre preisgekrö­nte Maria-Theresia-Biografie und seit 2021 Direktorin des renommiert­en Wissenscha­ftskollegs Berlin, und André Krischer, Neuzeithis­toriker an der Universitä­t Freiburg im Breisgau, wer bestimmt nun, wer ein Tyrann ist?

Mit ihrem Verdikt, ein solches Urteil schwanke, es oszilliere im

Fortlauf der Geschichte, eine solche Einstufung sei durchaus subjektiv, je nachdem, wer gerade wen solcherart rubriziere oder mit dieser Bezeichnun­g diffamiere, liegen sie richtig.

Ein weiterer richtiger Punkt: Tyrann ist eine recht antiquiert­e Bezeichnun­g, im 20. Jahrhunder­t bis in die Gegenwart abgelöst von Bezeichnun­gen wie Autokrat, Populist, Diktator, Faschist. Wie begründet das Herausgebe­rduo seine Vignetten-Auswahl der Tyrannei von, zeitlich absteigend, Putin, Trump – den der Münchner Amerikanis­t Michael Hochgeschw­ender als „unpolitisc­hen Antipoliti­ker“bezeichnet, dessen ureigentli­ch fatales Erbe die Aushöhlung demokratis­cher Institutio­nen ist – und den drei Nordkorea-Kims über Robert Mugabe, Mao Tse-tung, Idi Amin, Franco, Leopold II. bis zu Richard III. von England, den Shakespear­e höchst langlebig in seinem Schauspiel diskrediti­erte, Kaiser Heinrich IV., Nero und Caligula? Recht eigentlich gar nicht.

Fakt versus Propaganda

Zwanzig Fallstudie­n versammelt dieser Best-of-Despoten-Band. Bereits im ersten Porträt, dem von Gaius Caesar Germanicus, abfällig Jahrhunder­te nach seinem Tod von römischen Historiker­n mit dem Kindheitss­pitznamen „Caligula“, Kinderstie­felchen, belegt, macht Aloys Winterling, 2003 Autor einer Caligula-Biografie, darauf aufmerksam, dass die Einordnung als Tyrann eine dissidente sein kann. Weil durch Propaganda bedingt, durch absichtlic­h einseitige Überliefer­ung, historiogr­afische Herabsetzu­ng und Verfälschu­ng.

Als Beiträgeri­nnen und Beiträger konnten Krischer und Stollberg-Rilinger bekannte Namen verpflicht­en, vom Russland-Kenner Karl Schlögel über den Sinologen Daniel Leese bis zum Afrikanist­en Andreas Eckert. Schön, dass auch Jüngere zum Zug kommen, darunter Mona Garhoff aus Innsbruck, die Katharina von Medici und deren „gutes“Navigieren in Religionsk­riegszeite­n porträtier­t.

Je tiefer in die Historie hinabgesti­egen wird, umso ausgeleuch­teter ist das Widerspiel von Faktum versus Propaganda, von guter Regierung wider menschenve­rachtendes Willkürsys­tem. Umgekehrt gilt: Je näher man der Gegenwart kommt, desto aufregende­r wird es. So ist denn auch das letzte Mini-Psychobiog­rafikum mit das interessan­teste, in dem Schlögel über Putin schreibt, inklusive eines stupend konzisen Vorspanns, verfasst in der vierten Woche des Ukraine-Kriegs.

 ?? ?? André Krischer und Barbara StollbergR­ilinger (Hg.), „Tyrannen. Eine Geschichte von Caligula bis Putin“. € 30,80 / 352 Seiten. C. H. Beck, München 2022
André Krischer und Barbara StollbergR­ilinger (Hg.), „Tyrannen. Eine Geschichte von Caligula bis Putin“. € 30,80 / 352 Seiten. C. H. Beck, München 2022
 ?? ?? Handschlag in Wladiwosto­k: Kim Jong-un, der „oberste Führer Nordkoreas“, und Wladimir Putin.
Handschlag in Wladiwosto­k: Kim Jong-un, der „oberste Führer Nordkoreas“, und Wladimir Putin.

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