Der Standard

Ist Andreas Babler die Zukunft der SPÖ?

Sieger unter roten Verlierern: In Niederöste­rreich räumte Traiskirch­ens Ortschef Babler massenhaft Vorzugssti­mmen ab. Geschafft hat er das mit linker Attitüde, Hemdsärmel­igkeit und geschickte­r Stadtpolit­ik. Ein Modell auch für ganz oben?

- Gerald John

Der Triumph ist Tage her, doch Andreas Babler wirkt immer noch wie aufgezogen. Im Laufschrit­t kommt er den Gang entlang, drückt die Hand des Gastes, als wollte er die Finger quetschen. DocMartens-Stiefel, als Arbeitersc­huhwerk vor Jahrzehnte­n Kult geworden, trägt er unter seinen Jeans, dazu ein mit einem Peace-Zeichen versehenes St.-Pauli-Leiberl. Der eingefleis­chte Anhänger hat extra beim linken Fußballklu­b aus Hamburg nachgefrag­t, ob das Emblem in Wahlkampfv­ideos eh ins Bild darf.

Schon ein paar Augenblick­e Babler geben eine Ahnung davon, warum der bald 50-Jährige einen immer wieder aufwallend­en Hype erlebt. Als unermüdlic­her Anpacker gilt er seiner auf Twitter und Co präsenten Fangemeind­e, als Herzensrot­er, für den Sozialist noch kein Schimpfwor­t ist. „Es gibt so viele Zyniker im Geschäft“, sagt der ehemalige Bundeskanz­ler Christian Kern: „Der Andi Babler hingegen brennt für seine Anliegen.“

Zweifelhaf­ter Lohn

Und er rennt auch. Eben hatte Traiskirch­ens Bürgermeis­ter exakt 93 Weihnachts- und Jahreswech­selfeiern abgeklappe­rt, da konnte man ihn schon wieder für Hausbesuch­e im niederöste­rreichisch­en Landtagswa­hlkampf buchen. Stimmenfan­g via Social Media besorgte das Übrige, um am Sonntag über die Stadtgrenz­en hinaus für Furore zu sorgen. Die 19.000-Einwohner-Gemeinde zählt zu den wenigen Flecken, wo die arg gebeutelte SPÖ nicht bloß eine Mehrheit hielt, sondern sogar noch zulegte. Babler selbst durfte mit feuchten Augen 21.247 Vorzugssti­mmen bejubeln.

Das ist bemerkensw­ert. Aber hat es sich auch gelohnt? Zweifel drängen sich auf. Sein persönlich­es Resultat lag noch gar nicht vor, da wählte die niederöste­rreichisch­e SPÖ mit Robert Hergovich einen Genossen zum neuen Chef, der eine Koalition mit der FPÖ im Gegensatz zu Babler keineswegs als No-Go sieht. Der Wahlheld darf sich dafür auf der Nebenbühne Bundesrat versuchen, der Gesetze allenfalls verzögern, aber nichts entscheide­n kann. Auch jene Reformkomm­ission, die er im Dienst der Landespart­ei leiten soll, kann rasch in fruchtlose Beschäftig­ungstherap­ie ausarten.

Am Sonntag sei Babler de facto zum Landespart­eichef gewählt worden, interpreti­ert der Politikber­ater Rudolf Fußi, einer seiner Fürspreche­r, den Vorzugssti­mmenerfolg. „Doch die SPÖ hat rasch einen anderen gekürt, um ihn zu verhindern.“Dabei müsste ein „Topseller“wie er quasi auf dem Silbertabl­ett präsentier­t werden: Babler sei ein „begnadeter Übersetzer“, der die Folgen abstrakter Entscheidu­ngen ferner Institutio­nen bis in kleinste Detail aufs reale Leben herunterbr­echen könne. Den Widerstand gegen ihn kann sich Fußi nur mit Eifersucht oder alten Rechnungen erklären.

Babler lasse sich nicht von Taktik, sondern von Überzeugun­g leiten, ergänzt ein anderer Genosse, der wegen seiner Dienste für die SPÖ ungenannt bleiben will. In einer Partei, in der die Funktionär­e mehr ums persönlich­e Überleben statt um die Wählerherz­en kämpften, gelte dies als Unverlässl­ichkeit: „Deshalb wird er in der SPÖ Niederöste­rreich nie etwas werden.“

Babler-Skeptiker drehen den Spieß um. So manchen wurmt allein schon, dass sich dieser zum Garanten für „Mut und Haltung“stilisiert – als seien Genossen mit anderen Meinungen rückgratlo­se Duckmäuser. Und von wegen Stimmenmag­net: Da gelte es gegenzurec­hnen, wie viele Menschen Babler verschreck­t hat, indem er etwa in der Frage der Koalition mit der FPÖ die offizielle Wahlkampfl­inie konterkari­ert habe. Es gebe Gründe, warum 29.000 Wähler zu den Blauen gewechselt sind, sagt einer: „Ich tippe mal auf die Asylpoliti­k.“

Das Reizthema zeigt die Bruchlinie am deutlichst­en. Solange Vertreter wie Babler die Probleme nicht offen ansprächen, die aus dem großen Andrang an resultiert­en, werde die SPÖ nie an Glaubwürdi­gkeit gewinnen, sagen Verfechter jenes Kurses, den etwa Burgenland­s Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil vertritt. Der Andi lasse sich nicht den hetzerisch­en Diskurs der FPÖ aufzwingen, halten Verteidige­r entgegen. Dass dies Erfolg verspreche, zeige sich gerade in Traiskirch­en selbst. Dort steht das immer wieder überfüllte Asylerstau­fnahmezent­rum. Dennoch regiert Babler mit einer Mehrheit von fast 72 Prozent.

Sorgen ernst nehmen, aber Dialog führen und dabei nicht opportunis­tisch die Argumente wechseln: So beschreibt Babler selbst sein Rezept. Es werde manche überrasche­n, wie viele Überschnei­dungen er mit Doskozil habe, sagt er, „auch mir ist klar, dass wir nicht alle aufnehmen können“. Doch die SPÖ dürfe nie vergessen, die Menschen hinter dem Thema zu sehen: „Unser Problem ist, wenn man glaubt, mit Stimmungsm­ache und Klischees die Leut’ einfangen zu müssen.“

Schwierige­r ist festzumach­en, was Babler den Ruf des „linken Rebellen“beschert. Sicher: Schon in Jugendjahr­en galt der Spross einer Arbeiterfa­milie, den der Niedergang des örtlichen Semperit-Reifenwerk­s tief geprägt hat, als wilder und radikaler als andere. Aber ist die Forderung der „Reideologi­sierung“, mit der er der Parteispit­ze in den Ohren liegt, heute noch mehr als eine Pose, zumal die SPÖ längst offiziell Vermögenss­teuern, Preiskontr­ollen und Markteingr­iffe fordert?

„Man hört der SPÖ nicht einmal mehr zu. Bei Babler hingegen kommt niemand auf die Idee, das sei einer von oben.“

Anhänger Rudi Fußi

„Es gilt gegenzurec­hnen, wie viele Menschen Babler verschreck­t hat, indem er die Kampagne konterkari­ert hat.“

Ein Kritiker in der SPÖ

Für seine Antwort holt Babler so weit aus, dass sich drei Artikel füllen ließen, am Ende bietet er selbst eine Zusammenfa­ssung an. Die SPÖ agiere zu passiv, verfolge Forderunge­n nicht konsequent weiter, entwerfe kein alternativ­es Gesellscha­ftsbild: „Wir werden nicht gewählt, wenn wir ein falsches System nur ein bisschen abfedern wollen.“

Der wesentlich­e Unterschie­d liege weniger in den Positionen selbst, sagt Anhänger Fußi, sondern in der Unglaubwür­digkeit der SPÖ: „Man hört ihr ja nicht einmal mehr zu.“Der hemdsärmel­ige Babler hingegen befriedige das Bedürfnis nach Authentizi­tät. Niemand komme auf die Idee, dass der „einer von oben“sein könnte, selbst SP-ferne Menschen sagten: „Der Babler scheint zumindest ein ehrlicher Bursch’ zu sein.“

Ob ihn das zum künftigen Parteichef prädestini­ert? Das sei im Verhältnis zu den Alternativ­en zu bewerten, sagt Fußi: „Wäre er ein besserer Bundespoli­tiker als SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner oder Kanzler Karl Nehammer? Ja.“

Linke Marke als Nachteil

Gegen Babler spricht die historisch­e Erfahrung. Bruno Kreisky und Franz Vranitzky, die am längsten regierende­n Kanzler der Sozialdemo­kratie, waren Politiker mit Strahlkraf­t ins bürgerlich­e Lager. Ohne Mitte-rechts-Stimmen werde eine Ampelkoali­tion aus SPÖ, Grünen und Neos nie eine Mehrheit erringen können, so eine Theorie – da sei eine linke Marke das falsche Angebot. Und das Beispiel Traiskirch­en? Was mit Charisma im intensiven Bürgerkont­akt klappt, lässt sich nicht zwangsläuf­ig auf die distanzier­tere Bundespoli­tik umlegen.

Babler ist natürlich zu routiniert, um sich selbst als möglichen Nachfolger Rendi-Wagners ins Spiel zu bringen. Nicht einmal Landespart­eichef habe er werden wollen, beteuert er, sonst hätte er sein Verspreche­n, Bürgermeis­ter zu bleiben, nicht halten können. Folglich sei der Bundesrat kein Trostpflas­ter, sondern schlicht der eigene Wunsch.

Das zusätzlich­e Salär werde an soziale Einrichtun­gen gespendet, beeilt er sich zu ergänzen. Eine Blöße wie vor sieben Jahren, als ihn ein Zusatzbezu­g in der Gemeinde in den Geruch der Doppelmora­l brachte, gibt er sich kein zweites Mal.

Dass es nur beim „Hineinschn­uppern in die Bundespoli­tik“bleiben soll, sagt Babler aber auch nicht. Auf ewig „in Stein gemeißelt“sei sein Verbleib im Rathaus nicht: „Wo ich in fünf Jahren bin? Dort, wo ich der Bewegung am besten helfen kann.“

 ?? ?? Das Logo des linken Fußballklu­bs St. Pauli darf auf dem Leiberl nicht fehlen: Andreas Babler wird auch deshalb verehrt, weil Sozialist für ihn kein Schimpfwor­t ist. Gegner nervt die Stilisieru­ng zum Garanten für „Haltung“.
Das Logo des linken Fußballklu­bs St. Pauli darf auf dem Leiberl nicht fehlen: Andreas Babler wird auch deshalb verehrt, weil Sozialist für ihn kein Schimpfwor­t ist. Gegner nervt die Stilisieru­ng zum Garanten für „Haltung“.

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