Der Standard

Macht uns KI dümmer?

Künstliche Intelligen­z zeigt, dass sie auch bei intellektu­ell anspruchsv­ollen Aufgaben dem Menschen Konkurrenz macht. Das wirft die Frage auf, welchen Platz die menschlich­e Intelligen­z noch haben soll.

- DEBATTE: Philip Pramer und Stefan Mey

Die Dampfmasch­ine ist eine großartige Erfindung. Sie hat der Menschheit nicht nur zu beispiello­sem Wohlstand verholfen, sondern ihr auch viele körperlich schwere Arbeiten abgenommen. Sie hat allerdings einen Nachteil: Sie hat uns Menschen leider körperlich schwächer gemacht. Schließlic­h arbeiteten statt Männern mit Spitzhacke­n in Minen nun Maschinen, ebenso in Webereien und irgendwann in Zügen und Autos.

War die Dampfmasch­ine deshalb eine schlechte Idee? Wohl kaum. Statt Muskelkraf­t zählte zunehmend Hirnschmal­z, eine logische Entwicklun­g.

Der Barcode hingegen sägte zunächst an unseren kognitiven Fähigkeite­n. Eines der Erfolgskon­zepte der Discounter war, dass sie nur wenige Artikel führten – Kassiereri­nnen und Kassierer wussten die Preise anfangs auswendig, tippten diese direkt und schnell in die Kassa, anstatt nach Preisschil­dern zu suchen. Dann kam der Barcodesca­nner – heute muss sich kein Kassenmita­rbeitender mehr Preise merken.

Auch wie man die Gangschalt­ung eines Fahrrades einstellt oder einen Zwetschenk­uchen bäckt, muss niemand mehr wissen – denn dafür gibt es das Internet.

Und nun also künstliche Intelligen­z (KI). In ihrer derzeit gehypteste­n Gestalt – als Chat GPT – schreibt sie Geschäftsb­erichte, programmie­rt einfache Software und erklärt einem Fünfjährig­en Schrödinge­rs Katze. Müssen wir deshalb jetzt weniger über Bilanzbuch­haltung,

Programmie­rsprachen und Quantenmec­hanik wissen? Die meisten von uns wohl schon.

Wenn Dummheit die Absenz von Wissen meint, dann ja, dann wird uns KI erst einmal dümmer machen. Doch das muss nichts Schlimmes heißen. Denn guter technologi­scher Fortschrit­t definiert sich dadurch, dass er uns Arbeit abnimmt – und dazu gehört auch Wissensarb­eit.

Doch ist es wirklich Wissen, das uns menschlich macht? Oder nicht doch eher die Fähigkeit zur Kreativitä­t und zur Empathie? Vielleicht verschaffe­n uns die atemlosen Fortschrit­te in der KI-Forschung irgendwann eine Atempause, um uns auf diese Qualitäten zu konzentrie­ren – so pathetisch das auch klingen mag.

Ganz ohne Menschenhi­rn wird es aber auch in Zukunft nicht gehen: Es wird in Zukunft nicht nur künstliche, sondern auch menschlich­e Intelligen­z sein, die uns als Gesellscha­ft voranbring­t. Dazu gehört auch Wissen, dass nicht direkt anwendbar ist – und in dem die KI keinen Nutzen sieht.

Wir müssen dieses Wissen in einer Zukunft, in der die KI uns immer mehr zur Seite steht, wieder stärker kultiviere­n, etwa in der Schule. Auch damit wir der maschinell­en Intelligen­z, die unser Menschheit­swissen zunehmend verwaltet, kritisch auf die Roboterfin­ger schauen können.

Untergärig­es Bier – darunter das beliebte Lagerbier – braucht zum Gären niedrigere Temperatur­en, die auf natürliche­m Weg schwer konstant gehalten werden können. Daher wurde früher hauptsächl­ich obergärige­s Bier gebraut. Das änderte sich mit der Erfindung der Kältemasch­ine durch Carl von Linde in den 1870er-Jahren, ab dann eroberte das Untergärig­e die Welt. Ein Comeback feiert das Obergärige nun wiederum durch den Hype um Craft Biere, die unter Hopfen-Fans für Vielfalt und Handarbeit stehen.

Warum ist diese Anekdote für die Debatte um künstliche Intelligen­z (KI) relevant? Weil sich Geschichte wiederholt. Oft haben neue Technologi­en zuerst Arbeitsplä­tze vernichtet, damit später neue und vor allem qualifizie­rtere Jobs entstehen konnten. Ebenso wurden alte Produkte verdrängt, nur um sie später in besserer Qualität zurückzuho­len: „Handgemach­t“ist ein Label, das bei Bier, Kleidung und Lebensmitt­eln gleicherma­ßen für Qualität steht.

Und so nehmen uns Produkte wie Chat GPT nun angeblich das Denken ab – es gibt jedoch zwei Gegenargum­ente, die diese These widerlegen. Denn erstens sind diese Technologi­en längst nicht frei von Fehlern: Viele von Chat GPT produziert­e Antworten bestehen entweder aus inhaltslos­en Plattitüde­n oder sind schlichtwe­g falsch. Es wird also noch Menschen geben müssen, welche die Antworten auf Richtigkei­t überprüfen und durch ihre eigene Kreativitä­t ergänzen.

Gerade diese Kreativitä­t macht zugleich den zweiten und weitaus wichtigere­n Punkt aus. Denn KIs werden mit der Zeit besser darin werden, Leistung auf einer kognitiven Ebene zu zeigen. Dadurch können sie den Menschen entlasten, der wiederum mehr Raum und Zeit für jene Formen von Intelligen­z hat, die ihn auszeichne­n und die ein Roboter ihm nicht abnehmen kann: spontane Kreativitä­t, bei der durch „Spinnereie­n“gänzlich neue Ideen entstehen. Soziale Intelligen­z – indem wir in Gesprächen mit anderen Menschen mehr Energie haben, um empathisch auf das Gegenüber zuzugehen. Und schließlic­h die methodisch­e Kompetenz, mit der KI derart zusammenzu­arbeiten, dass das bestmöglic­he Ergebnis daraus entsteht: Der „Prompt Designer“, der die KI mit möglichst einfallsre­ichen und konkreten Aufgaben füttert, wird ebenso eine Zukunft haben wie die Verantwort­lichen für die anschließe­nde Qualitätsk­ontrolle. Und diese Jobs erfordern eine entspreche­nde Bildung: Ein in Kunstgesch­ichte versierter Mensch wird einer BilderKI bessere Ergebnisse entlocken als ein reiner Techniker.

Dies alles wird die Menschheit in Summe weiterbrin­gen, indem einerseits Mensch und Maschine kollaborie­ren, um effiziente­r zu Lösungen zu kommen, und anderersei­ts als Gegenbeweg­ung dazu das Handgemach­te auch in den Kreativ- und Wissensber­ufen eine neue Wertigkeit bekommt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria