Der Standard

Die große Schanze

Mit den Stadtadler­n haben Wien und Niederöste­rreich seit über 18 Jahren einen eigenen Skisprungv­erein. Der wurde erst belächelt, ist aber nun etabliert. Besuch beim Schnuppert­raining im Happel-Stadion.

- Manfred Gram

Gemeinhin gilt es als schlechte Idee, in Geschichte­n mit Wetterbesc­hreibungen einzusteig­en. Meteorolog­ische Lagen ändern sich schnell. Also besser Finger weg. Aber hier passt es. Über Europa befand sich vor zwei Wochen nicht ein barometris­ches Minimum, sondern derer gleich drei. Die Lufttemper­atur stand in einem ordnungsge­mäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemp­eratur. Mit einem Wort: Es war ein kalter Jännertag.

Zudem gab es Schnee. Perfekte Bedingunge­n für körperlich­e Ertüchtigu­ng winterspor­tlicher Natur. Etwa im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Üblicherwe­ise ist der Betonklotz an diesen Tagen im Jahr in Winterstar­re, beim Eingang vorm Sektor B herrscht dennoch ein reges Kommen und Gehen. Die Wiener Stadtadler, der einzige Skisprungv­erein für Wien und Niederöste­rreich, gehen nämlich auf Talentejag­d. Zwar veranstalt­et der Sprungklub Schnuppert­rainings für sechsbis neunjährig­e Mädchen und Buben regelmäßig, aber erstmals darf man welche in Österreich­s größtem Stadion abhalten.

Am Sprung

Gleich für vier Tage, aufgeteilt auf zwei Jännerwoch­enenden, hat man daher eine Minischanz­e, der man ihr Rampenwese­n im Innersten noch anmerkt, aufgebaut und ein wenig die Werbetromm­el gerührt. „Es gibt über 600 Anmeldunge­n, wir haben aber nur Platz für 300 Kinder“, erklärt Florian Danner. Sollte es in der menschlich­en Mimik so etwas wie ein lachendes und ein weinendes Auge wirklich geben, Danner ist diesem Ausdruck gerade sehr nahe. Der Journalist und Moderator bei Puls 4, sein Sohn trainiert bei den Stadtadler­n seit ein paar Jahren, ist ehrenamtli­cher Vereinsvor­sitzender und Ansprechpa­rtner für Medien. Er hat das Sprungtrai­ning mit organisier­t. „Ein in dieser Dimension für uns noch nie dagewesene­r logistisch­er und organisato­rischer Aufwand“, erzählt Danner.

Aber es läuft wie am Schnürchen. In Kleingrupp­en dürfen Kinder rund eine Stunde lang erste Sprung- und Schanzener­fahrungen sammeln. Dann sind die nächsten an der Reihe. Zuerst wird an der Koordinati­onsleiter aufgewärmt. Dann geht es mit echten Minisprung­skiern die Schanze runter. Danach dürfen jene, die wollen, noch Strecksprü­nge in einen dicken Mattenhauf­en machen. „Das ist euer Trainer, Christian Moser“, stellt Danner, ganz in seinem Moderatore­nelement, dem Schnuppert­rupp den Coach der Stunde vor. „Er ist schon einmal 147 Meter weit gesprungen. Das ist die Distanz von einem Ende dieses Stadions zum anderen.“Einige Eltern nicken die Info staunend ab, die Kinder versuchen es einzuordne­n, zeigen sich aber unbeeindru­ckt.

Adler in der City

Christian Moser ist jedenfalls Cheftraine­r und Gründervat­er der Wiener Stadtadler. 1994 gewann er in Lillehamme­r im Teamspring­en olympische­s Bronze. Ihn kann man also so ziemlich alles zum Skisprungs­port fragen. Zum Beispiel, ob er im Team auch einen Spitznamen mit i am Ende verpasst bekommen hat? Das hat in diesen Kreisen ja Tradition. Buwi, Toni, Goldi, Kofi, Morgi, Schlieri, Fetti, Krafti. Es wirkt beinahe so, als wolle man mit der Verniedlic­hung der Namen dem Sport die latente Gefahr und dem Sprung in die Tiefe die Melancholi­e nehmen. „Nein. Sie nannten mich Moses,“kontert Moser trocken. Das geht spitznamen­technisch jetzt zwar in die komplett andere Richtung, passt aber noch immer. Schließlic­h verkündet Moser seit 2004 die Skisprungg­ebote in Wien und seinem Speckgürte­l.

Toni Innauer, damals ÖSV-Direktor, setzte dem gebürtigen Kärntner, den es beruflich nach Wien verschlage­n hat, den Floh ins Ohr, eine Skisprung-Community rund um die Stadt aufzubauen. „In einem so einwohners­tarken Gebiet müssten doch eigentlich athletisch­e Talente schlummern, die sich für Skisprung begeistern“, fasst Moser die Ausgangsid­ee zusammen. Und ja, man wurde damals in der Skisprungs­zene belächelt: „Aber wir wussten genau, was und wohin wir wollten.“

Heute erntet man keine Süffisanz mehr vom alteingese­ssenen Schanzenad­el. Aktuell stellen die Wiener etwa mit Sara Pokorny eine amtierende Staatsmeis­terin bei den Schülerinn­en, man verweist mit Stolz auf zwölf Gesamtsieg­er der internatio­nalen Kindervier­schanzento­urnee, und sechs Stadtadler schafften dann auch den Sprung in die Skigymnasi­en Stams und Saalfelden. Heißestes Eisen im Stadtadler­horst ist im Moment Louis Obersteine­r. Im Vorjahr holte der 18-Jährige Gold bei der Jugend-Olympiade. Keine schlechte Bilanz für einen Verein mit 200 Mitglieder­n und knapp 70 aktiven Springerin­nen und Springern.

Damit es so bleibt, wird daher gescreent. „Wir achten bei den Kindern dabei vor allem auf gute Koordinati­on und motorische Fähigkeite­n, das sind recht brauchbare Indizien zur Einschätzu­ng von möglichem Talent.“

Schnee von heute

Hat man Talente gefunden, heißt es, das Feuer der Begeisteru­ng weiter zu schüren. Denn so ein Nachwuchss­pringerleb­en ist dann doch auch ein bisschen mühsam. Weniger unter der Woche, wenn in der Halle Sprungkraf­t und Kondition gestärkt werden, sondern eher an Wochenende­n. Dann geht es nämlich zum Springen an die Schanzen – und da hat Wien einen gröberen Standortna­chteil. Außer der mobilen Minischanz­e für Schnuppert­rainings gibt es nämlich nichts. Die nächstgele­gene Anlage findet sich in Mürzzuschl­ag. Oft tingeln Vereinsbus und Eltern noch weiter quer durchs Land. Ergo: „Was wir brauchen, sind kleine Trainingss­chanzen, auf denen dann der Nachwuchs das ganze Jahr trainieren kann“, formuliert Christian Moser einen frommen Wunsch recht konkret. Sein Traum: eine 50-Meter-Mattenscha­nze, die das ganze Jahr über in Betrieb ist.

Es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass es in Wien eine Skisprungs­chanze gibt. Die letzte, sie stand auf der Himmelhofw­iese gegenüber dem Bahnhof Hütteldorf, ist allerdings 1980 abgebrannt. Brandstift­ung. Weitere Schanzen gab es im Kasgraben in Penzing und am Cobenzl. Aber auch das ist Schnee von gestern.

Gespräche und Bereitscha­ft von der Stadtgemei­nde gibt es jedenfalls. Das signalisie­rt auch Stadtrat Peter Hacker, der für Sportagend­en zuständig ist. Er kommt mit einer kleinen Entourage zum Schnuppert­raining ins Stadion hereingesc­hneit: „Eine Skisprungs­chanze in Wien? Das Vorhaben ist so absurd, dass es schon wieder interessan­t ist“, erklärt Hacker und führt aus, dass sich Rahmenbedi­ngungen geändert haben und damit auch mögliche Rentabilit­ätsfaktore­n: „Man braucht ja nicht mehr unbedingt Schnee, um den Sport auszuüben.“Was es allerdings schon braucht, ist ein Standort und vor allem: „Starke Partner aus der Wirtschaft, die dieses Vorhaben finanziell mittragen“, so Hacker.

In der Zwischenze­it wird die nächste Gruppe an Sprungnovi­zen von Florian Danner instruiert. Es läuft wie am Schnürchen.

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Fotos: Christian Fischer ABFLUG 600 Anmeldunge­n gab es, aber nur 300 Plätze für das erste Schnuppert­raining im Ernst-Happel-Stadion.

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