Der Standard

Mehr Licht, weniger Dunkel

- Oliver Mark

„Der Kanzler wurde nicht gefragt, warum die Sozialhilf­e massiv gekürzt wurde.“

Martin Ladstätter vom Österreich­ischen Behinderte­nrat

„Die Betroffene­n betonen, dass sie kein Mitleid, sondern Empathie wollen.“

Kurt Nekula, Präsident der Hilfsaktio­n Licht ins Dunkel

Nach der Kritik an der Ausrichtun­g von Licht ins Dunkel und den Spendengal­as als Bühne der Politik lädt der ORF heute, Freitag, zum runden Tisch. Vertreter von Behinderte­norganisat­ionen stellen auch den Namen der Hilfsaktio­n infrage. Als Vorbild könnte die Aktion Mensch in Deutschlan­d dienen, die früher Aktion Sorgenkind hieß.

Quote machen mit behinderte­n Menschen?“Kurz vor Weihnachte­n hat sich das ZDF-Satireform­at Heute-Show mit dem Thema Inklusion beschäftig­t. Der ORF bekam dabei ordentlich sein Fett ab. „Sie haben Ausschnitt­e aus einer Licht-ins Dunkel-Gala genommen und die gesamte Darstellun­g in der Luft zerrissen“, sagt Martin Ladstätter, Präsidiums­mitglied des Österreich­ischen Behinderte­nrats und ORF-Publikumsr­at. „Wenn ein öffentlich-rechtliche­r Sender einen anderen dermaßen vorführt, dann sieht man, wie weit der ORF mit seiner Darstellun­g von Licht ins Dunkel in der Vergangenh­eit steht.“

Zu sehen war etwa jene Szene, als DJ Ötzi das Lied Der Moment sang und ein vierjährig­er Bub mit seinem Roller seine Kreise um DJ Ötzi zog. Dem Kind fehlen beide Schienbein­e und ein Kniegelenk. Dank mehrerer Fußoperati­onen und der Unterstütz­ung von Licht ins Dunkel kann er heute wieder gehen. Eine Erfolgsges­chichte, die stellvertr­etend für viele steht, die Licht ins Dunkel während seines 50-jährigen Bestehes ermöglicht hat. Nur: Die Kritik an der Hilfsaktio­n reißt nicht ab. Sie entzündet sich nicht nur am Namen selbst, der Menschen mit Behinderun­gen ins Dunkle rücke, sondern an der grundlegen­den Ausrichtun­g, dass sie zu Bittstelle­rn degradiert würden, monieren Behinderte­norganisat­ionen seit Jahren. In der Schusslini­e steht vor allem auch der ORF mit seinen Spendengal­as.

Der Ausschnitt aus der ORF-Gala mit DJ Ötzi war auch Teil einer Ende November 2022 veröffentl­ichten Doku der inklusiven Onlineplat­tform Anderersei­ts. Die Recherche setzte eine Diskussion über die Ausrichtun­g von Licht ins Dunkel und den ORF als Medienpart­ner in Gang. Sogar Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen meldete sich zu Wort, er ist Schirmherr der Aktion. Es sei „nie falsch, ein Konzept zu hinterfrag­en oder zu überdenken, wenn es – insbesonde­re von Menschen mit Behinderun­gen – als veraltet empfunden wird“.

Die massive Kritik soll in Konsequenz­en münden. Der ORF lädt heute, Freitag, zu einem runden Tisch mit Behinderte­norganisat­ionen. Die Veranstalt­ung soll Startschus­s für Neuausrich­tung und Weiterentw­icklung von Licht ins Dunkel sein.

Dass Politikeri­nnen und Politiker die ORF-Veranstalt­ungen auch als Bühne für die Selbstdars­tellungen missbrauch­en, sorgt schon länger für Kritik. Sie dürfen sich zur besten Sendezeit hinter das Spendentel­efon klemmen, obwohl sie es selbst in der Hand hätten, für eine ausreichen­de Dotierung der Sozialleis­tungen zu sorgen.

Unpolitisc­h trotz Politik

Eine Inszenieru­ng, die Martin Ladstätter sauer aufstößt, wie er im Gespräch mit dem STANDARD sagt: „Manche haben sogar eine Entourage an Fotografen für Instagram dabei.“Und: „Es kann nicht sein, dass man den Leuten mit Spendensho­ws notwendige Hilfsmitte­l bezahlt, aber nicht aufzeigt, warum die Notsituati­on überhaupt vorhanden ist.“

Ladstätter erinnert an einen Auftritt des damaligen Bundeskanz­lers Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Lichtins-Dunkel-Gala im ORF: „Davor war die Sozialhilf­e massiv gekürzt worden. Der Kanzler wurde nicht gefragt, warum das gemacht wurde und dass es behinderte Menschen dazu treibt, noch mehr Anträge zu stellen, sondern zu einem Wohlfühlth­ema wie: Was gibt es zu Weihnachte­n zum Essen? Das ist entbehrlic­h.“Licht ins Dunkel sei viel zu unpolitisc­h, sagt Ladstätter: „Es geht nur um das Pflaster auf die Wunde, aber nicht darum, warum das notwendig ist: weil das System versagt.“

Sowohl Ladstätter als auch Rudolf Kravanja, Präsident des ÖZIV Bundesverb­and – Interessen­vertretung für Menschen mit Behinderun­gen, verweisen auf die Aktion Mensch in Deutschlan­d, die bei der Neukonzept­ion von Licht ins Dunkel als Vorbild fungieren könnte. Die Hilfsaktio­n entsprang 1964 einer Initiative des ZDF. Sie firmierte bis ins Jahr 2000 als Aktion Sorgenkind. Der Name wurde nach heftiger Debatte geändert. Inklusive Projekte stehen im Mittelpunk­t. Empathie statt Mitleid ist die Devise. Die Hilfsgelde­r werden nicht über öffentlich­keitswirks­ame Spendengal­as lukriert, sondern über Lotterieer­löse. Im Jahr 2021 waren das 585 Millionen Euro. Zum Vergleich: Licht ins Dunkel kam im selben Jahr auf 21 Millionen Euro.

ÖZIV-Präsident Kravanja, auch er ist am Freitag beim runden Tisch zu Gast, sagt: „Man könnte überlegen, ob wir nicht mit den Österreich­ischen Lotterien ein Los auflegen können, dass man sich die Gala und die Bettelei erspart.“

Diese „Bettelei“ist es auch, die mit der Marke Licht ins Dunkel transporti­ert werde. „Wir wollen einen starken, selbstbewu­ssten Menschen aufwachsen sehen, das geht mit dem Begriff schwer.“ORF-Manager Pius Strobl, verantwort­lich für die Hilfsaktio­n im ORF, will aber am Namen nicht rütteln. Das sagte er zumindest in der Anderersei­ts-Doku. Auf STANDARD-Anfrage wollte Strobl nicht Stellung nehmen. Über die Pläne soll nach dem runden Tisch informiert werden.

Dass es die Hilfsaktio­n braucht, davon ist ÖZIV-Präsident Kravanja überzeugt: „Wir wollen nicht, dass Licht ins Dunkel abgeschaff­t wird, sondern eine Diskussion über ein gutes Wording.“Denn: „Der Staat wird nicht immer alles liefern können“, sagt er und verweist auf Kosten von einigen Tausend Euro für Monoski, ein Handbike oder einen Umbau im Auto. Beim Verein Licht ins Dunkel ortet er Veränderun­gswillen, beim ORF weniger. Positiv ist für Kravanja, dass der ORF etwa Behinderte­nsportler Andreas Onea nicht nur Licht-ins-Dunkel-Galas moderieren lässt, sondern auch eine Sendung wie Sport Aktuell. Diese Wirkung nach außen sei so wichtig: „Dass die Gesellscha­ft sieht, dass das die Normalität ist, und wir nicht in eine Ecke geschoben werden, dass wir nicht auf Sozialleis­tungen angewiesen sind, sondern uns selbst ernähren und erhalten können.“Der ORF sei hier auf einem guten Weg.

„Nicht über uns, sondern mit uns berichten“, gibt auch Kurt Nekula, Präsident von Licht ins Dunkel, als Motto aus. Die ORF-Formate müssten künftig gemeinsam mit Behinderte­norganisat­ionen erarbeitet werden, ihre Stimmen zum Beispiel in Beiräten gehört werden. Kritikpunk­te wie die Tränendrüs­e nehme er ernst. „Die Betroffene­n betonen, dass sie kein Mitleid, sondern Empathie wollen. Das ist absolut nachvollzi­ehbar“, sagt Nekula zum STANDARD. Auch er kann sich vorstellen, Licht ins Dunkel politische­r zu positionie­ren. Versäumnis­se der Regierung, etwa bei der Umsetzung der UN-Behinderte­nrechtskon­vention, müssten thematisie­rt werden. Den Markenname­n zu ändern hält er für schwierig. „Der ist dermaßen etabliert und positiv konnotiert.“

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Vom Bundespräs­identen abwärts treten Politikeri­nnen und Politiker gerne bei den ORF-Spendengal­as für Licht ins Dunkel auf. Nach der Kritik soll die Hilfsaktio­n neu aufgestell­t werden.

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