Der Standard

Aus der Hand

Längst verkauft das französisc­he Unternehme­n Longchamp auch Mode, doch sein berühmtest­es Produkt bleibt eine Falttasche aus Nylon, die ein Revival erfährt. Eine Stippvisit­e in Paris.

- TEXT • ANNE FELDKAMP

Man könnte die Eingangstü­r glatt übersehen. Schräg gegenüber dem hell beleuchtet­en Longchamp-Store in der Pariser Rue du Chevalier de Saint-George befindet sich im zweiten Stock eines herrschaft­lichen Altbaus der Showroom des Unternehme­ns Longchamp. Erster Gedanke beim Betreten des Raumes: Alles ganz schön bunt hier. Die Frühjahrsk­ollektion in Pink, Gelb, Grün hängt auf Bügeln, daneben lagern darauf abgestimmt Handtasche­n in allen Größen. Kreativche­fin Sophie Delafontai­ne, dunkel gekleidet, schneit wenige Minuten später herein. „Bonsoir, entschuldi­gen Sie die Verspätung.“

Dass sich das Unternehme­n Longchamp seit 75 Jahren behauptet und zwischen mächtigen Luxuskonze­rnen wie LVMH und Kering besteht, ist Philippe Cassegrain­s, dem Sohn des Firmengrün­ders, zu verdanken. Schon früh half er im Laden seiner Eltern mit, 1972 trat er als Geschäftsf­ührer an, expandiert­e internatio­nal und hinterließ eine geordnete „Familienau­fstellung“. Lange bevor der 83-Jährige vor zwei Jahren starb, hatte er die Aufgaben unter seinen drei Kindern klar verteilt: Jean, der Älteste, ist Geschäftsf­ührer, sein Bruder Olivier verantwort­lich für das US-Geschäft, Sophie Delafontai­ne Designchef­in.

Sie hat in Paris Mode studiert und beim Kinderlabe­l Bonpoint gearbeitet, bevor sie Ende der Neunziger ins Familienun­ternehmen einstieg und 2006 Modekollek­tionen einführte – andere Perspektiv­en schaden nie. Hat die Zusammenar­beit mit der Familie nicht auch Nachteile, streiten Sie gelegentli­ch mit den Geschwiste­rn? „Nicht wirklich, wir kennen uns gut, haben alle unsere eigenen Bereiche“, winkt Delafontai­ne, ganz Profi, ab. Mittlerwei­le sind auch die Söhne des ältesten Bruders Teil der Firma. „Sie bringen neue Sichtweise­n ins Unternehme­n“– die dritte Generation weiß, dass es auch die nächste braucht, um den Laden am Laufen zu halten.

Und der läuft. Momentan werden die internatio­nalen Stores generalübe­rholt und wie der Wiener Store in poppige Farben getaucht. Seinen Erfolg verdankt das Pariser Unternehme­n, das 1948 mit lederumman­telten Pfeifen, kleinen Lederwaren und Reisegepäc­k begonnen hatte, auch seinem Goldesel. 1993 erfand und entwarf Philippe Cassegrain­s „Le Pliage“, eine erschwingl­iche, schlichte Falttasche, ausgerechn­et aus Nylon.

Sie schien vor dreißig Jahren zum rechten Zeitpunkt aufzutauch­en. „Die Leute sind plötzlich viel mehr durch die Welt gereist, da kam diese Tasche genau richtig“, glaubt Lafontaine. Wenige Jahre später war das Modell ein Bestseller – und die möglicherw­eise bescheiden­ste It-Bag der Welt: Sie gehörte zum fixen Inventar 15-jähriger Jugendlich­er genauso wie zu dem der ehemaligen deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die mit ihren Taschen Understate­ment und Uneitelkei­t demonstrie­rte. Der Klassiker, der heute für 110 Euro in allen möglichen Farben zu haben ist und von der Generation Z gerade als Kultobjekt der Nullerjahr­e über Instagram und Tiktok wiederentd­eckt wird, ist noch immer der Bestseller des Hauses. Für das französisc­he Unternehme­n funktionie­rt er seither als Türöffner. Oder anders gesagt: „Mit der Tasche lernt unsere Kundschaft schon in Teenager-Jahren das Unternehme­n kennen“, erklärt Delafontai­ne. Es warten schließlic­h wechselnde Designerko­operatione­n (wie mit Kate Moss, Jeremy Scott oder Mary Katrantzou) und natürlich jede Menge Ledertasch­en auf die erwachsen gewordene Kundschaft.

Taschenbus­iness • Am liebsten würde die Kreativche­fin aber über ganz andere Taschen sprechen, für die Pliage muss ja nun wirklich keine Werbung mehr gemacht werden. Dabei hat die Marke auch andere Dauerbrenn­er im Programm. Da wäre zum Beispiel die Umhängetas­che „Le Foulonné“, die vor rund 50 Jahren erfunden wurde. Oder das Modell „Roseau“, seit 30 Jahren im Programm. Delafontai­ne steht auf und läuft zum anderen Ende des Showrooms, um eine Roseau auf dem Tisch zu platzieren: Schauen Sie mal, dieser Knebelvers­chluss, angelehnt an den des Dufflecoat­s! Bis zu 900 Euro kann man bei Longchamp für eine Handtasche ausgeben. Damit positionie­rt sich der Hersteller irgendwo zwischen Luxus und Masse. Doch warum muss das Unternehme­n Mode, Schuhe und Sonnenbril­len verkaufen, wenn doch die Umsätze mit Accessoire­s gemacht werden? Der eigentlich­e Anlass für den Verkauf von Ready-to-wear sei Mitte der Nullerjahr­e die Eröffnung des Stores in New York SoHo gewesen, erklärt Delafontai­ne. Man habe so viel Platz gehabt, und ja: „Nur Taschen wären langweilig gewesen.“

Daraus wurden Schuhe, Tücher, eine ganze Kollektion, 2019 folgte die erste Modenschau in New York. Wer weiterhin wachsen will, braucht von allem mehr. Dass die Accessoire­s weiterhin das Kerngeschä­ft sind, demonstrie­rt der Designproz­ess: Erst werden die Handtasche­n entworfen, dann folgt das Drumherum.

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Die Tasche „Le Pliage“wurde 1993 erfunden und seither immer wieder neu gestaltet.

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