Der Standard

Wenn mir kalt ist, trete ich in die Pedale

Beruflich kämpft Andre Wolf gegen Fake News, privat gegen hohe Energiekos­ten und die Klimakrise. Daher haben er und seine Frau ihr Wohnverhal­ten geändert – und Heizung und Gasherd ausgeschal­tet.

- PROTOKOLL: Franziska Zoidl

„Wir lebten in der Nähe von Bielefeld und hatten gute Jobs und eine schöne Eigentumsw­ohnung. Eines Abends vor mittlerwei­le acht Jahren kam eine E-Mail mit dem Job-Angebot aus Wien. Ich hab es gleich meiner Frau gezeigt, sie hat genickt – und ich hab sofort zurückgesc­hrieben: ‚Wir kommen.‘

Danach haben wir uns erst mal gefragt, was wir da gerade getan hatten. Das war ein richtiger Lebensbruc­h. Wir wussten gar nicht, wie eine Großstadt funktionie­rt.

Mein Arbeitskol­lege ist in Wien dann für mich losgezogen und hat diese Wohnung gefunden. Wir haben also ganz viel Kaution, Provision, Miete überwiesen, ohne die Wohnung je gesehen zu haben – und sind losgefahre­n. Als wir hier das erste Mal reinkamen, sahen wir eine große, leere, weiße Wohnung. Genau wie wir es uns gewünscht hatten!

Diese Wohnung ist nicht schön in einem herkömmlic­hen Sinne – es ist kein Altbau mit Stuck an der Decke, sondern ein Nachkriegs­bau. Aber sie ist gut geschnitte­n und so effizient, wie man es sich als Deutscher wünscht. Vor wenigen Jahren wurde die Fassade komplett neu gemacht und gedämmt. Das macht sich nun bezahlt. Denn wir haben mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs unser Wohnverhal­ten komplett verändert. Geheizt wird bei uns seither nur noch, wenn es unter 15 Grad hat – und wenn, wie heute, Besuch kommt.

Wir haben uns stattdesse­n eine schöne Heizdecke gekauft. Es ist effiziente­r, eine Stunde mit der Decke dazusitzen, als das ganze Zimmer aufzuheize­n. Wir sitzen natürlich nicht im T-Shirt in der Wohnung. Ich hab mir schon zu Beginn der Pandemie einen HausOveral­l geholt. Und ich habe ein Klapprad. Wenn mir wirklich kalt ist, stell ich es ins Wohnzimmer und trete in die Pedale.

Auch unseren Gasherd haben wir seit bald einem Jahr nicht mehr benutzt. Ich hab ihn mit einem kleinen Schalter versehen, damit man ihn nicht unabsichtl­ich einschalte­t. Dafür kommen jetzt eine kleine Kochkugel, Induktions­platten und andere Kleingerät­e zum Einsatz. Außerdem dusche ich seit einem Jahr kalt. Ich mache viel Sport, und wenn ich vom Laufen aus dem Prater heimkomme, bin ich sowieso durchgefro­ren. Da kann ich mich auch gleich kalt duschen.

Leider sind unsere Fenster nicht die besten. Daher habe ich Styroporpl­atten aus dem Baumarkt auf die Fenstergrö­ße zugeschnit­ten. Im Sommer kommen sie von innen an die Fenster, damit sich die Wohnung untertags nicht so aufheizt. Im Winter nutzen wir sie in ganz kalten Nächten, damit die Energie nicht an der kalten Fenstersch­eibe verpufft.

Warum das Ganze? Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens, ganz klar: Ich bin knausrig. Ich hatte keine Lust, hunderte Euro für Strom und Gas zu zahlen. Und dann gibt es natürlich den Umweltaspe­kt. Sicherlich – das ist immer schön dahergesag­t. Es sind viele Punkte, die beim Klimaschut­z angegangen werden müssen, und wir Individuen alleine werden es nicht schaffen. Aber ich kann meinen Teil beitragen – und der kann beträchtli­ch sein.

Vor wenigen Tagen kam unsere Stromund Gas-Rechnung: Wir haben unseren Gasverbrau­ch im Vorjahr um 75 Prozent gesenkt, den Stromverbr­auch um ein Viertel, und bekommen mehr als 500 Euro zurück. Eines darf man aber nicht vergessen: Wir haben eine urbane Wohnung, die mitten im Haus liegt und daher nicht so stark auskühlt. Wir haben keine Kinder, und wir sitzen auch nicht im Homeoffice.

Ich möchte meine Entscheidu­ng niemandem aufdrängen. Aber ich kann durchaus zeigen, dass es funktionie­rt. Unseren Pflanzen machen die niedrigen Temperatur­en übrigens nichts aus, im Gegenteil.

Ich hoffe, dass unser nächster Mietvertra­g für diese Wohnung unbefriste­t ist. Dann bleiben wir erst mal hier. Ein Balkon wäre natürlich schön, aber das ist schwer leistbar. Für mich heißt das, dass ich mir meinen Balkon anderweiti­g schaffe. An schönen Tagen setz ich mich daher mal für eine Stunde in den Park. Dann ist das eben mein Garten.

Das ist im Sommer wirklich herrlich!

Andre Wolf, geb. 1977 in Versmold im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen, studierte Theologie und ist seit acht Jahren Pressespre­cher bei Mimikama, einem Verein zur Aufklärung über Internetmi­ssbrauch, der auch die Facebook-Seite „ZDDK – Zuerst denken, dann klicken“betreibt. 2020 gewann er mit Mimikama den Menschenre­chtspreis der Düsseldorf­er Philharmon­iker. Er arbeitet zudem sowohl in der Bundesstel­le für Sektenfrag­en im Ausschuss Verschwöru­ngstheorie als auch im No Hate Speech Komitee Austria. Wolf ist außerdem seit Jahren fester Bestandtei­l der ORF-Show „Fakt oder Fake“.

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Foto: Lisi Specht Andre Wolf in seiner Wohnung in WienLandst­raße, die er ohne Besichtigu­ng genommen hat.
 ?? Fotos: Lisi Specht mimikama.org ?? Der Gasherd bleibt seit fast einem Jahr ausgeschal­tet, dafür kommen die Kochkugel und andere Kleingerät­e zum Einsatz. Erst bei 15 Grad wird in Andre Wolfs Wohnung geheizt – den Pflanzen macht das augenschei­nlich nichts aus.
Fotos: Lisi Specht mimikama.org Der Gasherd bleibt seit fast einem Jahr ausgeschal­tet, dafür kommen die Kochkugel und andere Kleingerät­e zum Einsatz. Erst bei 15 Grad wird in Andre Wolfs Wohnung geheizt – den Pflanzen macht das augenschei­nlich nichts aus.
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