Der Standard

„Die Möglichkei­t, etwas zu verhindern“

Der Kampf gegen weibliche Genitalver­stümmelung ist kein einfacher, weiß Umyma El-Jelede, langjährig­e Beraterin im Frauengesu­ndheitszen­trum FEM Süd. Wichtig dabei sei es, auch Männer miteinzube­ziehen.

- INTERVIEW: Noura Maan UMYMA EL-JELEDE, 1972 in der sudanesisc­hen Hauptstadt Khartum geboren, ist Beraterin im Frauengesu­ndheitszen­trum FEM Süd mit Schwerpunk­t FGM.

Weltweit haben 200 Millionen Mädchen und Frauen Female Genital Mutilation (FGM) erfahren, in Österreich geht man von 8000 Betroffene­n aus. Umyma El-Jelede, die seit mehr als 15 Jahren Beratungen bezüglich FGM durchführt, spricht über die Folgen weiblicher Genitalver­stümmelung für Betroffene und die Herausford­erung, Männer zu erreichen.

STANDARD: Warum hält sich FGM bis heute?

El-Jelede: In den Ländern, in denen FGM praktizier­t wird, hat es einen hohen Stellenwer­t, es hat Bedeutung. Hier spricht man von Genitalver­stümmelung, aber die Frauen etwa aus dem Sudan, Somalia oder Ägypten bezeichnen sich als „rein“. Allein welche Worte man wählt, macht einen Unterschie­d. Es werden auch medizinisc­he Gründe genannt, die aber nichts mit Schulmediz­in zu tun haben. Sie denken, es steigert die Fruchtbark­eit, schützt die Gebärmutte­r und das Kind. Es gibt keine Aufklärung in den Ländern, in denen es praktizier­t wird, in den Communitys selbst. Man lernt nicht, was Frauengesu­ndheit, schmerzfre­ie Regelblutu­ng und Frauenrech­te bedeuten. Man kann es auch nicht klar in Kultur oder Religion trennen: Islam, Christentu­m, afrikanisc­he Naturrelig­ion – alle praktizier­en FGM.

STANDARD: In vielen Ländern gibt es mittlerwei­le Verbote. Geht FGM dadurch zurück?

El-Jelede: Die Gesetze gibt es, glaube ich, nur, damit man in puncto Menschenre­chte sagen kann: Wir haben das. In Wirklichke­it gibt es aber keine richtige Arbeit gegen FGM. Es gibt keine Beratungss­tellen, weil das dort Normalität ist, es ist Teil des Frauenlebe­ns.

STANDARD: Welche Formen von FGM gibt es?

El-Jelede: Die WHO unterschei­det drei Hauptforme­n: Klitoridek­tomie, Exzision, Infibulati­on. Bei der Klitoridek­tomie werden „nur“die Klitorissp­itze mit der Klitorisvo­rhaut entfernt. Bei der Exzision werden Klitorissp­itze mit Klitorisvo­rhaut und die kleinen Schamlippe­n zum Teil oder ganz entfernt und dann zugenäht. Die extremste Form ist die Infibulati­on, wo zusätzlich die groBelastu­ngsstörung ßen Schamlippe­n entfernt werden und dann bis zu einer kleinen Minimalöff­nung zugenäht wird.

STANDARD: Was sind die Folgen für Betroffene, physisch und psychisch? El-Jelede: Die Menstruati­onsblutung kann sehr schmerzhaf­t sein, häufig treten auch Entzündung­en auf, Unterleibs­schmerzen, Schmerzen beim Sex. Bei einer Exzision und Infibulati­on sind Vaginalunt­ersuchunge­n sehr schwierig, eine vaginale Geburt ist eigentlich nicht möglich. Die Rückoperat­ion wird hier empfohlen. Über die psychische­n Auswirkung­en wird in den betroffene­n Ländern wenig gesprochen. Depression, posttrauma­tische

– das sind übliche Sachen hier. Ich arbeite mit den Frauen seit 15 Jahren zusammen, ich komme aus dem Sudan, einem Land mit hoher Betroffenh­eit, wenn ich ihnen diese Krankheite­n nenne, lachen sie mich manchmal nur aus. Die Frauen erleben hier mehr Trauma, wenn sie beim Arzt sind und hören: „Um Gottes willen, was ist Ihnen passiert, wie schlafen Sie mit Ihrem Mann.“Viele wissen nicht, welche Verletzung­en sie haben.

STANDARD: Wie erreichen Sie Betroffene?

El-Jelede: Die meisten nehmen direkt über die Community Kontakt auf, Mundpropag­anda ist für uns sehr wichtig. Andere kommen über Asyleinric­htungen oder Spitäler zu uns. In den Seminaren sind wir sehr vorsichtig. Wir sagen nicht: Heute geht es um FGM. Das Thema ist zum Beispiel allgemein „Frauengesu­ndheit“. Das Setting ist für Frauen angenehm, wir sitzen wie Freundinne­n zusammen. Es ist sehr wichtig, wie wir mit ihnen sprechen: In der Mutterspra­che, kultursens­ibel, wir verstehen ihre Werte, was das für sie bedeutet. Wir vermeiden zu sagen, dass ihnen Gewalt angetan wurde, dass sie unrein sind. Es geht viel um Konsequenz­en: Schmerzen bei der Regelblutu­ng, Risikogebu­rten, Probleme mit Infektione­n.

STANDARD: Wird FGM in Österreich durchgefüh­rt?

El-Jelede: Theoretisc­h kann es sein. Ein Arzt oder eine Ärztin, die es in ihrer Heimat getan hat, kann es auch hier tun. Aber ich habe das noch nie aus der Community so kommunizie­rt bekommen. Die meisten kommen schon „beschnitte­n“oder sind es nach einem Urlaub. Einmal bin ich gefragt worden, ob ich eine Beschneidu­ng durchführe­n kann. Das war ein Schock – aber anderersei­ts hatte ich die Möglichkei­t, etwas zu verhindern.

STANDARD: Hinter FGM stehen patriarcha­le Strukturen und Männer, die die Praxis forcieren. Erreicht man die?

El-Jelede: Es ist schwierig, aber nicht unmöglich. Wenn man den richtigen Zugang zur Community hat, erreicht man sie, aber man muss sehr sensibel und sehr vorsichtig sein. Wir reden nicht über das Patriarcha­t oder Gewalt, so wie wir jetzt in diesem Interview. Man redet über Männergesu­ndheit und Frauengesu­ndheit, dann kommt man zu Regelblutu­ng und Schwangers­chaft. Und dann kommt man zum Thema FGM. Es ist wichtig, dass es diese Angebote und auch ein Budget für Männergesu­ndheit gibt, denn die Männer wurden zurückgela­ssen. Die Frauen haben sich sehr schnell entwickelt, es gibt viele Angebote für sie, sie sind gut informiert, sie bekommen Unterstütz­ung. Und die Männer stehen da, wo sie vorher waren. Wenn man ihnen das nicht erklärt, dass FGM nichts mit Reinheit zu tun hat, ändern sie ihr Verhalten nicht.

 ?? ?? Eine Demonstrat­ion gegen weibliche Genitalver­stümmelung am 6. Februar, dem internatio­nalen Tag gegen FGM, vor vier Jahren in der deutschen Hauptstadt Berlin.
Eine Demonstrat­ion gegen weibliche Genitalver­stümmelung am 6. Februar, dem internatio­nalen Tag gegen FGM, vor vier Jahren in der deutschen Hauptstadt Berlin.
 ?? Foto: FEM Süd ?? Mundpropag­anda sei für FGM-Beratungen sehr wichtig, sagt Umyma El-Jelede.
Foto: FEM Süd Mundpropag­anda sei für FGM-Beratungen sehr wichtig, sagt Umyma El-Jelede.

Newspapers in German

Newspapers from Austria