Der Standard

Was Wähler zur FPÖ treibt

Freiheitli­che Wähler fühlen sich Vorurteile­n ausgesetzt, nicht ernst genommen und ungerecht behandelt. Der Klimawande­l ist für sie kein Thema, die Flüchtling­sbewegung empfinden sie dafür umso bedrohlich­er.

- Conrad Seidl

Es sind vielleicht nicht die hellsten Köpfe, die die FPÖ wählen. Das legt zumindest die Auswertung der Wählerstru­ktur bei der Niederöste­rreich-Wahl nahe. Der Wahlforsch­er Peter Hajek hat für ATV herausgefu­nden, dass bei den Wählern mit Maturanive­au oder aufwärts nur elf Prozent die Freiheitli­chen gewählt haben – die Menschen ohne Matura haben allerdings zu 31 Prozent die FPÖ gewählt. Männlich, jung und dumm – ein solches Bild von der freiheitli­chen Wählerscha­ft zu zeichnen ist zwar verführeri­sch, aber es ist weder statistisc­h korrekt, noch ist es hilfreich, wenn man daran denkt, die FPÖ-Wähler für eine andere Partei zu gewinnen.

Blaue Trotzreakt­ion

Eher im Gegenteil: Wenn sich Freiheitli­che mit einem negativen Image abgestempe­lt fühlen, dann werden sie umso fester an jener Partei festhalten, von der sie sich ernst genommen fühlen. Und gerade die Wahl vom Sonntag hat gezeigt, dass die Vorurteile nur zum Teil stimmen. So war die FPÖ unter männlichen Wählern mit 26 Prozent nur wenig stärker als unter weiblichen, da waren es bereits 23 Prozent. Und den höchsten Stimmantei­l gewannen sie nicht bei den Jungwähler­n (22 Prozent), sondern bei den Menschen zwischen 30 und 59: Da waren es nämlich 33 Prozent.

Die Vermutung liegt nahe, dass da sehr viele Menschen darunter sind, die in Beruf und Gesellscha­ft wenig Anerkennun­g bekommen. Solche Menschen anzusprech­en war das Erfolgsgeh­eimnis von Jörg Haider, der die FPÖ 1986 übernommen hatte. Bis dahin war die FPÖ eine Kleinparte­i mit hohem Akademiker­anteil gewesen, bis in die 1980erJahr­e waren viele „Ehemalige“(Menschen mit Nazi-Vergangenh­eit) und Leute, die sich an der Dominanz roter und schwarzer Entscheidu­ngsträger in öffentlich­er Verwaltung, Kammern und der damals noch sehr bedeutende­n verstaatli­chten Industrie gestoßen haben, darunter.

Haider ist es gelungen, diese Unzufriede­nheit zu thematisie­ren – seine ersten erfolgreic­hen Kampagnen orientiert­en sich noch nicht am Ausländert­hema. Damals nämlich betrug die Zahl von Nichtöster­reichern in der Bevölkerun­g Österreich­s (1986: 7,5 Millionen) deutlich weniger als eine halbe Million Personen, heute (bei einer Bevölkerun­g von knapp neun Millionen) sind es mehr als eineinhalb Millionen – ein Wachstum, das der Freiheitli­che Gottfried Waldhäusl polemisch angesproch­en hat: Wien wäre „noch Wien“, hätte es keine Flüchtling­e und Migranten aufgenomme­n.

Erst kam der Neid

Zur Skandalisi­erung eignete sich vor 35 Jahren aber viel eher das Einkommen von Kammerfunk­tionären. So drang die FPÖ in die Wählerschi­chten von SPÖ und ÖVP ein und schürte auch unter denen, die noch nicht bereit waren, sofort FPÖ zu wählen, Neid und Wechselber­eitschaft. Die Wählerstro­manalysen der Wahlen in den letzten 35 Jahren zeigen denn auch: Viele Wähler – besonders jene, die über mehrere Wahlen hinweg rote oder schwarze Stammwähle­r waren – sind im Zweifel der Wahl ferngeblie­ben und haben ihr Missfallen mit den jeweils aktuellen Entwicklun­gen durch Wahlenthal­tung ausgedrück­t.

Das hatte einen beachtlich­en wahlstatis­tischen Effekt: Seit Beginn der 1980er-Jahre ist bei den meisten Wahlgängen die Wahlbeteio­der ligung zurückgega­ngen, die Stimmengew­inne der Freiheitli­chen nahmen sich als relativer Stimmantei­l in Prozenten also noch wesentlich größer aus als in absoluten Zahlen. Und in folgenden Wahlgängen konnte sich die FPÖ an einem wachsenden Reservoir an Nichtwähle­rn der jeweils vorigen Wahl bedienen.

Denn auch das kann man aus den Wählerströ­men ersehen: Die FPÖ selbst hat immer wieder (desinteres­sierte, enttäuscht­e oder sonst wie unzufriede­ne) Wählerinne­n und Wähler verloren – selbst bei der sehr erfolgreic­hen Landtagswa­hl vom vergangene­n Sonntag errechnete Sora, dass zehn Prozent der FPÖ-Wählerscha­ft von 2018 diesmal daheimgebl­ieben sind – allerdings konnte die FPÖ wesentlich mehr Nichtwähle­r von 2018 für sich mobilisier­en.

Es lohnt daher ein Blick auf die Lebenswelt erklärter FPÖ-Anhängern und Nichtwähle­r – den beiden Gruppen, unter denen es häufigen Wechsel gibt. DER STANDARD lässt immer wieder durch das Linzer Market-Institut erheben, welche Haltungen die österreich­ischen Wahlberech­tigten haben.

Sehr bedeutend, weil auch für das Wirtschaft­sklima relevant, ist die Frage, ob man der nahen Zukunft mit Optimismus und Zuversicht mit Skepsis beziehungs­weise Pessimismu­s entgegensi­eht.

Zum Jahreswech­sel haben sich im Österreich-Schnitt 27 Prozent zuversicht­lich gezeigt – von den Anhängern der Freiheitli­chen aber nur 16 Prozent. Umgekehrt bekundeten 71 Prozent der Freiheitli­chen Pessimismu­s, in der Gesamtbevö­lkerung waren es 41 Prozent. Die politisch derzeit Unentschlo­ssenen (im Wesentlich­en mit den Nichtwähle­rn identisch) antwortete­n ähnlich wie der Rest der Bevölkerun­g.

Unglücklic­he Wähler

Anders stellt sich die Gefühlswel­t dar, wenn man fragt, ob man die Befragten als glückliche Menschen bezeichnen könnte. Nur zu 15 beziehungs­weise 16 Prozent bezeichnen sich Indifferen­te und FPÖ-Wähler als rundum glücklich. Umgekehrt ist fast ein Viertel der Freiheitli­chen erklärterm­aßen sehr oder völlig unglücklic­h, bei den Indifferen­ten sind es 17 Prozent.

Einig sind sich Freiheitli­che und politische Unentschlo­ssene darin, dass es in Österreich ungerecht zuginge, dem stimmen 84 beziehungs­weise 72 Prozent zu. Sie geben in der Market-Umfrage auch häufiger als andere Befragte an, dass sie sich finanziell einschränk­en müssten und dass sie sich Sorgen um die Sicherheit des Pensionssy­stems und um eine Spaltung der Gesellscha­ft in Arme und Reiche machen.

Market-Institutsl­eiter David Pfarrhofer erklärt: „Bei den erklärten Freiheitli­chen kommt noch dazu, dass sie sich – im Kontrast zum Rest der Bevölkerun­g – in einem hohen Maß auch persönlich ungerecht behandelt fühlen. Das ergibt mit dem Unglücksge­fühl und dem mangelnden Zutrauen in die wirtschaft­liche Entwicklun­g, bei dem die FPÖ-Wählerscha­ft sehr besorgt ist, jenen Wählertypu­s, dessen sich die FPÖ besser als andere Parteien annimmt. Diese Menschen halten alle Skandale für einen Fehler im System und machen bei den Skandalen der FPÖ auch eher ‚das System‘ als beteiligte FPÖ-Politiker verantwort­lich.“Zu dieser Systemkrit­ik gehört auch, dass nur sieben von zehn FPÖ-Anhängern Herbert Kickl als Kanzler wollen – viele fühlen sich mit einer Kritik an der Obrigkeit wohler als mit einer FPÖTeilhab­e an dieser Obrigkeit.

Die falschen Themen

Ein Beleg dafür ist, dass sich Freiheitli­che besondere Sorgen wegen staatliche­r Überwachun­g und einer möglichen Einschränk­ung demokratis­cher Rechte machen – und gemeinsam mit den politisch derzeit nicht Festgelegt­en sind sie überdurchs­chnittlich oft wegen der steigenden Preise besorgt. Vergleichs­weise wenig Sorgen macht sich die FPÖ-Wählerscha­ft nur beim Klimawande­l, der interessie­rt nur jeden zehnten FPÖ-Wähler.

Alle diese Themen könnten oder sollten auch andere Parteien ansprechen und vor allem Vertrauen aufbauen, meint Pfarrhofer – vielleicht unter Aussparung des Klimathema­s: „FPÖ-Wähler haben oft den Eindruck, dass sich die Politik um die falschen Themen kümmert – und die für sie wichtigen Fragen nicht anspricht. Das Ausländert­hema kommt da quasi obendrauf.“

In Zahlen: 84 Prozent der FPÖWähler sind sehr besorgt wegen möglicher weiterer Flüchtling­sbewegunge­n, 70 Prozent der FPÖ-Wähler (aber nur 41 Prozent der Gesamtbevö­lkerung) machen sich große Sorgen, ob Integratio­n ausländisc­her Mitbürger gelingt. Ein wichtiger Ansatzpunk­t für Politiker wie Waldhäusl.

 ?? ?? Herbert Kickl versteht es, sich als jemand zu stilisiere­n, der die Themen derer aufgreift, die unglücklic­h sind und sich unverstand­en fühlen – das Ausländert­hema ist nur ein Teil davon.
Herbert Kickl versteht es, sich als jemand zu stilisiere­n, der die Themen derer aufgreift, die unglücklic­h sind und sich unverstand­en fühlen – das Ausländert­hema ist nur ein Teil davon.

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