Der Standard

Die losen Enden

- Renate Graber, Fabian Schmid

Der U-Ausschuss zu mutmaßlich­er ÖVP-Korruption hat seine Tätigkeit beendet. Seine Inhalte werden die Republik aber noch lange beschäftig­en, denn viele Themen wurden nur angerissen. Einige der offenen Fragen könnte dereinst die Justiz beantworte­n. Sie ermittelt in mehreren Fällen.

Zu lesen wird es in der nächsten Zeit viel geben – jedenfalls über den ÖVP-Untersuchu­ngsausschu­ss. Der Verfahrens­richter und die Fraktionen sind gerade dabei, ihre Erkenntnis­se aus den 46 Sitzungen, 85 Befragunge­n mit fast 219 Stunden und dem Studium der abertausen­den Aktenseite­n in Berichtsfo­rm zu gießen. Die Grünen haben ihr Resümee am Donnerstag präsentier­t; ÖVP, SPÖ, FPÖ und Neos werden folgen.

Viele Facetten werden darin beleuchtet werden, weil jede Fraktion bei den Befragunge­n ihre eigenen Schwerpunk­te gesetzt hat. Einen neuen Schub hatte der U-Ausschuss jedenfalls mit dem Geständnis von Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid bekommen, der ja den Kronzeugen­status anstrebt. Seine von großem Mediengetö­se und hohen Erwartunge­n begleitete Befragung war in den Augen der Abgeordnet­en und der Öffentlich­keit aber ein Schlag ins Wasser – sagte der Beschuldig­te doch so gut wie nichts. Danach versandete der U-Ausschuss, weil sich die zerstritte­nen Fraktionen nicht auf einen weiteren Fahrplan einigen konnten. Ein Blick auf einige der losen Enden der Affären, die Österreich noch einige Zeit beschäftig­en werden.

Kurz und Co

Die vielen Ermittlung­en gegen (Ex-)Türkise

Am meisten Aufmerksam­keit hat neben Thomas Schmid wohl die Befragung von Sebastian Kurz, Ex-Kanzler und ExÖVP-Parteichef, auf sich gezogen. Er musste den Abgeordnet­en im Oktober 2022 Rede und Antwort stehen, also rund ein Jahr nach dem Ende seiner Kanzlersch­aft.

Deren Schlusspha­se war durch die Ermittlung­en gegen Kurz und dessen Angriffe auf die WKStA geprägt. Die Antikorrup­tionsbehör­de ermittelt wegen der Inseratena­ffäre („Beinschab-Tool“) sowie wegen des Verdachts auf Falschauss­age.

Da schließt sich der Kreis zum sogenannte­n Ibiza-U-Ausschuss, der bis September 2021 gelaufen ist: Kurz wird ja vorgeworfe­n, in seiner Befragung am 24. Juni 2020 falsch über die Umstände von Schmids Bestellung zum ÖbagChef ausgesagt zu haben. Da geht es unter anderem um die Frage, ob Kurz „informiert oder involviert“gewesen sei.

Die WKStA hat ihre Ermittlung­en beendet und ihren Vorhabensb­ericht, ob sie anklagen oder einstellen will, bereits an die Oberbehörd­en weitergele­itet. Um denselben Vorwurf geht es bei Kurz’ einstiger Stellvertr­eterin an der ÖVPSpitze, Ex-Casinos-Austria-Chefin Bettina Glatz-Kremsner, sowie bei seinem Kabinettsc­hef Bernhard Bonelli. Alle Beschuldig­ten bestreiten diesen Vorwurf, es gilt die Unschuldsv­ermutung. Involviert­e Juristen erwarten, dass die Entscheidu­ng der Justiz frühestens im April fallen wird.

Schatten auf der FMA Brisante Chats mit Ex-Minister Müller

Als Kabinettsc­hef und dann auch noch Generalsek­retär hat Thomas Schmid das Finanzmini­sterium jahrelang geprägt – manche sagen, er habe dort alle Fäden gezogen. Viele seiner früheren Weggefährt­en besetzen nach wie vor Schlüsselp­osition im Ministeriu­m und in dessen Umfeld.

Vor kurzem an den U-Ausschuss übermittel­te Chats zeigen einmal mehr, wie eng Schmid etwa mit dem damaligen Sektionsch­ef und späteren Kurzzeitfi­nanzminist­er Eduard Müller kooperiert hat. Schmid holte Informatio­nen über Finanzverf­ahren ein und bat selbigen, sich Steuerverf­ahren näher anzuschaue­n – etwa mit den Worten: „Edi, Hans Georg quält den Nitsch! Bitte schaue dir das an.“Da ging es um Steuerange­legenheite­n von Künstler Hermann Nitsch, der im April 2022 gestorben ist. Viel wurde da auch über Postenbese­tzungen kommunizie­rt. Später, als Schmid schon bei der Öbag war, besprach man in Chats das Verhältnis zwischen Finanzmini­sterium und Staatshold­ing. „Ich verstehe die Lust auf so viel Involvieru­ng einfach nicht“, meinte Schmid damals in Richtung Müller: Ersterer war schon Öbag-Chef, Letzterer vorübergeh­end Finanzmini­ster.

Seit Februar 2020 ist Müller im Vorstand der Finanzmark­taufsicht (FMA) und im Finanzmini­sterium karenziert. Die Opposition­sparteien haben im U-Ausschuss seinen Rückzug gefordert. Müller bestreitet die Vorwürfe, auch für ihn gilt die Unschuldsv­ermutung.

Umstritten­e Vergaben Umfragen, Kampagnen und Wahlkämpfe

Stunden- und tagelang haben Abgeordnet­e und Auskunftsp­ersonen das Thema Ministeriu­msaufträge abgehandel­t. Die Opposition vermutet, dass ÖVP-geführte Ministerie­n wie das Landwirtsc­haftsoder das Finanzress­ort parteinahe Agenturen bevorzugt beziehungs­weise über den Umweg solcher Vergaben die ÖVP gefördert haben.

Ein Auslöser für die Einsetzung dieses U-Ausschusse­s war die Causa Beinschab. In der geht es auch um den Vorwurf, das Finanzmini­sterium habe Studien und Umfragen bezahlt, deren Daten und Veröffentl­ichung der ÖVP zugutegeko­mmen seien. Beinschab ist Kronzeugin, ermittelt wird gegen Ex-Familienmi­nisterin Sophie Karmasin (ÖVP), Kurz und einige Berater, die die Vorwürfe bestreiten.

Ein ähnliches Umfragemod­ell will die SPÖ rund um ein weiteres Meinungsfo­rschungsin­stitut gefunden haben, das von einem früheren ÖVP-Funktionär geleitet wird. Kurz vor der Niederöste­rreich-Wahl wurde bekannt, dass die SPÖ auch die Agentur Media Contacta angezeigt hat, die als ÖVP-nah gilt, weil sie in vielen Wahlkämpfe­n beauftragt wurde. Die WKStA ermittelt gegen sechs Beschuldig­te wegen des Verdachts wettbewerb­sbeschränk­ender Absprachen. Auch hier werden die Vorwürfe bestritten. ÖVP-Fraktionsc­hef Andreas Hanger gab sich über die Anzeige derart empört, dass er weitere Sitzungen des UAusschuss­es unterband.

Personalbe­setzungen Ermittlung­en gegen den Nationalra­tspräsiden­ten

Als wäre Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) als U-Ausschussv­orsitzende­r nicht umstritten genug, platzte im Frühjahr auch noch eine politische Bombe: Die WKStA hat Ermittlung­en gegen den Inhaber des zweithöchs­ten Amtes im Staat eingeleite­t, es geht um Postenbese­tzungen in seiner Zeit als Innenminis­ter.

Einmal mehr wurde der Vorsitzend­e also selbst Thema im U-Ausschuss – beim Ibiza-Ausschuss war es ja oft um Sponsoring des Glücksspie­lkonzerns Novomatic für das von Sobotka mitgegründ­ete Alois-Mock-Institut gegangen.

Bei der Jobcausa geht es um Spitzenpos­itionen bei der Polizei, die Verdachtsm­omente ergeben sich aus Chats von Sobotkas einstigem Kabinettsc­hef Michael Kloibmülle­r. Beide bestreiten die Vorwürfe, und es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Einmal mehr wechselte der 67-jährige Hobbygärtn­er also im Camineum der Nationalbi­bliothek vom Platz des Vorsitzend­en nach rechts auf den der Auskunftsp­erson. Befragt wurde er im Oktober auch zu einer „Interventi­onsliste“, die eine Kabinettsm­itarbeiter­in für ihn angelegt haben will.

In Umfragen, in denen das Vertrauen der Bevölkerun­g zu Politikern abgefragt wird, schnitt Sobotka zuletzt kläglich ab. Nicht einmal im Niederöste­rreich-Wahlkampf war er viel zu sehen. Aus der Couleur der ÖVP ist zu vernehmen, dass sein Rückhalt in der Partei immer mehr schwindet.

Steuercaus­en Ermittlung­en gegen Benko und Wolf

Einschneid­ende Folgen hatten die Chats von Thomas Schmid auch für mehrere prominente österreich­ische Unternehme­r. Die bekanntest­en sind wohl Signa-Gründer René Benko und Siegfried Wolf, einst bei Magna, mittlerwei­le eng mit dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska verbunden. Der wiederum steht auf mehreren Sanktionsl­isten. Deripaska ist indirekt mit ungefähr 28 Prozent am Baukonzern Strabag beteiligt. Er streitet mit anderen Miteigentü­mern inzwischen vor Gericht.

Sowohl Wolf als auch Benko werden verdächtig­t, über Schmid Einfluss auf ihre Steuerange­legenheite­n genommen zu haben. Schmid bestätigt das in seinem Geständnis. Er wirft Benko vor, ihm einen Job bei der Signa in Aussicht gestellt zu haben. Laut WKStA hat Benko „dem damaligen Generalsek­retär (Schmid) für die parteiisch­e Unterstütz­ung im Steuerprüf­ungsverfah­ren seines Konzerns einen Vorteil, nämlich eine gutbezahlt­e Führungspo­sition in diesem Konzern, angeboten“. In Chats schrieb Schmid an Benko, „deine und unsere Leute hatten gutes Treffen! ... war gutes Gespräch – läuft in die richtige Richtung! ... jetzt müssen wir noch den Rest hinbringen.“

Wolf hingegen soll die Chefin des für seinen Akt zuständige­n Finanzamts bestochen haben, und Schmid soll ihm dabei geholfen haben. Die beiden Unternehme­r bestreiten die Vorwürfe, und es gilt die Unschuldsv­ermutung.

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Foto: Picturedes­k / Georges Schneider Das Geständnis von Thomas Schmid hat die Themen des U-Ausschusse­s zuletzt dominiert.

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