Der Standard

Verzweifel­te Schreie und apathische Stille

- Natascha Ickert ➚ dst.at/TV-Tagebuch

D„MYANMAR DIARIES“IN DER ARTE-MEDIATHEK

ie Fingerknöc­hel sind weiß, so fest quetscht der junge Mann das weiße T-Shirt zusammen. Er presst es gegen den Mund, schreit voller Verzweiflu­ng hinein. Das Gesicht verzerrt. Es ist dem Zerbersten nahe.

Seit einem Jahr herrscht in Myanmar – wieder – das Militär. Repression und Gewalt bestimmen den Alltag. Viele Menschen im Land rebelliere­n gegen die Militärreg­ierung und riskieren dabei ihr Leben.

Zehn junge burmesisch­e Filmschaff­ende hielten genau das in ihrem Film Myanmar Diaries fest. Sie zeigen Videos von den Protesten und den militärisc­hen Interventi­onen. Im Film werden sowohl echte Handyaufna­hmen

als auch inszeniert­e Szenen verwendet. Es ist ein Arthouse-Film der ganz besonderen Art.

Die Szenen schwanken zwischen realer, brutaler Gewalt und stillen Momenten, die die Verzweiflu­ng, das Nachdenken und die Emotionen der Menschen zeigen. Ihre Lebensreal­ität lässt einen erschauder­n: Kämpfe in der Stadt und im Dschungel, Polizei vor der Tür, im Haus – Tote.

Die Regieführe­nden bleiben aus Angst vor Verfolgung in ihrem Land anonym. Die Gruppe will den Protestier­enden eine Stimme geben, sie sichtbar machen. Der Film erhielt zahlreiche Auszeichnu­ngen. Auf der Berlinale wurde er zum besten Dokumentar­film 2022 gekürt. Er ist keine leichte Kost. Er richtet den Fokus auf ein Land und seine Menschen, die immer noch tagtäglich um ihre Freiheit kämpfen müssen. Viele Szenen brennen sich ins Gedächtnis. Erst jetzt, Anfang Februar, verlängert­e das Militär den Ausnahmezu­stand erneut. Wahlen für eine neue Regierung wurden somit wieder verschoben. Der Film ist also aktueller denn je. Er ist noch ein Jahr in der Arte-Mediathek abrufbar.

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