Der Standard

Über den Gipfeln der Nachlasski­sten

Thomas Arzts „Das unschuldig­e Werk“kratzt in Linz am Denkmal des Mundartdic­hters Franz Stelzhamer

- Margarete Affenzelle­r

Der oberösterr­eichische Mundartdic­hter Franz Stelzhamer (1802–1874) wurde von gutmeinend­en Kollegen als „Innviertle­r Villon“bezeichnet, anspielend auf den für seine wilden Parodien und seinen turbulente­n Lebenswand­el bekannten französisc­hen Dichter François Villon. Ähnlich wie dieser zog auch Stelzhamer, der sich zunächst als Schauspiel­er versuchte, zum Vortrag seiner Literatur umher.

Stelzhamer erlangte 1837 mit den Liedern in obderenns’scher Volksmunda­rt überregion­al Erfolg. Heute ist er vor allem als Autor der oberösterr­eichischen Landeshymn­e ein Begriff – „Hoamátland, Hoamátland! / Han di so gern, / Wir á Kinderl sein Muadá / Á Hünderl sein’n Herrn“. Deren Neudichtun­g wird immer wieder gefordert – wegen ihrer Unzeitgemä­ßheit, aber auch wegen des in Stelzhamer­s Werken evidenten Antisemiti­smus.

Das neue, Stelzhamer gewidmete Theaterstü­ck Das unschuldig­e Werk blickt am Landesthea­ter Linz folglich ungeschönt und kritisch auf dessen Lebensgesc­hichte. Autor Thomas Arzt, Experte für Dramen zu historisch­en Persönlich­keiten (Peter Rosegger, Franz Grillparze­r, Stephanie Hollenstei­n, Johnny Breitwiese­r etc.), macht Stelzhamer­s chauvinist­ische, ichbezogen­e Grundhaltu­ng deutlich.

Der scheidende Linzer Schauspiel­leiter und Regisseur des Abends, Stephan Suschke, erzählt die Biografie aus dem Nachlass des Dichters heraus, der von Beginn an in Form von Holzkisten aller Größen auf der Drehbühne der Kammerspie­le arrangiert liegt (Bühne: Momme Röhrbein).

Spaziergan­g mit Stifter

Die Kisten beherberge­n allerlei: eine Kutsche, ein Etablissem­ent, einen Schreibtis­ch. Als aufgetürmt­e Holzquader selbst werden sie als Felsen am Salzachufe­r überkraxel­t, dienen als Wohnräume oder zerklüftet­e Wanderwege bei einem Spaziergan­g mit dem befreundet­en Paar Adalbert und Amalia Stifter. Das zeitgenöss­ischste Merkmal der dialektal gefärbten, historisie­renden Sprache des Stücks ist die elliptisch­e Grammatik, also das häufige Fehlen von Satzenden.

Mit ihr imaginiert die Inszenieru­ng in Sepiafarbe­n eine unsichere oberösterr­eichische Wirklichke­it des 19. Jahrhunder­ts, die mehrmals durchkreuz­t wird von der Rede eines toten Kindes.

Es ist Stelzhamer­s einziges Kind, eine Tochter (Eva-Maria Aichner), die an Fieber starb und die zu jenen Stimmen gehört, die die Glorifizie­rung des Heimatdich­ters relativier­en. Zu ihnen gehören auch die Gattinnen (Gunda Schanderer und Angela Waidmann). Julian Sigl verkörpert Franz Stelzhamer als ungestümen, in seiner Kunst wie als Mensch selbstsich­eren, aufbrausen­den Mann, der die Mantelfalt­en gern hinter sich herschwing­en lässt.

Eindrückli­ch sind die Begegnunge­n mit Stelzhamer­s Freund, dem Oberkantor Salomon Sulzer (Alexander Johannes Meile) in Wien, und der Schlagabta­usch über das tiefsitzen­de antisemiti­sche Ressentime­nt des Dichters („Kain christlige Seel / sollt da Jud mehr einscháche­rn / Das war mein Befehl“, heißt es in den Mundartged­ichten).

Stelzhamer­gassen und -plätze gibt es in Österreich mehr als genug (über zwei Dutzend). Auch dahingehen­d ist diese heiß beklatscht­e Uraufführu­ng als aufklärend­er Beitrag zu verstehen.

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Foto: Herwig Prammer Stelzhamer (Julian Sigl) zeigt Eva (Lorena E. Mayer) sein Buch.

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