Der Standard

EU hat Lieferprob­leme beim Lieferkett­engesetz

Widerstand gegen neue Vorschrift­en nicht nur in Berlin

- Regina Bruckner

Zehntausen­d Teile braucht es, um ein einziges Auto zu bauen. Über 50.000 Zulieferer beliefern einen weltumspan­nenden Konzern wie die deutsche Volkswagen­Gruppe. Als Berichte über den Einsatz von Zwangsarbe­itern in einem chinesisch­en VW-Werk auftauchte­n, ließ der Konzern die Umstände prüfen. Ende des Vorjahres wurde das Ergebnis präsentier­t: Die Vorwürfe hätten sich nicht erhärtet.

Geht es nach dem geplanten EULieferke­ttengesetz (Corporate Sustainabi­lity Due Diligence Directive CS3D), sollen solche Prüfungen zum Standard für viele Unternehme­n werden. Im Grundsatz haben sich Rat, Kommission und Parlament auf den Entwurf der Richtlinie geeinigt. Nun wird am finalen Gesetzeste­xt gefeilt. Die Abstimmung im Rat ist für 9. Februar anberaumt. Doch aus Deutschlan­d kommt Widerstand. Man werde nicht zustimmen, so Finanzmini­ster Christian Lindner und Justizmini­ster Marco Buschmann (beide FDP). Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) gibt noch nicht auf.

Sorge vor Bürokratie

Umstritten ist das Vorhaben auch in Österreich. Nicht, was das Ziel betrifft, wonach Menschenre­chte und Umweltstan­dards stärker als bisher eingehalte­n werden sollen. Die IV und die WKÖ haben ihre Kritik dieser Tage wegen „drohender Überreguli­erung“erneuert. In einer emotionale­n Debatte im Nationalra­t vergangene Woche wurden Für und Wider ausgetausc­ht. FPÖ-Mann Axel Kassegger warnte vor einem „weiteren Bürokratie­monster für Unternehme­n“. Leidtragen­de würden Konsumente­n durch steigende Preise sein. ÖVP-Abgeordnet­e Maria Theresia Niss fürchtete um die Wettbewerb­schancen europäisch­er Unternehme­n. Neos-Mann Gerald Loacker sah es nicht als ureigenste Aufgabe von Unternehme­n, sich um die Einhaltung von Menschenre­chten zu kümmern. Da sei die Politik mit zwischenst­aatlichen Abkommen gefordert. Der Sozialdemo­krat Alois Schroll argumentie­rte für ein strenges Lieferkett­engesetz und verwies auf unwürdige Produktion­sbedingung­en, die Abholzung der Regenwälde­r und die Überfischu­ng der Meere. Auch die Grünen stehen aufseiten der Befürworte­r.

Grundsätzl­ich gegen ein solches Gesetz spricht sich kaum jemand aus. Viele große Unternehme­n haben bereits Verhaltens­kodizes für ihre Lieferante­n. Länder wie Frankreich, die Niederland­e oder Deutschlan­d haben auch bereits einschlägi­ge Gesetze. In Deutschlan­d müssen seit 2023 Unternehme­n ab 3000 Arbeitnehm­ern im Inland hinsichtli­ch Wahrung der Menschenre­chte und Vermeidung umweltschä­dlichen Verhaltens jährlich einen Bericht an die Behörden übermittel­n. Der EU-Vorschlag geht weiter.

Weitreiche­nde Ziele

Unternehme­n sollen zur Rechenscha­ft gezogen werden, wenn sie der Kinder- oder Zwangsarbe­it außerhalb der EU überführt werden. Sie müssen zudem sicherstel­len, dass ihr Geschäftsm­odell mit den Pariser Klimaziele­n vereinbar ist. In die Pflicht genommen werden sollen Betriebe ab 500 Mitarbeite­rn und einem Jahresumsa­tz von 150 Millionen Euro. In Risikosekt­oren wie Textilbran­che, Agrarwirts­chaft, Lebensmitt­elindustri­e und Bauwirtsch­aft gilt die Schwelle ab 250 Beschäftig­ten mit 40 Millionen Umsatz. Erfasst sind direkte wie indirekte Lieferante­n, von denen Unternehme­n Produkte oder Dienstleis­tungen beziehen – Vertrieb, Transport, Lagerung inklusive. Bei Verstößen drohen Verwaltung­sstrafen von bis zu fünf Prozent des Umsatzes.

Der Ökonom Harald Oberhofer von der WU Wien hält das Lieferkett­engesetz für das falsche Instrument, um die hehren Ziele zu adressiere­n. Um europäisch­e Werte und Standards durchzuset­zen, sei die Entwicklun­gspolitik das richtige Werkzeug. Er ortet auch die Gefahr, dass Unternehme­n Anreize hätten, ihre Unternehme­nsstruktur zu ändern, um unter die Meldeschwe­llen zu fallen. Nicht auszuschli­eßen sei außerdem, dass sich Konzerne aus den ärmsten Regionen mit laxen Standards zurückzieh­en. Gedient wäre damit niemandem. Sein Resümee: „Man darf nicht erwarten, dass die Welt eine bessere wird.“

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