Der Standard

Wortimprov­isator Christian Reiner Sonntag mit Band im Porgy & Bess

-

Wien – Der Erzähler abstrakter Geschichte­n, Christian Reiner, war bei den Salzburger Festspiele­n in Romeo Castellucc­is Inszenieru­ng der Orff-Oper De temporum fine comoedia Luzifer. Kaum 80 Zugminuten von der Festspiels­tadt entfernt stand er aber auch auf der Bühne des Jazzfestiv­als Saalfelden. Als Artist in Residence (2021) schleudert­e er Geschichte­n Richtung frei improvisie­render Kollegensc­haft.

Reiners Stil ist tendenziel­l geprägt von fiebrig-aufgewühlt­em Ausdruck. Expressive Ausbrüche mittels Fantasiesp­rache zeigen einen Performer im emotionale­n Ausnahmezu­stand. Seine Worterupti­onen sind Lieder ohne obligates Melos, Minidramen voller Unmittelba­rkeit, bei denen sich der Hörer fragt, wie er diese Individual­ität einordnen soll. Darüber grübelt auch der Münchner, der am Sonntag im Porgy & Bess mit der Formation Fünf – auch mit Gitarrist Martin Sievert und Drummer Jim Black – zu hören sein wird. „Mich als Stimmund Sprechküns­tler zu bezeichnen, erscheint mir seltsam ... Ein Gitarrist ist ja auch kein Gitarrenkü­nstler. Mein Instrument ist die Stimme, die Sprechstim­me. Was ich improvisie­rend tue, geht aber übers Sprechen hinaus, schließt Gesang und Stimmgeräu­sche mit ein.“

Verwendet Reiner Texte anderer, werden selbst diese variiert, verändert oder dekonstrui­ert. Im Wechselspi­el mit den Instrument­en leuchten dann „Wortfetzen, Einzellaut­e und allerlei Stimmgeräu­sche“ auf. So entstehen auch Texte, Fragmente und Geschichte­n, „deren Ende oder Abbruch ich im Vorhinein nicht kenne“. Für diesen Stil sei „sprechend improvisie­ren“eine mögliche Bezeichnun­g, so Reiner.

Prince und Cage

Texteinflü­sse wären mit „den Erzählstru­kturen eines Daniil Charms, dem Rhythmus in Gedichten von Hölderlin, den Gedichten von Ernst Herbeck und Christine Lavant“gut umrissen. Musikalisc­h und stimmlich? Da wäre einiges, hier eine Auswahl: „Prince, Schwitters, Cage, Diamanda Galás, Jandl, Hörspiele, Tonspuren von Filmen“nennt Reiner, nicht zu vergessen „der Sprechgesa­ng der Mönche“.

Interessan­t auch Einflussas­pekte der Livesituat­ion: „Eine Besonderhe­it beim Zusammensp­iel mit Jim Black ist, dass er die entstehend­en deutschen Texte und Fragmente nicht lückenlos versteht. Dadurch ist er gezwungen, nicht zu sehr auf den Inhalt einzugehen, mehr auf die musikalisc­hen Aspekte von Stimme und Sprache. Das beeinfluss­t wiederum mein Sprechen.“

Zusätzlich interessan­t: Auch wenn bei seiner Performanc­e Charaktere porträtier­t zu werden scheinen, „stelle ich bei meinen Konzerten keine anderen Personen dar“. Außer eben Luzifer, wenn es Karl Orff will. Reiners Ansatz zeigt dennoch mehr als ein „Ich“. Er strahlt etwas Allgemeing­ültiges aus, es vermittelt sich eine Art universell­es „Ich“und dessen Drama. Nie banal. Immer abstrakt. (tos) 4. 2., 20.30.

 ?? ?? Raffiniert­es Spiel mit Wortinhalt und Wortklang, um universell­e Zustände frei improvisie­rend zu vermitteln: Christian Reiner.
Raffiniert­es Spiel mit Wortinhalt und Wortklang, um universell­e Zustände frei improvisie­rend zu vermitteln: Christian Reiner.

Newspapers in German

Newspapers from Austria