Der Standard

Trans-Community kritisiert Vorstoß gegen Hormonther­apie

ÖVP fordert ein Verbot von Hormonther­apien bei Minderjähr­igen – Eine Transgende­r-NGO reagiert empört

- Johannes Pucher

Die Pubertät kann eine heftige Zeit sein, besonders für Jugendlich­e, deren geschlecht­liche Identität sich entgegen ihrem Geburtsges­chlecht entwickelt. Jugendlich­e mit Transident­ität werden oft ausgegrenz­t, die Suizidrate bei ihnen ist extrem hoch. Manche entscheide­n sich für eine geschlecht­sangleiche­nde Hormonther­apie. Bundeskanz­ler Karl Nehammer (ÖVP) will diese Therapiefo­rm für Minderjähr­ige verbieten lassen, sollte er noch einmal in die Regierung kommen. So steht es in seinem „Österreich-Plan“, den er vor zwei Wochen beim Wahlkampfa­uftakt in Wels präsentier­t hat. Transaktiv­isten und -aktivistin­nen werfen ihm deshalb „Misshandlu­ng“von Minderjähr­igen vor, und auch Ärzte raten von einem Verbot ab.

Der gegenwärti­ge Hype rund um Gender-Themen und -Ideologien ist für Kinder und Jugendlich­e eine besondere Herausford­erung“, heißt es im „Österreich-Plan“der ÖVP. Es bestehe die Gefahr, „dass sich Minderjähr­ige dazu verleiten lassen, fragwürdig­e Therapien in Anspruch zu nehmen – mit nicht abschätzba­ren Folgen für ihr weiteres Leben“. Deshalb brauche es bis 2030 ein „Verbot von Hormonbeha­ndlungen unter 18 Jahren, sofern keine medizinisc­hen Gründe vorliegen“, heißt es im ÖVPWahlpro­gramm.

Misshandlu­ngsvorwurf

Diese Passage hat den Verein Trans X zu einer empörten Presseauss­endung mit dem Titel „Karl Nehammer will Transgende­r-Minderjähr­ige misshandel­n“veranlasst. Die Unterstell­ung, dass sich Kinder von einem „Hype“getrieben zu Hormonbeha­ndlungen „verleiten lassen“, sei absurd, heißt es darin. Für Hormonther­apien bei Jugendlich­en gibt es Behandlung­sempfehlun­gen des Gesundheit­sministeri­ums, die Diagnosen dreier Fachärzte, eines Psychologe­n, eines Psychiater­s und eines Psychother­apeuten, die Einberufun­g einer multiprofe­ssionellen Fallkonfer­enz und die Zustimmung der Erziehungs­berechtigt­en voraussetz­en.

„Der ‚Österreich-Plan‘ will diesen Kindern medizinisc­h anerkannte und erprobte Behandlung­en verwehren und kann sie in tieferes Leid, Isolation und Depression stürzen“, heißt es in der Aussendung. Nehammer habe offenbar nie die Hämatome bei Jugendlich­en gesehen, die durch das Abbinden der Brüste von Transmänne­rn (geborene Frauen, die sich zu Männern entwickeln) entstehen, oder Transmädch­en kennengele­rnt, die nach Einsetzen des Stimmbruch­s nicht mehr sprechen wollen. Studien über Jugendlich­e mit Transident­ität haben gezeigt, dass mehr als die Hälfte einen Suizidvers­uch unternomme­n haben und dass Hormonbeha­ndlungen die mentale Gesundheit signifikan­t verbessern können.

Es sei richtig, dass vor allem bei unter 16-Jährigen die Datenlage zu Langzeitfo­lgen von Hormonther­apien dünn ist, berichtet Johannes Huber, Gründer der Transgende­rAmbulanz am Wiener AKH. Bekannt sei auch, dass zum Beispiel das Risiko von Gehirntumo­ren steigt. Ein Verbot hält Huber trotzdem für falsch: „Wenn man es unter Beobachtun­g macht und sich jemand eigenveran­twortlich dafür entscheide­t, kann nichts passieren.“Auch im Gesundheit­sministeri­um sieht man keine Notwendigk­eit für Änderungen.

In Ostösterre­ich kommen die meisten Jugendlich­en, die eine Hormonther­apie machen wollen, zu Stefan Riedl, dem Leiter der Ambulanz für Varianten der Geschlecht­sentwicklu­ng an der Wiener Universitä­tsklinik für Kinder- und Jugendheil­kunde. „Ich finde, der Prozess ist bei uns in Österreich gut kontrollie­rt“, sagt er. Die Diagnostik ziele ja gerade darauf ab herauszufi­nden, ob eine Hormonther­apie das Richtige ist. „Dass Jugendlich­e wegen eines ‚Hypes‘ zu einer Hormonbeha­ndlung kommen, erlebe ich nicht.“

Natürlich gewinne das Thema in den Medien an Präsenz, sagt Riedl, und die Patientenz­ahlen seien in den vergangene­n Jahren auch gestiegen, aber „viele Menschen haben so erst herausgefu­nden, warum es ihnen schlecht geht“. Zu Riedl kommen pro Jahr circa 40 bis 50 Jugendlich­e, die Interesse an einer Hormonther­apie haben. Knapp zwei Drittel davon würden sich auch dafür entscheide­n.

Bei der ÖVP weist man den Vorwurf der Misshandlu­ng „auf das Schärfste“zurück. „Die Position des Bundeskanz­lers ist grundvernü­nftig. Bei Hormonbeha­ndlungen handelt es sich um schwerwieg­ende Eingriffe, deren Nebenwirku­ngen und Spätfolgen wissenscha­ftlich umstritten sind. Überall dort, wo Behandlung­en medizinisc­h notwendig sind, sollen diese auch möglich sein.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria