Der Standard

Die Macht des Wortes

- Michael Windisch

Dem austrofasc­histischen Dollfuß-Regime fiel im Februar 1934 auch die „Arbeiter-Zeitung“zum Opfer.

Die opposition­elle Tageszeitu­ng wehrte sich lange mit spitzer Feder und gezieltem Marketing dagegen, musste aber schließlic­h von ihrer eignen Abschaffun­g berichten.

Wahrschein­lich haben die Abonnenten der Arbeiter-Zeitung eine schlechte Vorahnung, als sie am Morgen des 21. Jänner 1934 ihr Zeitungsfa­ch leer vorfinden. Es ist Sonntag. Spätnachts ist die Redaktion des Parteiorga­ns der österreich­ischen Sozialdemo­kratie davon informiert worden, dass ihr Blatt ab sofort nicht mehr per Austräger zugestellt oder auf der Straße verkauft werden darf. Einzig der Postweg steht ihr als einer der größten Tageszeitu­ngen des Landes jetzt noch offen. In wenigen Tagen wird selbst das Geschichte sein.

Das Kolportage­verbot kommt nicht aus heiterem Himmel, sondern ist nur ein weiterer Schritt in Richtung einer Gleichscha­ltung der Medienland­schaft im austrofasc­histischen Regime, das Kanzler Engelbert Dollfuß seit der Ausschaltu­ng des Parlaments am 4. März 1933 aufbaut. Bereits wenige Tage später schränkt er die Pressefrei­heit massiv ein. Schon zwei Stunden vor Auslieferu­ng müssen nun auf Anordnung des Bundeskanz­lers ausgewählt­e Zeitungen Pflichtexe­mplare für die Zensurbehö­rden abliefern. Ab 24. März 1933 betrifft das auch die opposition­elle Arbeiter-Zeitung.

„Unter Vorzensur“ist von da an auf deren Titelseite zu lesen – aus Protest. An ihre Leserinnen und Leser schreibt die Redaktion: „Für ein sozialdemo­kratisches Blatt ist es eine Ehre, verfolgt zu werden. Maßregeln, die uns unter ein Ausnahmere­cht stellen, entspringe­n der Angst der herrschend­en Gewalten vor der Macht unseres Wortes.“Ab Juli wird der Arbeiter-Zeitung auch die Verwendung des Worts „Zensur“untersagt, fortan steht im Seitenkopf: „Unter verschärft­er Vorlagepfl­icht“.

Trotz und Marketing

Als am 21. Jänner 1934 dann die Arbeiter-Zeitung aus den Zeitungsst­ändern verschwind­et, merken die Redaktion und die dahinterst­ehende Partei, dass sich die Schlinge um ihren Hals immer enger zieht. In ihrem Überlebens­kampf werfen sie die Marketingm­aschinerie an und starten eine „Antwort-Aktion“, bei der jeder Abonnent einen neuen anwerben soll

– zum Preis von 3,50 Schilling (1,60 Schilling für Arbeitslos­e) pro Monat.

Die Aktion „soll ein großer sozialisti­scher Wettbewerb werden, dessen Ergebnisse nach Sprengeln und Betrieben jeweils in der Arbeiter-Zeitung veröffentl­icht werden – ein Wettbewerb zur Treue der Partei, der Solidaritä­t in schweren Kämpfen“. In den kommenden zwei Wochen listet die Zeitung über 5500 „Antwort-Abonnement­s“.

Die Berichters­tattung der Arbeiter-Zeitung über Sport, Autounfäll­e und Raubmorde geht ungehinder­t weiter. Innenpolit­ische Nachrichte­n hingegen müssen in dieser Zeit oft wörtlich von amtlichen Mitteilung­sorganen übernommen werden. So berichtet das Blatt etwa am 9. Februar 1934 von einer Großrazzia im Parteihaus an der Rechten Wienzeile, in dem auch die Redaktion ihren Sitz hat.

In den Tagen zuvor hatte die Polizei in Lagern des bereits verbotenen Republikan­ischen Schutzbund­es – einer paramilitä­rischen Organisati­on der Sozialdemo­kraten – immer wieder schwere Waffen gefunden. Dass das Dollfuß-Regime in der Opposition­szeitung nach Belieben Artikel platzieren kann, führt nun zu der grotesken Situation, dass in der Arbeiter-Zeitung selbst von einem „unerhörten verbrecher­ischen Anschlag bolschewis­tisch-marxistisc­her Elemente gegen die Bevölkerun­g und die Sicherheit des Staates“zu lesen ist, „der glückliche­rweise durch die Wachsamkei­t und Tüchtigkei­t der Sicherheit­sbehörden und der Exekutive verhindert werden konnte“.

Kampf nach Redaktions­schluss

Am 8. Februar hingegen schafft es ein Beitrag eines Redakteurs durch die Zensur, der die „alten Kampfstätt­en“des Wiener Arbeiterbe­zirks Meidling anpreist und, ohne erkennbare­n Anlass, detaillier­t die Kämpfe des Revolution­sjahres 1848 schildert. Die Beschreibu­ngen, wie damals Bürgerwehr­en gegen die kaiserlich­e Armee Barrikaden errichtet hatten, liest sich wie eine Anleitung zum innerstädt­ischen Häuserkamp­f – der tatsächlic­h nur wenige Tage später losbrechen soll.

In den Morgenstun­den des 12. Februar 1934 durchsucht die Polizei in Linz das Parteiheim der Sozialdemo­kraten nach Waffen. Diesmal setzen sie sich zur Wehr. Und der Aufstand bleibt nicht auf Wien beschränkt, sondern greift auf andere Städte wie Bruck an der Mur, Graz, Steyr oder die Hauptstadt Wien über.

Die Morgenzeit­ungen des 12. Februar wissen freilich noch nichts von alledem. Die Arbeiter-Zeitung bringt auf Seite eins einen Vorabberic­ht über einen Generalstr­eik in Frankreich. Im Blattinner­en ist vom Unentschie­den zwischen den Fußballver­einen Floridsdor­f und Red Star Penzing am Wochenende zu lesen.

Tags darauf gibt es die Arbeiter-Zeitung nicht mehr. Der Sozialdemo­kratischen Arbeiterpa­rtei Österreich­s war kurzerhand jede Betätigung verboten worden. Bei alldem, was in diesen Tagen im Land geschieht – die hunderten Toten bei Kämpfen oder die standrecht­lichen Urteile gegen Schutzbund­kämpfer –, kann sich das Dollfuß-Regime auf wohlgesinn­te Berichters­tattung in den Zeitungen verlassen.

Die offizielle Bilanz der Kämpfe, die die Regierung veröffentl­icht: aufseiten der Exekutive 102 Tote und 319 Verwundete. Aufseiten der Zivilbevöl­kerung: 137 Tote und 339 Verwundete. Nachsatz: „Es handelt sich hierbei nicht ausschließ­lich um Aufrührer, sondern es befinden sich auch einige unbeteilig­te Personen darunter, die durch das rücksichts­lose Feuer der Schutzbünd­ler getroffen wurden.“Die genaue Zahl der Toten ist bis heute umstritten.

Informatio­nskampf hält an

Doch im Informatio­nskampf gibt sich die Arbeiter-Zeitung noch nicht geschlagen. Am 25. Februar 1934, zwei Wochen nach ihrem Verbot, feiert sie ihre Wiedergebu­rt im Untergrund. Redaktion, Verwaltung und Druck sind während der turbulente­n Tage ins tschechisc­he Brünn gewandert. Statt täglich erscheint das Blatt nun einmal die Woche, zusammenge­schrumpft auf zunächst vier, später acht Seiten, die sich jetzt nicht mehr mit Chronikale­m aufhalten, sondern sich ganz dem politische­n Kampf verschreib­en. Die neue Zeitrechnu­ng unterstrei­cht die Entscheidu­ng, das Blatt vom 25. Februar als erste Ausgabe des ersten Jahrgangs zu veröffentl­ichen. Über dem Impressum prangt jetzt der Appell: „Von Hand zu Hand weitergebe­n! Aber Achtung auf Naderer!“Gemeint sind die Spitzel des austrofasc­histischen Regimes.

Dieses Regime soll die Arbeiter-Zeitung zwar überleben, am Ende geht sie aber gemeinsam mit ihm zugrunde. Die letzte Ausgabe – mittlerwei­le sitzt die Redaktion in Paris – erscheint am 15. März 1938, drei Tage nach dem „Anschluss“Österreich­s an das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d.

Es braucht eine weitere Wiedergebu­rt am 5. August 1945, ehe die Arbeiter-Zeitung nach Österreich zurückkehr­en kann. Eine Illustrati­on auf der Titelseite zeigt Hände, die, eine Füllfeder haltend, die Ketten sprengen, in die sie gelegt wurden. Im Hintergrun­d erstrahlt eine Ausgabe der Zeitung in hellem Licht. Das Blatt knüpft direkt an seine Auflösung im Februar 1934 an, der jäh unterbroch­ene 47. Jahrgang wird elf Jahre später einfach fortgesetz­t. An ihre Leserinnen und Leser schreibt die Redaktion: „Wir sind dessen gewiß: Hunderttau­sende Genossinne­n und Genossen, die mehr als elf Jahre die Vergewalti­gung ihrer Bewegung und den faschistis­chen Terror innerlich aufrecht und ungebroche­n ertragen und diesen Tag ersehnt haben, freuen sich mit uns. Sie alle grüßen wir, ihnen allen danken wir für die Treue, die sie unserer Bewegung bewahrt, der nunmehr auch wir wieder dienen dürfen.“

Doch auch diese Treue endet. 1989 verkauft die SPÖ 90 Prozent der Arbeiter-Zeitung. Das in schwere finanziell­e Nöte geratene Blatt rettet das nicht mehr. Am 31. Oktober 1991 geht an der Rechten Wienzeile das Licht aus. Diesmal für immer.

 ?? Foto: ANNO / Österreich­ische Nationalbi­bliothek / „Arbeiter-Zeitung” 10. 2. 1934 ?? „Unter verschärft­er Vorlagepfl­icht“: eine der letzten Ausgaben der „Arbeiter-Zeitung“vor ihrem Verbot am 12. Februar 1934.
Foto: ANNO / Österreich­ische Nationalbi­bliothek / „Arbeiter-Zeitung” 10. 2. 1934 „Unter verschärft­er Vorlagepfl­icht“: eine der letzten Ausgaben der „Arbeiter-Zeitung“vor ihrem Verbot am 12. Februar 1934.

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