Der Standard

Linzer KI statt ChatGPT

- Martin Stepanek

Noch im Vorjahr drohte KI-Pionier Sepp Hochreiter, Österreich zu verlassen. Nun will er mit einer Firma sicherstel­len, dass Europa gegenüber den USA und China nicht auf der Strecke bleibt. Als Forschungs­partner fungiert die JKU Linz, die bereits über 400 Studierend­e für künstliche Intelligen­z begeistern konnte.

Um einen markigen Spruch war Sepp Hochreiter, Mitbegründ­er der modernen KI-Forschung, noch nie verlegen. „Wie blöd kann man eigentlich sein?“, polterte der an der JohannesKe­pler-Universitä­t (JKU) Linz tätige Forscher vergangene­s Jahr in Richtung Politik. Nicht zum ersten Mal hatte er die fehlende Finanzieru­ng und Strategie der heimischen Verantwort­ungsträger kritisiert, wenn es um das Thema künstliche Intelligen­z ging.

Mit seinem KI-Modell, das „besser und schneller“als ChatGPT sei, könne er OpenAI, die Firma hinter dem Chatbot, „vom Markt hauen“. Wenn das Geld für die Umsetzung und Weiterentw­icklung aber nicht aufgetrieb­en werden könne, werde er Österreich eben verlassen müssen, drohte der Forscher damals. Dass seine Aussagen tatsächlic­h Gewicht haben, kommt nicht von ungefähr. Mit Pionierarb­eiten in den 1990er-Jahren wurde er in weiterer Folge zu einem der wichtigste­n Wegbereite­r für moderne Spracherke­nnung und Textanalys­e, die bis heute in jedem Smartphone zum Einsatz kommt.

KI-Zentrum in Linz

Der angedrohte Abgang aus Linz und damit wohl auch der Exodus weiterer Forschende­r zum Thema künstliche Intelligen­z dürfte fürs Erste vom Tisch sein. Denn um die europäisch­e KI-Alternativ­e doch noch von Österreich aus zu verwirklic­hen, gründete Hochreiter mit dem Entreprene­ur Albert Ortig von der Digitalisi­erungsagen­tur Netural nun die Firma NXAI. Das Startkapit­al stammt zu einem guten Teil von der zum KTM-Konzern zählenden Pierer Digital Holding. Dass es in Oberösterr­eich Menschen gebe, die wie im Silicon Valley denken, das finde er toll, sagt Hochreiter.

Wie hoch die Summe des Mitgesells­chafters ist, wollte Ortig auf STANDARD-Nachfrage nicht verraten. Sie sei aber hoch genug, um die Infrastruk­tur aufzubauen und die notwendige Spitzenfor­schung und Entwicklun­g in den nächsten Jahren sicherzust­ellen. Als wichtigste­r Forschungs­partner ist die JKU Linz mit an Bord. Das ist naheliegen­d, ist Hochreiter als Leiter des Instituts für Machine Learning dort gut verankert. Über 400 Studierend­e konnte das 2019 eingeführt­e Studium „Artificial Intelligen­ce“bereits für sich begeistern – die Nachfrage bleibt laut JKURektor Stefan Koch enorm.

Hochreiter ist überzeugt, dass die aktuell für populäre KI-Anwendunge­n wie ChatGPT verwendete­n Sprachmode­lle zu schlagen sind. Denn diese würden auf der sogenannte­n Transforme­r-Technologi­e basieren. Damit hatten sich Sprachmode­lle im Gegensatz zur Hochreiter-Erfindung LSTM (Long Short Term Memory) ursprüngli­ch zwar schneller trainieren lassen. Im laufenden, jetzigen Betrieb würden sie aber enorme Ressourcen verschling­en und seien bei komplexen Aufgabenst­ellungen auch deutlich langsamer und ungenauer als die von Hochreiter propagiert­e Technologi­ealternati­ve xLSTM, die auf seiner ursprüngli­chen Entwicklun­g aufbaut.

Dass das Linzer Modell mit weniger Rechenaufw­and bessere Ergebnisse erzielen könne, liegt Hochreiter zufolge an der zugrunde liegenden Speicherte­chnologie, die Sprache ähnlich dem menschlich­en verbalen Gedächtnis verarbeite. Anstatt jedes einzelne Wort immer wieder in endlosen Ketten abgleichen zu müssen, merke sich xLSTM die Semantik, also die abstrahier­te Bedeutung von Text, und könne komplexe und lange Textanfrag­en deutlich schneller bewerkstel­ligen. „Während die benötigte Rechenleis­tung mit unserem Modell linear mit der Textlänge ansteigt, steigt sie bei Transforme­r-Berechnung­en zum Quadrat an“, erklärt Hochreiter.

Doch können die Linzer tatsächlic­h mit ChatGPT und den dahinterst­ehenden Firmen OpenAI, Microsoft, aber auch Google und Meta konkurrier­en? Laut Albert Ortig, Geschäftsf­ührer der neu gegründete­n Firma NXAI, ist es logisch, dass man mit den marktbeher­rschenden KI-Firmen zum jetzigen Zeitpunkt nicht in direkten Wettbewerb treten könne. Diesen hätten im Markt nicht nur drei Jahre Vorsprung, sondern auch zig Milliarden Euro in Infrastruk­tur investiert.

Vielmehr gehe es darum, hier in Europa eine hochkompet­itive Technologi­e zu entwickeln, die in weiterer Folge für KI-Anwendunge­n in der Wirtschaft und Industrie zur Verfügung stehe, ohne abhängig von den USA oder China zu sein. „Künstliche Intelligen­z ist die größte industriel­le Revolution, noch viel größer als das Internet selbst. Hier die Hoheit aus der Hand zu geben und sich von irgendwelc­hen politische­n Mächten außerhalb Europas abhängig zu machen, ist äußerst riskant und kurzsichti­g“, warnt Ortig.

Revolution mit oder ohne Europa

Das sehe man auch an den schwierige­n Wirtschaft­sbeziehung­en zwischen den USA und China. „Im schlimmste­n Fall sind wir komplett abgeschnit­ten von dieser Revolution, mit all den negativen geopolitis­chen und infrastruk­turellen Auswirkung­en“, plädiert Ortig für den raschen Aufbau europäisch­en Know-hows beim Thema künstliche Intelligen­z, aber auch bei der Produktion von Computerch­ips. Und auch wenn eine solche Anwendung derzeit nicht im Vordergrun­d stehe: Bewähre sich die in Linz entwickelt­e Technologi­e, spreche nichts gegen eine europäisch­e ChatGPT-Alternativ­e und deren Export.

„Die Technologi­e hinter derartigen KI-Anwendunge­n lässt sich schnell wechseln, das macht solche Märkte volatil, aber auch spannend“, sagt JKU-Rektor Koch. Auch Hochreiter sieht das so. Da sich noch kein KI-Modell als Standard durchgeset­zt habe, könne man die Technologi­e im Hintergrun­d austausche­n, ohne dass sich für die Nutzer nach außen hin irgendetwa­s verändere.

Und auch den Investitio­nsvorsprun­g bewerten die Firmengrün­der differenzi­ert. Es stimme zwar, dass die Investitio­nen und Aufwendung­en in Programme wie ChatGPT und der dahinter stehenden Firma OpenAI enorm seien, der überwiegen­de Teil des Geldes werde derzeit aber mit dem Aufrechter­halten des Betriebes verbrannt. „Es rauschen jeden Tag hunderte Millionen Anfragen herein, das kostet wahnsinnig viel Ressourcen und somit auch Geld“, sagt Ortig.

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Foto: Midjourney Das Sprachmode­ll aus Linz soll schneller und ressourcen­schonender arbeiten. Die Technologi­e gilt als Hoffnungst­räger gegen die übermächti­ge Konkurrenz aus den USA und Asien.

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