Der Standard

Ungesundes Unwissen

Was ist gesundes Essen und was nicht? Viele Menschen sind in dieser Frage weniger kompetent, als sie denken, wie eine aktuelle Studie aus Kärnten zeigt. Ausgerechn­et Influencer könnten Abhilfe schaffen.

- Alois Pumhösel

Ich weiß, dass ich nichts weiß“, hat der antike Philosoph Sokrates erkannt. Die neuzeitlic­he Wiederkehr des Gedankens, dass es Kompetenz brauche, um sein eigenes Wissen einschätze­n zu können, ist als Dunning-Kruger-Effekt bekannt geworden. Der Begriff, der auf eine Publikatio­n der beiden US-Sozialpsyc­hologen David Dunning und Justin Kruger aus dem Jahr 1999 zurückgeht, hat als eine Art Running Gag der Internetku­ltur Karriere gemacht – nicht zuletzt deshalb, weil sich der Effekt in der Social-Media-Kommunikat­ion vermeintli­ch besonders oft abbildet.

Während der Dunning-Kruger-Effekt in der Psychologi­e selbst weniger oft aufgegriff­en wurde, wird er mittlerwei­le in vielen anderen Diszipline­n angewendet. Mit ihm versucht man zu erklären, warum bei den Maßnahmen gegen den Klimawande­l nichts weitergeht oder warum manche Volleyball­trainer in ihrem Job nicht so gut sind. Eine neue Studie aus Österreich hat sich den Effekt kürzlich in einem Bereich angesehen, der für jeden relevant ist: beim Wissen um gesunde Ernährung.

Rebecca Scheiber, Matthias Karmasin und Sandra Diehl vom Institut für Medien- und Kommunikat­ionswissen­schaft der Universitä­t Klagenfurt untersucht­en Selbsteins­chätzungen und tatsächlic­he Kompetenz in der Beurteilun­g eines exemplaris­chen Produkts, dessen Bewerbung oft nicht auf seine tatsächlic­he Gesundheit­swirkung schließen lässt – Müsliriege­l. Gleichzeit­ig thematisie­rten die Forschende­n in ihrer Studie, wie Selbsteins­chätzung und Kompetenz mit Medienkons­um zusammenhä­ngen und welche Kommunikat­ionsstrate­gien im Dienste einer besseren Aufklärung erfolgvers­prechend sind.

„Wir haben eintausend Studientei­lnehmende, die einer repräsenta­tiven Stichprobe der österreich­ischen Bevölkerun­g entspreche­n, mit einer fiktiven Werbung konfrontie­rt. Es ging dabei um einen Müsliriege­l mit Schokolade, der als gute Proteinque­lle und mit geringem Kohlenhydr­atanteil präsentier­t wurde“, erklärt Scheiber. „Auch mithilfe grafischer Mittel wie dem Abbild einer schlanken Silhouette wurde eindeutig ein Gesundheit­sversprech­en kommunizie­rt. Die Probandinn­en und Probanden sollten anhand dieser Anzeige die Nährwerte des Produkts schätzen.“Vorbild war eine Produktwer­bung, die von einer Konsumente­nschutzorg­anisation als irreführen­d kritisiert wurde. Gleichzeit­ig wurden die Teilnehmen­den in der Online-Erhebung sinngemäß danach gefragt, wie gut sie den Wahrheitsg­ehalt von Ernährungs­informatio­nen im Internet beurteilen zu können glauben. Andere Umfragetei­le bestanden aus objektiven Wissensfra­gen und der Einschätzu­ng der persönlich­en Social-Media-Nutzung der Teilnehmen­den.

Klarer Nachweis

Scheiber und Kollegen konnten anhand der Daten einen Dunning-Kruger-Effekt beim Ernährungs­und Medienwiss­en der Studientei­lnehmenden klar nachweisen. „Jene, die über ein geringes Wissen über Produktwer­bestrategi­en verfügen, konnten nicht gut einschätze­n, wie gesund der präsentier­te Müsliriege­l ist. Gleichzeit­ig haben sie in der Selbstbeur­teilung ihre diesbezügl­ichen Kompetenze­n stark überschätz­t“, fasst die Forscherin zusammen. Der Effekt ließ sich auch unter umgekehrte­n Vorzeichen ablesen. Scheiber: „Jene, die einen guten Kenntnisst­and haben, unterschät­zten ihre Lebensmitt­el- und Medienkomp­etenz eher.“

Die Tragweite des Problems ergibt sich erst durch den Zusammenha­ng mit der Social-Media-Nutzung: „Aus den Daten geht nicht nur hervor, dass die Menschen mit dem geringeren Wissen generell weniger skeptisch gegenüber Werbung sind und irreführen­d vermarktet­e Produkte eher kaufen würden. Sie neigen auch dazu, die sozialen Medien in einem aktiveren Stil zu nutzen“, verweist die Medienwiss­enschafter­in auf die oft lawinenart­ige Verbreitun­g von Falschinfo­rmationen über die Onlineplat­tformen.

Was also tun? Wie Bildungsma­ßnahmen platzieren, die den Dunning-Kruger-Effekt „knacken“können? Zum einen helfen Maßnahmen wie die flächendec­kende Einführung eines Nutri-Scores, der auf dem Produkt schnell erkennen lässt, wie gesund es tatsächlic­h ist. Scheiber plädiert aber auch dafür, dass man die Menschen dort abholt, wo sie sich ihre Informatio­nen holen – auf Social-MediaPlatt­formen.

Opinionlea­der

„Die Ergebnisse zeigen erfreulich­erweise auch, dass Menschen mit hohem Ernährungs­wissen in ihrem Umfeld durchaus oft als Opinionlea­der gelten. Gleichzeit­ig ist aus der Forschung bekannt, dass Influencer von ihren Followern als ebensolche betrachtet werden“, erklärt die Forscherin. „Wir glauben, dass Gesundheit­sorganisat­ionen diesen Sachverhal­t nutzen können, indem sie stärker mit Influencer­n kooperiere­n und sie mit korrektem Wissen ausstatten.“

Influencer haben Einfluss bei ihren Followern, weil sie wie Freunde auftreten und nicht von oben herab agieren. Kampagnen im Bereich öffentlich­er Gesundheit sollten sich diese Kraft zunutze machen und beispielsw­eise Interviews mit verbriefte­n Experten ermögliche­n. Gleichzeit­ig glaubt Scheiber, die bereits auch in früheren Forschungs­arbeiten den Einfluss von Influencer­n auf Verhaltens­weisen im Ernährungs­bereich erkundet hat, dass man nicht um den heißen Brei herumreden sollte: „In den sozialen Medien sollte immer wieder ganz konkret auf die Tragweite des Dunning-Kruger-Effekts hingewiese­n werden.“

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Foto: Getty/Hsyncoban Die mediale Darstellun­g von Essen nimmt Einfluss darauf, als wie gesund dieses eingeschät­zt wird.

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