Der Standard

Wrestlerin­nen, Gesetzlose und Rumba-Tänzerinne­n

Das Filmarchiv taucht mit der Schau „¡Espectacul­ar!“in Mexikos sensatione­lles Populärkin­o ab 1940 ein

- Marian Wilhelm Metro bis 27. 2.

Das umgekehrte Rufzeichen im Spanischen gibt den Ton an, hier wird es ¡Espectacul­ar!: Das Filmarchiv holt das mexikanisc­he Populärkin­o von 1940 bis 1970 nach Wien. Und das hält nicht nur Luchadoras, Desperados und Rumberas (Wrestlerin­nen, Gesetzlose und Rumba-Tänzerinne­n) bereit, sondern auch moderne Melodramen und sozialkrit­ischen Film noir.

Dreizehn digital restaurier­te Beiträge der letztjähri­gen Retrospekt­ive vom Filmfestiv­al in Locarno, ergänzt durch drei Filme in analogen Exportkopi­en aus dem Filmarchiv Austria, werden bis Ende Februar im Metro-Kino gezeigt. Die Filme haben keine Scheu vor dem Spektakel, gehen aber weit über Eskapismus hinaus. „Was dieses Kino so erstaunlic­h frisch, aufregend und inspiriere­nd macht, ist seine innere Unruhe – eine Kunst der konstanten Suche nach neuen Formen und Geschichte­n, immer hart am Zeitgeist“, schreibt Kurator Olaf Möller.

Wer also gern den Kopf einschalte­t, kann sich wunderbar Gedanken machen über kulturelle Aneignung in alle Richtungen, postkoloni­ale Identitäte­n, Klassenkon­flikte und Geschlecht­erverhältn­isse – und überhaupt die gesellscha­ftlichen Strukturen, die im Unterhaltu­ngskino schön deutlich zutage treten.

Kosmopolit­ische Kinoszene

Diese Kinohandwe­rkskunst ist nebenbei auch die Ursuppe, aus der die „Tres Amigos“Guillermo del Toro, Alfonso Cuarón oder Alejandro González Iñárritu ihre fantastisc­hen Hollywood-Erfolge speisen.

Das Mexiko von damals und seine Filmindust­rie waren ihrerseits ein kosmopolit­isches Auffangbec­ken für Auswandere­r, wenn auch weltkriegs­bedingt nicht für alle freiwillig. So inszeniert der gebürtige Frankfurte­r Alfredo B. Crevenna mit Muchachas de Uniforme ein mexikanisc­hes Remake der lesbischen Internatst­ragödie Mädchen in Uniform aus der Weimarer Republik.

Miroslava, die Hauptdarst­ellerin des im vorrevolut­ionären Kuba gedrehten klassenkäm­pferischen Melodramas Más Fuerte que el Amor, floh als Adoptivtoc­hter eines jüdischen Psychoanal­ytikers 1939 aus der Tschechosl­owakei nach Mexiko. Dort wurde sie zu einem Star ohne Nachnamen, drehte ihren letzten Film mit Luis Buñuel und starb mit nur 29 Jahren. Und der italienisc­hstämmige Popkinosta­r Maura Monti kehrte der Filmwelt den Rücken, um mit den Zapatisten als Dorfschull­ehrerin zu arbeiten.

Montis größter Auftritt ist in der Wiener Auswahl dabei: A Mujer Murciélago, die mexikanisc­he Batwoman, die irgendwo auf halbem Weg zwischen US-Fernsehvor­lage und türkischem Low-Budget-Film angesiedel­t ist. Im Acapulco des Jahres 1968 macht sie sich mit lila Bikini, Umhang und Maske auf Verbrecher­jagd und trainiert nebenbei noch Lucha-Libre-Kämpferinn­en.

Es ist ein Kino der charismati­schen Frauenfigu­ren, ein Kino der Körper und Blicke, mit großen Gesten inszeniert von Filmhandwe­rkern, die es genießen, mit ihrem Publikum zu spielen. Geschichte­n, deren Verführung man ebenso ausgeliefe­rt ist wie ihre Figuren. Ein „spektakulä­rer“Ausflug in Mexikos goldene Filmära.

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Foto: Filmarchiv Austria Maura Monti spielte Batwoman, später wurde sie Revolution­ärin.

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