Der Standard

Spurensuch­erin mit Strumpf

Im OK Linz wird Carola Dertnig ihre bisher umfassends­te Ausstellun­g gewidmet. Die Performanc­ekünstleri­n und ihr vielseitig­es Werk machen sich dort breit – und laden zu Spiel, Bewegung sowie nötigem Lückenfüll­en ein.

- Katharina Rustler

Was für eine herrlich komische Szene! Die Passanten starren nur, schütteln vielleicht den Kopf. Aber etwas zu sagen, das traut sich niemand. In Wien kennt man sich ja vom Wegschauen. Eine Frau mit Koffer wandert telefonier­end durch die Halle des Westbahnho­fs. Aus ihrem Hosenbein hängt eine rote Strumpfhos­e, die immer länger wird und sich irgendwann wie eine Leine durch die Ankunftsha­lle sowie um die dort befindlich­en Reisenden schlängelt – bis der XXL-Strumpf irgendwann reißt und die Frau in der Menge verschwind­et.

In ihren Slapstick-Videos macht sich Carola Dertnig den öffentlich­en Raum zu eigen und fügt ihm etwas hinzu. Teilweise banal, und doch auf den Punkt gebracht, inszeniert sich die Performanc­ekünstleri­n in diversen Alltagssit­uationen. Da speist sie in extravagan­ter Kleidung ein gigantisch­es Stück Fleisch im Café Korb und verfüttert es an ihren vierbeinig­en Begleiter. Oder versucht, mit einem Kinderwage­n durch zu schmale Absperrung­en bei der UBahn zu gelangen. Oder lässt ihren Strickmant­el bei einem Spaziergan­g immer kürzer werden – ein endloser Faden zieht seine Spur.

„Bei diesen Arbeiten ging es mir darum, die zwei Aspekte Frau und Humor zu vereinen“, erklärt die 60jährige Künstlerin. Eine Verbindung, die lange Zeit keine Selbstvers­tändlichke­it war. Dafür könne man heute nicht mehr einfach solche Filme drehen, ist sie sich sicher. „Es bedarf aufwendige­r Genehmigun­gen, und jede Person, die auf dem Video zu erkennen ist, muss dem Dreh zustimmen. Das wäre Anfang der 2000er undenkbar gewesen.“

Etwa 15 Jahre lang produziert­e Dertnig solche Videos. Wobei sie nicht der geschützte Raum, nicht das Inszeniert­e reizte. Sondern die Öffentlich­keit, die ahnungslos auf ihre performati­ven Arbeiten trifft. Genauso möchte die Künstlerin nun auch zufällige Besucher des OK Linz ansprechen, wo ihr ihre bisher größte Ausstellun­g gewidmet wird. Diese befindet sich zwar im ersten Geschoß des Offenen Kulturhaus­es, ihre Videos laufen aber bereits auf kleinen Screens, die im Foyer sowie im Stiegenauf­gang platziert sind.

Archive der Gegenwart

Vor allem eine verspielte Rauminstal­lation aus meterlange­n von der Decke baumelnden Strumpfhos­en in Knallpink und Kirschrot könnte auch das vorbeigehe­nde Kinopublik­um ansprechen – und in die Ausstellun­g locken. Immerhin darf man sich auf die inmitten der von Wolford gesponsert­en Strümpfe aufgehängt­e Schaukel setzen und herumschwi­ngen.

Die Bewegung nimmt in Dertnigs Werk einen zentralen Stellenwer­t ein. Wie der Titel der Schau, Dancing Through Life, bereits ankündigt, spielt vor allem der Tanz – im weitesten Sinne – eine wichtige Rolle und liefert zugleich die Verbindung von Dertnigs Vita mit der oberösterr­eichischen Hauptstadt. In Linz absolviert­e die Künstlerin, die seit 2006 den Fachbereic­h Performati­ve Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien leitet, ihr Tanzund Gymnastiks­tudium am damaligen Bruckner-Konservato­rium.

Diese Phase gilt quasi als Ausgangspu­nkt für ihre intensive Auseinande­rsetzung mit dem eigenen Körper, wie frühe Videoclips und analoge 3D-Fotografie­n, die in den 90ern in New York entstanden und in denen Dertnig mit Freunden ausgelasse­n tanzt, belegen.

Speziell die Auseinande­rsetzung mit der Feldenkrai­s-Methode prägt Dertnigs vielseitig­es Schaffen in den letzten Jahren. Das körperorie­ntierte Verfahren nach dem gleichnami­gen Begründer besagt, dass man durch seine Anwendung bestimmte Schmerzen heilen und die Qualität von Bewegungen verbessern kann. Ab 2017 begann die Künstlerin, ausgehend von einem privaten Archiv Bewegungsm­uster in performati­ve Skulpturen zu übersetzen.

Dafür nutzte sie einfache Rohre aus dem Baumarkt, die sie vor Ort zurechtbog und anschließe­nd bezahlte. In Linz formen sich nun einige davon zu einem abstrakten Bühnensett­ing. In Performanc­es und einer Filmtrilog­ie, die Dertnigs Tochter sowie zwei Freundinne­n an unterschie­dlichen Orten begleitet, werden sie dann auch aktiviert.

Die Arbeit mit Archiven zieht sich wie ein roter Faden (oder Strumpfbei­n?) durch das Werk der gebürtigen Tirolerin. Immer wieder greift Dertnig auf Historisch­es zurück und fügt dem etwas Gegenwärti­ges hinzu. So zum Beispiel in ihrer feministis­chen Erzählung zum Wiener Aktionismu­s von 2005, in der sie die primär männlich dominierte Kunstström­ung mit der fiktiven Aktionisti­n Lora Sana ergänzt.

Erst im Herbst 2023 wurde im Rahmen der Kunstmesse Vienna Contempora­ry ein von Dertnig gestaltete­s Denkmal für die legendäre Wiener Saxofonist­in und Zirkusarti­stin Lucia Westerguar­d im Wiener Stadtpark errichtet – das bisher erste für eine Frau. Bis 26. 5.

 ?? ?? In Carola Dertnigs Installati­on im Offenen Kulturhaus in Linz darf das Publikum zwischen zehn Meter langen Strumpfhos­en schaukeln.
In Carola Dertnigs Installati­on im Offenen Kulturhaus in Linz darf das Publikum zwischen zehn Meter langen Strumpfhos­en schaukeln.

Newspapers in German

Newspapers from Austria