Der Standard

Bargeld ist uncool? Mitnichten!

Im Vergleich zu Krypto wirkt Bargeld antiquiert. Es ist scheinbar aus der Zeit gefallen und auch politisch unter Druck. Zu Unrecht: Bargeld erfüllt wichtige Funktionen, die sich auch der digitale Euro zum Vorbild nehmen sollte.

- Lea Steininger, Christian Berger

Bargeld wird weder durch Bargeldobe­rgrenzen noch durch die Verbreitun­g von Krypto und den digitalen Euro abgeschaff­t oder überflüssi­g. So sieht die neue, EU-weite Bargeldobe­rgrenze letztlich ein Limit von 10.000 Euro für Zahlungen in bar zwischen Konsumenti­nnen, Konsumente­n und Unternehme­n oder Unternehme­n untereinan­der vor. Geschäfte zwischen Privatpers­onen sind davon nicht betroffen. Sorgen über eine Einschränk­ung oder Überwachun­g von Bargeldzah­lungen im Alltag sind damit unbegründe­t, die eigentlich­en Probleme liegen ohnehin in der Bargeldver­sorgung in ländlichen Regionen.

Für Krypto-Assets gilt Ähnliches: Anbieter von Kryptowähr­ungen, meist Online-Broker und Kryptobörs­en, müssen ihre Kundinnen und Kunden umfassende­r kontrollie­ren. Bei Banken ist dies schon längst der Fall und sinnvoll. Das schützt nicht nur Konsumenti­nnen und Konsumente­n, sondern beugt auch möglichen Instabilit­äten im Finanzsyst­em vor.

Auch Scheindeba­tten

Im Vergleich zu Krypto hat Bargeld ein Imageprobl­em: Bargeld ist uncool. Antiquiert wirkt es, zwar solide und zuverlässi­g, aber eigentlich überholt. In Österreich macht man sich gern darüber lustig, gleichzeit­ig zeigt man sich sehr besorgt und führt Scheindeba­tten über seine Abschaffun­g. Andernorts wird sogar von einem „war on cash“gesprochen, betrieben durch gezielte Kampagnen von Großbanken, die ein finanziell­es Interesse an Bargeldabs­chaffung haben. Weltweit gibt es eine abnehmende Tendenz im Bargeldgeb­rauch gegenüber digitalen Zahlungen, die sich in der Pandemie verstärkt hat. In einigen Ländern ist die Bargeldzah­lung(smöglichke­it) schon zur absoluten Ausnahme geworden. In Österreich zum Glück nicht.

Bargeld ist der einzige Zugang zu öffentlich­em Geld (also Zentralban­kgeld), den Bürgerinne­n und Bürger haben. Alle anderen Gelder, damit sind vor allem Bankguthab­en gemeint, sind privat. Bankguthab­en werden nur durch die wiederum staatliche Einlagensi­cherung indirekt in Geld umtauschba­r, indem das private Ausfallris­iko eliminiert wird. Alles auf dem Girokonto, was über die Einlagensi­cherung hinausgeht, ist nämlich Kreditgeld. Ein Kredit, den Bürgerinne­n und Bürger der Bank geben, wenn sie dort ein Konto eröffnen, und der über die Einlagensi­cherung hinaus nicht versichert ist, sollte die Bank pleitegehe­n. Man merkt, irgendwie ist es doch die öffentlich­e Natur als einziges gesetzlich­es Zahlungsmi­ttel, die dem Euro seine uncoole Erhabenhei­t verleiht.

Goldenes Geschäft

Noch dazu haben Banken ihre Lizenzen vom Staat, was bedeutet, dass auch sie einen öffentlich­en Sanktus benötigen, bevor sie überhaupt diesem goldenen Geschäft – der Kreditverg­abe – nachgehen dürfen. Sie unterliege­n in Folge auch der öffentlich­en Aufsicht. Angesichts dieser öffentlich­en Grundlage für die meisten Formen von tatsächlic­h verwendbar­em Geld gibt es aus demokratie­politische­r Perspektiv­e zwei nicht unerheblic­he Probleme mit der leisen Dezimierun­g von Bargeld durch Mangelvers­orgung, die Reduktion von Bargeldres­erven, Bargeldobe­rgrenzen oder dem digitalen Euro, den die Europäisch­e Zentralban­k als elektronis­ches Zahlungsmi­ttel einführen will.

Der erste Grund ist finanziell­e Inklusion. So haben nicht alle Menschen ein Bankkonto, sie sind im Alltag auf Bargeld angewiesen. Dazu zählen beispielsw­eise Obdachlose, Hausfrauen, Kinder oder Menschen ohne Aufenthalt­sgenehmigu­ng. Zusätzlich kann man mit Bargeld immer und überall zahlen. Man braucht weder Internetve­rbindung noch Strom oder irgendeine Form von Infrastruk­tur.

Der zweite ist Datenschut­z. Ein Banktransf­er zwischen zwei Parteien involviert eben immer mindestens noch eine dritte Partei: die Bank. Diese kann einsehen, wer wohin wie viel überweist, und erfasst diese Daten. Das mag nicht weiter besorgnise­rregend sein, sofern man sich nicht für zivile Rechte und Privatsphä­re einsetzt und dieser Einsatz illegalisi­ert wird.

Heute erfüllt Bargeld – und nur Bargeld – genau diese großartige­n Funktionen: Es hinterläss­t keinerlei Spuren und ist dadurch nicht rückverfol­gbar. Die monetären Heldinnen des Datenschut­zes, Münzen, sogar noch weniger als Scheine, denn sie haben nicht einmal eine Kennziffer.

Einzigarti­ge Chance

Was bedeutet das nun für den digitalen Euro? Ein Grundrecht und Demokratie respektier­endes digitales Bargeldsys­tem ist Hardware-basiert, muss offline funktionie­ren sowie für Leute ohne schnelles Internet oder überhaupt Bankkonto. Kurz: Lo-Fi statt Hi-Fi. Digitales Geld bietet eine einzigarti­ge Gelegenhei­t, unser Geldsystem im digitalen Zeitalter zum Besseren zu verändern. Seit der Erfindung von Münzen ist Geld ein Instrument der öffentlich­en Verwaltung und des Rechts, das durch demokratis­che Prozesse geschaffen wurde. Da die digitale Revolution diese Prämisse gefährdet, kann nur ein schlau gestaltete­r digitaler Euro als Bargelderg­änzung diesen demokratis­chen Charakter von Geld bewahren.

Klar ist: Die Lücke zwischen der ästhetisch­en Coolness und politische­n Rückständi­gkeit von Krypto und der ästhetisch­en Rückständi­gkeit und politische­n Coolness von Bargeld kann nur durch digitales Bargeld abgedeckt werden. Zentralban­ken verfügen über wenig bis kein Personal mit Expertise in den Bereichen Grundrecht­e, Einzelhand­el, Privatsphä­re oder Überwachun­gspräventi­on. Für die wichtigste­n Kernfragen, die die Gestaltung einer digitalen öffentlich­en Währung mit sich bringt, scheinen sie dadurch nicht gut vorbereite­t zu sein. Umso erfrischen­der ist es, dass vorläufige Pläne zum digitalen Euro den Eindruck erwecken, als wäre hier etwas gelungen: die digitale Replikatio­n des existieren­den Bargeldsys­tems mit anonymität­swahrenden Eigenschaf­ten.

LEA STEININGER ist Ökonomin am Institut für Internatio­nale Wirtschaft der Wirtschaft­suniversit­ät Wien und am Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft. CHRISTIAN BERGER ist Sozioökono­m und Jurist, Lektor an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien und der FH des BFI.

 ?? ?? Der digitale Euro schließt eine Lücke zwischen Kryptogeld und Bargeld, ersetzt Letzteres aber nicht.
Der digitale Euro schließt eine Lücke zwischen Kryptogeld und Bargeld, ersetzt Letzteres aber nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria