Der Standard

Ehrliche Debatte, bitte!

- Jakob Pflügl

Man stelle sich Folgendes vor: Ein heimisches Unternehme­n hat hunderte einzelne Zulieferer; seine Lieferkett­e verläuft zweimal um den gesamten Globus. Wie soll dieses Unternehme­n vernünftig kontrollie­ren können, ob an jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt Menschenre­chte und Umweltstan­dards eingehalte­n werden?

Die kurze Antwort: Gar nicht. Nur: Anders als von Wirtschaft­svertreter­n behauptet, verlangt das die geplante Lieferkett­enrichtlin­ie der EU nicht. Sie würde Unternehme­n schlicht dazu verpflicht­en, schrittwei­se mehr Verantwort­ung für ihre Zulieferer zu übernehmen – zum Beispiel indem sie ihre Verträge anpassen, stichprobe­nartige Kontrollen durchführe­n oder bei Hinweisen von NGOs zeitnah reagieren.

Vor allem großen Unternehme­n könnte man diese Verantwort­ung durchaus zumuten, schließlic­h führt mittlerwei­le ein Drittel davon freiwillig­e Sorgfaltsp­rüfungen durch. Doch die EU-Staaten werden sich vorerst nicht einig. Österreich sorgte gemeinsam mit Deutschlan­d für eine Verschiebu­ng des Vorhabens. Die Regierunge­n haben Rufe der Wirtschaft­svertreter erhört und damit fragwürdig­e Argumente übernommen.

Wer ehrlich debattiert, muss nämlich zugeben, dass es weniger um komplizier­te Lieferkett­en geht als um Geld: Produkte, die unter der Einhaltung von Menschenre­chten und Umweltstan­dards hergestell­t werden, sind teurer. Europäisch­e Unternehme­n wären im internatio­nalen Wettbewerb benachteil­igt; Konsumente­n müssten mit höheren Preisen rechnen. Am Ende des Tages ließe sich ein gewisser Wohlstands­verlust kaum verhindern.

Daraus folgt eine unangenehm­e, aber wenigstens ehrliche Frage: Wollen wir auf Wohlstand verzichten, wenn er auf Ausbeutung basiert? Oder weitermach­en wie bisher?

Europas Konsumenti­nnen und Konsumente­n haben im globalen Handel enormes Gewicht. Viele Märkte produziere­n nach unseren Wünschen. Im Gegensatz zu kaum durchsetzb­aren internatio­nalen Abkommen wäre die Lieferkett­enrichtlin­ie ein wirksamer Hebel, um in den Produktion­sländern echte Verbesseru­ngen durchzuset­zen. Im Übrigen würde das Regelwerk auch innerhalb der europäisch­en Märkte zu ungleich mehr Gerechtigk­eit führen: Unternehme­n, die sich bis dato freiwillig an Sorgfaltsm­aßstäbe halten, wären im Wettbewerb mit billiger Konkurrenz nicht mehr benachteil­igt.

Die Lieferkett­enrichtlin­ie ist ein völlig neues Regelwerk, das natürlich nicht perfekt ist. Für Unternehme­n und Behörden sind mit dem Gesetz Unsicherhe­iten verbunden; viele Fragen werden am Ende des Tages Gerichte klären müssen. Nicht zuletzt kann man an der einen oder anderen Schraube sicher noch drehen: Denkbar wären etwa Safe-Harbour-Listen, die unbedenkli­che Regionen oder Unternehme­n ausweisen.

Bei den Nachverhan­dlungen der Richtlinie sollte es aber bei kleinen Eingriffen bleiben. Andernfall­s droht die Verwässeru­ng eines Regelwerks, das uns in Sachen Menschen- und Umweltrech­te einen großen Schritt voranbring­en könnte.

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