Der Standard

Gekonntes Geplauder über einen ganz Großen

Der Schriftste­ller Daniel Kehlmann und der Philosoph Omri Boehm nehmen Immanuel Kants 300. Geburtstag zum Anlass für ein ausführlic­hes Gespräch.

- Bert Rebhandl

Der erste Roman von Daniel Kehlmann hieß Beerholms Vorstellun­gen. Er erschien 1997 in Wien. Wer immer damals das Manuskript bei Deuticke angenommen und lektoriert hat (man kann annehmen: die legendäre Programmle­iterin Martina Schmidt selbst), erzielte vielleicht eine folgenreic­he Nebenwirku­ng. Denn Kehlmann saß zu der Zeit an einer philosophi­schen Dissertati­on, und wenn wir uns vorstellen, dass die Ermutigung zum Schreiben von Romanen auf sich warten lassen hätte, dann wäre er jetzt vielleicht Doktor der Philosophi­e – und womöglich ein zweiter Markus Gabriel, um einen heutigen Philosophe­n zu nennen, der den Markt mit gut verkäuflic­hem Gedankengu­t versorgt.

Kehlmann interessie­rte sich damals für das Erhabene. Das ist einer der Begriffe, die unverbrüch­lich mit Immanuel Kant verbunden sind. Und könnte es für einen vielfach Begabten eine bessere Genugtuung geben, als bald dreißig Jahre später in einem anderen als dem akademisch­en Rahmen eine Art PlauderPro­motion abzuhalten, die vielleicht auch den Weg ebnet für ein Ehrendokto­rat an der Alma Mater Rudolphina? Auch so könnte man das Buch einordnen, das Kehlmann gerade mit dem Philosophe­n Omri Boehm herausgebr­acht hat: Der bestirnte Himmel über mir. Ein Gespräch über Kant. Ein Schriftste­ller und ein Professor treffen sich in der Mitte, nämlich auf dem Terrain der Intellektu­ellen, und sprechen über den alten Meister aus Königsberg, dem ein Ruf des Pedantisch­en hinterhere­ilt. Kant, der Philosoph der Aufklärung, und zwar nicht nur der historisch­en im 18. Jahrhunder­t, sondern einer prinzipiel­len Aufklärung. Kant, der Verfasser dreier Kritiken, die das Verhältnis zwischen Vernunft und Wissenscha­ft, Religion und Kunst grundlegen­d zu ordnen versuchten.

Eine gute Konstellat­ion

Omri Boehm wurde als Philosoph zu einem Star, indem er sich gerade dann für Kants Denken einzusetze­n begann, als dieser zunehmend für rassistisc­he Passagen in seinen Werken unter Verdacht geriet. Boehm begann aber mit einer Studie zu der jüdisch-biblischen Geschichte von Abraham und Isaaak, die er zuletzt in seinem Buch Radikaler Universali­smus originell wieder aufgriff. In dem Gesprächsb­uch mit Kehlmann ist er die philosophi­sche Instanz, der Schriftste­ller bescheidet sich damit, den kenntnisre­ichen und intelligen­ten Laien zu geben – eine Konstellat­ion, die erstaunlic­h gut funktionie­rt, wenn man bedenkt, dass dem ganzen Buch zwei Tage faktisches Gespräch zugrunde liegen, noch dazu in zwei Sprachen, Boehm wurde für den schriftlic­hen Text aus dem Englischen übersetzt.

Das Ergebnis ist gut lesbar und lohnende Lektüre. Denn Boehm und Kehlmann schaffen es, das Denken von Kant im Detail so zu diskutiere­n, dass man die historisch­en Konstellat­ionen verstehen lernt, aus denen Kant kam – im Wesentlich­en waren das die frühneuzei­tlichen Fragen bei Spinoza und Leibniz, die das Verhältnis von Gott und Welt zu klären versuchten. Im Hintergrun­d steht dabei immer das, was als abendländi­sche Metaphysik geläufig ist: ein scheinbar rationales System, das nach den Logiken des Gott-Welt-Verhältnis­ses suchte und dafür viele Voraussetz­ungen einführte, die den Vernunftan­sprüchen von Kant nicht genügten.

Die Metaphysik schuf auch ein Autoritäts­verhältnis: Menschen hielten sich an Gebote, weil die von Gott kamen, er war der Urheber von allem. Kant war der Philosoph, der dieses Autoritäts­verhältnis kündigte: Die Normen kommen nicht von Gott. Und das Erhabene als eine Erfahrung von etwas, das für den Verstand zu groß ist (der gestirnte Himmel, der Kosmos, letztlich: die Unendlichk­eit), verweist nicht auf Gott, sondern auf die menschlich­e Freiheit.

Damit ist Boehm bei seinem zentralen Anliegen: die Menschheit als moralische­r Begriff, die Aufklärung als ethischer Standpunkt. Dieser Universali­smus wird heute gern als verbrämt eurozentri­stisch bestritten, wodurch Boehm auf eine Mission geraten ist, auf der ihm Kehlmann bereitwill­igst folgt. Denn sie entspricht zutiefst seinen eigenen intellektu­ellen Intuitione­n. Er würzt die hochkaräti­ge Plauderei auch immer wieder mit Zitaten von Kolleginne­n aller Zeitalter – in dem Buch wird, dies nebenbei, elegant und unaufdring­lich auch gegendert.

Da Kant die Philosophi­e neu aufgestell­t hat, ist das Buch auch als Einführung in das philosophi­sche Denken lesbar: Logik, Wissenscha­ftstheorie, Ästhetik, Ontologie, alles taucht auf und wird im Durchgang durch die Themen der drei Kritiken angesproch­en. Kehlmann geht vielleicht ein wenig zu weit, wenn er hofft, dass Kant sogar das „Problem der Kunst gelöst“habe, aber das kann man als Optimismus lesen, der durchkling­t. Wenn Boehm einen „Begriff der Menschheit“vorschlägt, der „nicht an diese Welt gebunden ist“, hat man die Radikalitä­t dieser Lektüre ganz gut auf einem Punkt. Das Gespräch zweier immer noch junger, weißer Männer über einen prototypis­chen alten, weißen Welterklär­er wird sicher schon aufgrund dieser Konstellat­ion auf Argwohn stoßen. Man sollte sich davon nicht in die Irre locken lassen.

 ?? ?? Omri Boehm, Daniel Kehlmann, „Der bestirnte Himmel über mir. Ein Gespräch über Kant“. € 27,50 / 352 Seiten. Propyläen, Berlin 2024
Omri Boehm, Daniel Kehlmann, „Der bestirnte Himmel über mir. Ein Gespräch über Kant“. € 27,50 / 352 Seiten. Propyläen, Berlin 2024
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Foto: Imago / Gemini Collection Immanuel Kant (1724–1804).

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