Monaco in Donaustadt
Die Formel 1 gastiert im 22. Bezirk und nennt ihre sehenswerte Sammlung schlicht „Die Ausstellung“. Es geht um Österreichs Helden, ein ausgebranntes Wrack – und die Erinnerung an tödliche Zeiten.
Die Bilder gingen um die Welt. Am 29. November 2020 schlug Romain Grosjean beim Grand Prix von Bahrain mit 192 km/h in die Leitplanke ein. Der HaasBolide wurde in zwei Teile gerissen und ging sofort in Flammen auf. Als in den sozialen Medien bestimmt schon zu Gebeten aufgerufen wurde, entstieg der Franzose dem Inferno aus eigener Kraft. Ganze 27 Sekunden hatte er im Feuer verbracht und dabei lediglich leichte Verbrennungen erlitten. Das Rennauto hat es noch bis in den 22. Wiener Gemeindebezirk geschafft. Der Schrotthaufen war auf dem Weg allerdings auf fremde Hilfe angewiesen.
Die „Formula-1-Ausstellung“ist ein Wanderzirkus. Im Vorjahr feierte die Schau in Madrid Premiere, jetzt macht sie in Wien Station. Ja, Donaustadt goes Monte Carlo. Direkt hinter dem Hornbach wartet die große weite Welt. Champagner, schnelle Kisten und Blitzlichtgewitter. In sieben Ausstellungsräumen der Meta-Stadt wird auf 3000 Quadratmetern die Königsklasse des Motorsports gewürdigt. Eintrittskarte entwertet, zweimal um die Ecke gebogen, und schon steht man vor dem vielleicht schönsten Fahrzeug aller Zeiten, dem Ferrari F187/88C. Mit dieser Maschine gewann Gerhard Berger 1988 im Autodromo von Monza. Einen Monat nach dem Tod von Commendatore Enzo Ferrari. Man möchte niederknien, den Frontflügel küssen und die Fratelli d’Italia singen.
Die Büsten der ehemaligen Weltmeister gemahnen an das alte Rom. Ein Schädel schaut aus wie der andere. Alain Prost lässt sich an der Nase identifizieren, ansonsten sind die Champions kaum zu unterscheiden. Niki Lauda hat noch beide Ohren dran, es ist die Zeit vor dem Nürburgring. Man verneigt sich ehrfürchtig und stößt ins Herzstück der Sammlung vor. Der Raum „Fahrer und Duelle“bietet eine fabelhafte Kollektion an historischen Erinnerungsstücken. Hier der Kart des jungen
Lewis Hamilton, dort der knallgelbe Overall von Keke Rosberg. Ein Design-Klassiker ist der Helm des zweifachen Weltmeisters Graham Hill. Die dunkelblaue Grundfarbe wird von den weißen Rudern des London Rowing Club geschmückt. Zeitlose Eleganz.
Jetzt wird es interaktiv. Wer ist der Beste aller Zeiten? Als langjähriger Beobachter der Formel 1 hat man natürlich einen Favoriten. Dementsprechend lassen sich die Parameter einstellen. Also: Stadtrennen sind extrem relevant, die Regenrennen sowieso. Auf nasser Fahrbahn trennt sich die Spreu vom Weizen. Die 1980er-Jahre bekommen besonderes Gewicht, Qualifying und teaminterne Duelle ebenfalls. Wenn der Algorithmus halbwegs bei Sinnen ist, kann es nur einen geben: Ayrton Senna da Silva, die Ikone schlechthin. Und wen spuckt der Rechner aus? Nein, nicht den brasilianischen Regengott, sondern den WMFünften von 1969, Jean-Pierre Beltoise. Überraschend kreativ.
Leben und sterben
Aber man vergibt. Die unzähligen Memorabilia machen alles sofort wieder gut. Allein die Fahrerkleidungen aus den 1930er-Jahren sind den Ausflug wert. Das Thema Sicherheit genoss in den Anfängen des Motorsports nicht die höchste Priorität. Es wurde mehr an Mode als an Überleben gedacht. Der Helm aus Leinen, der Overall aus weißer Baumwolle, vielleicht ein schicker Ledergürtel dazu – das war’s. Schönheit muss leiden. Und auf der Rennstrecke auch sterben. Die über den Screen laufende Liste der tödlich verunglückten Piloten liest sich lang. Allein in Österreich hat es Jochen Rindt, Helmut Koinigg, Jo Gartner und Roland Ratzenberger getroffen. Vier von 13 heimischen Vertretern in der Formel 1. Eine brutale Auslese.
Große Motorsportausstellungen haben in Wien Tradition. In den Sechzigern gab es die Jochen-Rindt-Show, später präsentierte Niki Lauda die „heißesten PS“, dann lud Gerhard
Berger zur „PS-Party“in die Stadthalle. Kein Wunder also, dass in der Meta-Stadt in Kooperation mit dem Red-Bull-Ring ein zusätzlicher Raum geschaffen wurde, der den „österreichischen Motorsport und die Formel-1-Helden des Landes“feiern soll. Rindt, Lauda und Berger haben ihren Ehrenplatz bekommen. Eh klar. Dazu gesellen sich der verstorbene RedBull-Boss Didi Mateschitz und dessen Berater Helmut Marko. Auch berechtigt. Aber was ist mit Toto Wolff? Der Wiener führte Mercedes als Teamchef zu sieben WM-Titeln in Folge – und wurde irgendwie vergessen.
Aber es geht nicht nur um Menschen, es geht auch um die Wunder der Technik. Mit gebotenem Respekt steht man vor dem Monocoque des Lotus 25. Das erste Chassis seiner Art, ein Meilenstein der Rennsportgeschichte. 1962 gelang dem legendären Konstrukteur Colin Chapman damit der große Wurf, ein Jahr später dominierte der Brite Jim Clark mit diesem Boliden die Saison. Die Konstruktion positionierte den Piloten zwischen zwei Kraftstofftanks. Ein schlankeres Rennauto hatte die Welt bis dahin noch nicht gesehen. Und die gelben Felgen sind bis heute ohnehin unerreicht.
Leben und warten
Zum Abschluss der Ausstellung wird man in die sogenannte Pit Wall eingeschleust. Hier fetzt die komplette Geschichte der Formel 1 im Schnelldurchlauf an einem vorbei. Es brennt, es blitzt, es kracht. Die Dramen, die Triumphe. Die Ampel springt auf Grün, man rast über die Kerbs und durch die Häuserschluchten. Und das Ganze im 360-Grad-Modus. Alberto Ascari stürzt mit seinem Lancia ins Hafenbecken von Monaco, Ayrton Senna und Nigel Mansell duellieren sich gnadenlos Rad an Rad, Max Verstappen fährt für Red Bull Racing in der letzten Runde zum Titel. Die Funken sprühen links und rechts, die Botschaft ist angekommen: Rennfahren heißt leben, die Zeit dazwischen ist Warten.