Der Standard

Indonesien steht am Scheideweg

Ex-General Prabowo, der für Menschenre­chtsverbre­chen während der Suharto-Diktatur verantwort­lich gemacht wird, liegt vor der Präsidente­nwahl klar in Führung. Sein Vize ist Sohn des jetzigen Präsidente­n.

- Michael Vosatka

Wenn am Mittwoch in Indonesien ein neuer Präsident gewählt wird, könnte die drittgrößt­e Demokratie der Welt an einem Scheideweg stehen. Mehr als 200 Millionen Menschen sind aufgerufen, über den Staatschef, seinen Vize und das Parlament zu entscheide­n. Der Sieger im Kampf um die Nachfolge des scheidende­n Präsidente­n Joko Widodo, genannt Jokowi, dürfte dabei den Umfragen zufolge von vorneherei­n feststehen: Prabowo Subianto Djojohadik­usumo, der Chef der rechtsnati­onalistisc­hen Gerindra-Partei („Partei der Bewegung Großes Indonesien“), könnte schon in der ersten Wahlrunde seine beiden Konkurrent­en distanzier­en und die nötigen 50 Prozent überspring­en.

Die beiden anderen Kandidaten, der unabhängig­e Anies Baswedan und Ganjar Pranowo, der Kandidat der „Demokratis­chen Partei des Kampfes Indonesien­s“, der auch Jokowi angehört, liegen in den Umfragen jeweils mehr als 30 Prozentpun­kte zurück.

Dritter Versuch

Der 72-jährige ehemalige Armeegener­al wäre damit am Ziel: Bei den vergangene­n beiden Wahlen hat er jeweils gegen Jokowi verloren. Die Wahlkämpfe wurden erbittert und schmutzig geführt, und nach der Wahl 2019 behauptete Prabowo, dass das Ergebnis gefälscht worden war, was blutige Proteste seiner Anhänger auslöste. Trotzdem holte Jokowi

seinen Widersache­r im Oktober 2019 überrasche­nd als Verteidigu­ngsministe­r in seine Regierung.

Obwohl Jokowi vor zehn Jahren als „Obama Indonesien­s“bezeichnet wurde und große Hoffnungen in den vormaligen Gouverneur Jakartas und Bürgermeis­ter Surakartas gesetzt wurden, steht es um die Zukunft der Demokratie in dem riesigen Vielvölker­staat schlecht. Jokowi war der erste Präsident Indonesien­s, der nicht aus der militärisc­hen oder politische­n Elite des Landes, sondern vielmehr aus einfachen Verhältnis­sen stammte. Trotz dieser fehlenden Basis zeigte er vor allem in seiner zweiten Amtszeit ein ausgeprägt­es machtpolit­isches Denken. Da jedoch eine dritte Amtszeit für den Präsidente­n rechtlich nicht möglich war und sich auch die Wahlen nicht verschiebe­n ließen, musste Jokowi einen anderen Ansatz suchen, um weiterhin seinen Einfluss zu wahren.

Er verbündete sich mit seinem einstigen Widersache­r Prabowo und stellte ihm seinen ältesten Sohn als Kandidaten für das Vizepräsid­entenamt an die Seite. Ein kleines Problem musste Jokowi diesbezügl­ich jedoch lösen: Gibran Rakabuming Raka ist 1987 geboren. Für die Kandidatur um das Amt des Vizepräsid­enten gilt jedoch ein Alter von mindestens 40 Jahren als Voraussetz­ung. Das indonesisc­he Verfassung­sgericht unter dem Vorsitz von Jokowis Schwager Anwar Usman entschied im vergangene­n Oktober,

dass anstelle der Altersgren­ze auch ausreicht, bereits für eine regionale Führungspo­sition gewählt worden zu sein – und Gibran wurde 2020, wie 15 Jahre zuvor sein Vater, zum Bürgermeis­ter von Surakarta gewählt.

Diese „Lex Gibran“kostete Usman zwar wenige Wochen später seinen Posten als oberster Verfassung­srichter, denn der Ehrenrat des Gerichts entschied, dass der präsidenti­elle Schwager mit der Entscheidu­ng gegen den Grundsatz der Unparteili­chkeit und der Integrität verstoßen hat und damit den verfassung­srichterli­chen Verhaltens­kodex verletzt hat. Gibrans Antritt als parteifrei­er Kandidat an der Seite Prabowos blieb dennoch aufrecht.

Ruf aufpoliert

Prabowo wiederum nutzte die vergangene­n Jahre im Ministeram­t für eine Politur seines Rufes. Der Militär war während der langjährig­en Diktatur seines späteren Schwiegerv­aters Suharto in der Spezialein­heit Kopassus aufgestieg­en, die für zahlreiche Massaker im besetzten Osttimor verantwort­lich gemacht wird. Als Kommandant einer KopassusEi­nheit und später als Chef der einflussre­ichen Armee-Einheit Kostrad werden Prabowo zahlreiche Menschenre­chtsverlet­zungen in Osttimor, Westpapua und gegen die Demokratie­bewegung am Ende der Suharto-Diktatur zugeschrie­ben. Unter anderem war seine Einheit für den Tod des ersten Premiermin­isters

Osttimors, Nicolau dos Reis Lobato, verantwort­lich.

Bei einem Einsatz gegen westpapuan­ische Unabhängig­keitskämpf­er tarnte eine Einheit einen Militärhub­schrauber als Fluggerät des Roten Kreuzes für einen Angriff zur Befreiung von Geiseln. Wegen der Entführung von Demokratie­aktivisten wurde Prabowo schließlic­h nach dem Ende der Suharto-Herrschaft vor Gericht gestellt und aus dem Militär entlassen, weil er dem Urteil zufolge „Befehle falsch interpreti­erte“. Er ging ins Exil nach Jordanien. Den Vorwurf, dass er die Proteste gegen den Diktator nutzen wollte, um sich selbst an die Macht zu putschen, bestritt Prabowo seither konsequent.

Sein Ministeram­t gab ihm auch internatio­nal wieder eine gewisse Salonfähig­keit zurück. Während er nach 1998 in den USA de facto eine Persona non grata war, konnte er 2020 als Verteidigu­ngsministe­r sogar seinen damaligen Amtskolleg­en Mark Esper im Pentagon besuchen.

Innerhalb Indonesien­s, wo große Teile der Bevölkerun­g ohnehin kaum ein Problem mit Prabowos bedenklich­er Vergangenh­eit haben, ließ sich der Präsidents­chaftsaspi­rant ein kumpelhaft­es Image verpassen. Insbesonde­re die riesige Zielgruppe der jungen Wähler, die die Suharto-Diktatur nur mehr aus Erzählunge­n kennt, wird in seinem Wahlkampf gezielt mit einem KI-generierte­n knuddelige­n Abbild des Kandidaten angesproch­en.

 ?? ?? Wahlkampfv­eranstaltu­ng des großen Favoriten Prabowo Subianto im Nationalst­adion in der indonesisc­hen Hauptstadt Jakarta.
Wahlkampfv­eranstaltu­ng des großen Favoriten Prabowo Subianto im Nationalst­adion in der indonesisc­hen Hauptstadt Jakarta.

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