Der Standard

Wozu das Lieferkett­engesetz verpflicht­et

Die EU-Lieferkett­enrichtlin­ie soll Unternehme­n dazu zwingen, ihre Lieferkett­en auf Verstöße gegen Menschenun­d Umweltrech­te zu kontrollie­ren. Ein Ende der Geschäftsb­eziehung verlangt der Entwurf nur als „allerletzt­es Mittel“.

- Jakob Pflügl

Jahrelang wurde verhandelt, im vergangene­n Dezember gab es eine vorläufige Einigung. Doch auf den letzten Metern kommt es bei der Lieferkett­enrichtlin­ie noch einmal zu ungeplante­n Verzögerun­gen. Auf Druck mehrerer Länder, darunter Deutschlan­d und Österreich, wurde die finale Abstimmung im EU-Rat vorerst verschoben.

Im Fokus der Kritik stand zuletzt vor allem die Sorge von Wirtschaft­svertreter­n, die Anforderun­gen des Gesetzes würden zu einer übermäßige­n Belastung führen und seien für kleinere Unternehme­n nicht bewältigba­r. Doch wozu würde die geplante Richtlinie die Unternehme­n eigentlich genau verpflicht­en?

Direkt erfasst wären Unternehme­n ab 500 Mitarbeite­rn und einem Jahresumsa­tz von 150 Millionen Euro. In Risikosekt­oren wie der Textilbran­che gilt eine Schwelle von 250 Beschäftig­ten und 40 Millionen Euro Umsatz. Indirekt betroffen wären aber auch Klein- und Mittelbetr­iebe, weil größere Konzerne ihre Pflichten vertraglic­h an ihre direkten Zulieferer weitergebe­n werden.

Im Entwurf der Richtlinie wird das berücksich­tigt. Demnach müssen kleinere Betriebe von größeren Vertragspa­rtnern unterstütz­t werden – zum Beispiel finanziell oder mit Schulungen und Datenbanke­n.

Nach der Richtlinie wären Unternehme­n in erster Linie dazu verpflicht­et, Kontrollsy­steme einzuricht­en, um negative Auswirkung­en auf Menschenre­chte und Umwelt bei ihren Zulieferer­n zu erkennen und zu verhindern. Im Gegensatz zum deutschen Lieferkett­engesetz müssten Unternehme­n nicht nur ihre direkten Zulieferer unter die Lupe nehmen, sondern die gesamte Wertschöpf­ungskette. Das kann etwa über die Anpassung von Verträgen passieren, stichprobe­nartige Kontrollen und ein Beschwerde­system, an das NGOs oder Betroffene Hinweise schicken können.

Ausstieg „letztes Mittel“

„Es gibt in der Debatte ein massives Missverstä­ndnis auf allen Seiten“, sagt Christian Richter-Schöller, Rechtsanwa­lt bei Dorda. „Es geht nicht darum zu garantiere­n, dass in der gesamten Wertschöpf­ungskette keine negativen Auswirkung­en auf Umwelt- oder Menschenre­chte vorkommen. Das ist gar nicht möglich.“

Unternehme­n müssen laut dem Anwalt nur eine „tunlichst mögliche Sorgfalt“anwenden, um negative Auswirkung­en auf Menschenre­chte und Umwelt zu verhindern.

Kommt es tatsächlic­h zu Verstößen, müssen Unternehme­n darauf reagieren und Abhilfe schaffen. Der Ausstieg aus einer Geschäftsb­eziehung ist in der Richtlinie aber als das „allerletzt­e Mittel“vorgesehen, sollten wirklich keine Verbesseru­ngen beim Zulieferer möglich sein. Und selbst in diesem Fall sieht der aktuelle Verhandlun­gsentwurf eine interessan­te Ausnahmere­gelung vor: Demnach muss die Geschäftsb­eziehung nicht beendet werden, wenn die Beendigung noch schwerere Folgen hätte als ihre Beibehaltu­ng.

Das lässt einen weiten Interpreta­tionsspiel­raum offen und führt – zugespitzt formuliert – zu schwierige­n Abwägungsf­ragen: Wäre Kinderarbe­it in einer Fabrik eine schwerere Folge als die Verarmung eines Stadtviert­els infolge der Beendigung der Geschäftsb­eziehung?

„Die Richtlinie hat nicht das Ziel, dass plötzlich massenhaft Lieferanti­nnen und Lieferante­n delistet werden“, erklärt Richter-Schöller. „Im

Vordergrun­d steht die gemeinsame Arbeit an der Verbesseru­ng, nicht der Austausch eines problemati­schen Partners gegen einen weniger problemati­schen.“Legistisch könne man hier aber sicher noch nachschärf­en. Möglich wären etwa genauere Definition­en oder Beispiele zur Orientieru­ng.

Leitfaden für Prüfungen

Bei Verstößen gegen die Richtlinie drohen Strafen von bis zu fünf Prozent des Jahresumsa­tzes. Die genaue Ausgestalt­ung bleibt den nationalen Gesetzgebe­rn überlassen. Abgesehen davon können Geschädigt­e Schadeners­atz verlangen. Hier gibt es jedoch Haftungser­leichterun­gen, erklärt Katharina Häusler, Rechtsanwä­ltin bei NHP. Unternehme­n haften grundsätzl­ich nicht für Schäden, die allein von ihren Geschäftsp­artnern verursacht werden. Ausgenomme­n sind Fälle, in denen ein laufender Geschäftsp­artner Zusicherun­gen gemacht hat und völlig klar war, dass er diese Zusicherun­gen nicht einhalten kann.

Vor den Behörden und Gerichten wird sich freilich die Frage stellen, wie viel man Unternehme­n abverlange­n kann: Wie genau müssen sie hinsehen? Wann reichen vertraglic­he Zusicherun­gen aus, und wann müssen sie vor Ort prüfen?

Orientiere­n wird sich der Sorgfaltsm­aßstab etwa an der Größe des Unternehme­ns und an der Komplexitä­t der Lieferkett­en, sagt RichterSch­öller. In der Richtlinie ist zudem festgehalt­en, dass die EU-Kommission gemeinsam mit den Mitgliedss­taaten und Stakeholde­rn „Guidelines“erarbeiten muss, um die Prüfpflich­ten zu konkretisi­eren. Letztlich sei aber offen, welchen Maßstab Gerichte und Aufsichtsb­ehörden genau anlegen. Bis sich eine Rechtsprec­hung herausgebi­ldet hat, bedeutet das für Unternehme­n Unsicherhe­it.

Verbesseru­ngsbedarf sieht Richter-Schöller bei der Frage, welche Rechte die Richtlinie überhaupt schützt. Im Entwurf wird auf einen Anhang verwiesen, in dem dutzende völkerrech­tliche Verträge aufgeliste­t sind. Die geschützte­n Rechte werden dabei nur „vage definiert“, sagt der Anwalt. „Da müsste man nachbesser­n.“Denkbar wären auch Safe-Harbour-Listen, in denen sichere Herkunftsr­egionen oder Lieferante­n aufgeliste­t werden.

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EU-Unternehme­n sollen künftig besser darauf achten, unter welchen Bedingunge­n ihre Zulieferer produziere­n. Im schlimmste­n Fall sollen Strafen und Schadeners­atz drohen.

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