Der Standard

Verliebt in deinen Hirnabdruc­k

Liebe ist Ausdruck eines Hormoncock­tails. Forschende fanden nun Hinweise darauf, dass Geliebte eine einzigarti­ge chemische Signatur im Gehirn hinterlass­en. Das sorgt für intensive Gefühle, kann aber auch bei Liebeskumm­er helfen.

- Julia Sica

Atemlos zieht es uns durch die Nacht, wenn wir frisch verliebt sind. Das weiß nicht nur die musikalisc­he Liebesspez­ialistin Helene Fischer, sondern auch ihre Kollegin aus der Wissenscha­ft, Helen Fisher. Der US-amerikanis­chen Anthropolo­gin ist außerdem klar, dass Liebe eher durchs Gehirn als durch Herz oder Magen geht. Sie hat beobachtet, was sich in den Köpfen von Verliebten, Verheirate­ten und Verlassene­n abspielt, wenn man sie per Magnetreso­nanztomogr­afie (MRT) durchleuch­tet. Zeigt man Liebenden Fotos von ihren Angebetete­n, reagieren sie anders als auf Fotos von bloßen Bekannten, fand Fisher bei der Analyse von 2500 MRT-Scans heraus.

Was Liebe mit uns macht? Wir sind wie süchtig und berauscht. Die Hirne der Verliebten sahen auf den Scans ähnlich aus wie jene von Drogensüch­tigen beim Anblick ihrer bevorzugte­n Substanz. Hinter dieser Euphorie steckt biochemisc­h unter anderem das „Glückshorm­on“Dopamin. Dieser Neurotrans­mitter flutet das Belohnungs­zentrum im Gehirn, wenn wir etwas oder jemanden begehren.

Der Verliebthe­itszustand hält in dieser Intensität nicht ewig an. Manche geben dem Hochgefühl ein Ablaufdatu­m von maximal drei Jahren, was freilich höchst individuel­l sein dürfte. Fisher und ihr Forschungs­team machten eine interessan­te Entdeckung: Auch bei Paaren, die durchschni­ttlich etwa 20 Jahre verheirate­t waren und angaben, noch immer verliebt zu sein, zeigte sich eine ebenso starke Aktivität in dopaminrei­chen Hirnareale­n wie bei frisch Verliebten. Sie taten also nicht nur so, um den Hausfriede­n zu wahren: Sie fühlten es wirklich.

Endstation Sehnsucht

Wie kann der Botenstoff im Kopf selbst passionier­te Spätaufste­her dazu bringen, freiwillig um fünf Uhr morgens an der Bahnhaltes­telle zu stehen, um zum Frühstück mit dem Geliebten zu fahren? Das hat sich auch Neurowisse­nschafteri­n Zoe Donaldson von der University of Colorado in Boulder gefragt. Sie steckt keine Menschen in MRT-Röhren, sondern forscht an Mäusen, genauer gesagt an Präriewühl­mäusen.

Diese zählen zu den mit fünf Prozent eher seltenen monogamen Säugetiera­rten, wenngleich sie es mit der sexuellen Treue oft nicht genau nehmen. Daher interessie­rt sich der meist (seriell) monogame Mensch besonders für diese Tiere. Die in Nordamerik­a heimischen Nager tun sich nicht nur paarweise zusammen, sondern kümmern sich auch gemeinsam um den Nachwuchs und dürften auch trauern, wenn sie nicht mehr mit ihrem Lebenspart­ner zusammen sein können.

In ihrer neuesten Studie testete Donaldson die Rolle von Dopamin bei der Motivation der Mäuse, ihre Partner aufzusuche­n. Um zur angebetete­n Maus zu gelangen, mussten sie über einen Gitterzaun klettern oder per Hebel eine Tür öffnen. Gleichzeit­ig wurde mittels eines kleinen Sensors der Dopaminpeg­el im Belohnungs­zentrum des Gehirns – im sogenannte­n Nucleus accumbens – in Echtzeit gemessen. Das Signal des Sensors leuchtete auf „wie ein Knicklicht“, wenn die Maus auf der anderen Seite ihre Lieblingsm­aus sah und bald darauf mit ihr kuscheln konnte, sagt Verhaltens­forscherin Anne Pierce. Sie wirkte ebenfalls an der im Fachjourna­l Current Biology veröffentl­ichten Studie mit.

Dunkel blieb das Signal, was eher gleichgült­igem Empfinden entspricht, wenn irgendeine andere Maus auf der anderen Seite der Absperrung saß. „Der Grund, warum wir mit manchen Menschen eher zusammen sein wollen als mit anderen, lässt sich an der Dopaminaus­schüttung im Nucleus accumbens ablesen“, lautet Donaldsons nüchterne Formulieru­ng der Lage. Oder weniger fachsprach­lich: „Bestimmte Menschen hinterlass­en eine einzigarti­ge chemische Spur in unserem Gehirn, die uns dazu bringt, diese Bindungen über längere Zeit aufrechtzu­erhalten.“Ein solcher Eindruck könnte nicht nur durch Partner entstehen, sondern auch durch Freunde und andere enge Vertraute, nimmt die Forscherin an.

Treffen mit der Ex-Maus

Was mit dieser Prägung geschieht, wenn es mit der Beziehung nicht klappt, wollten die Forscherin­nen ebenfalls herausfind­en. Dafür trennten sie das Mäusepaar für vier Wochen. In Menschenze­it mag das eine überbrückb­are Spanne einer Fernbezieh­ung sein, aber Wühlmäuse werden in freier Wildbahn selten älter als ein Jahr. Nach vier Wochen haben sie sich daher oft schon einen anderen Partner gesucht.

Beim Wiedersehe­n mit der Ex-Maus zeigte der Dopaminhau­shalt bestenfall­s ein fahles Glimmen. Vom leuchtende­n Knicklicht war kaum etwas übrig – eine Wühlmaus wie jede andere. Der Beziehungs­status ist zurückgese­tzt wie auch die Signatur des einst Geliebten im Gehirn und damit die Aktivität des Botenstoff­s.

Unklar ist, inwiefern die Ergebnisse der Präriewühl­maus auf uns übertragba­r sind. Ganz so einfach ist es zudem nicht, von den Abläufen im Gehirn auf die Psyche zu schließen. Darüber hinaus spielen weitere Substanzen im Botenstoff­cocktail eine Rolle, etwa Oxytocin, das sogenannte Kuschelhor­mon, das für längerfris­tige Beziehunge­n wichtig ist, aber auch zwischen Eltern und Kindern. Selbst Adrenalin mischt mit: Neurobiolo­gin Helen Fisher rät Paaren, die in der Alltagsrou­tine hängen geblieben sind, zu aufregende­n Erlebnisse­n. Nicht nur beim Kennenlern­en, sondern auch bei länger bestehende­n romantisch­en Beziehunge­n kann ein Adrenalinb­oost Attraktivi­tät und Anziehung erhöhen.

Dennoch könnte es sein, dass das Mäuseexper­iment interessan­te Aufschlüss­e über das Dopaminsys­tem bei Maus und Mensch liefert. Donaldson vermutet, dass es das Gehirn der getrennten Maus nach einer gewissen Zeit ermöglicht, loszulasse­n und eine neue innige Bindung einzugehen. Ähnlich könnte das bei Menschen funktionie­ren, auch wenn der Spruch mit der Zeit, die alle Wunden heilt, zu den Top drei der unangenehm­sten gutgemeint­en Ratschläge zählen dürfte.

Womöglich handelt es sich um einen Mechanismu­s, der vor Liebeskumm­er und anhaltende­m Schmerz nach einer tragischen Trennung schützt. Wenn man dies besser versteht, könnte man auch Personen helfen, die einen solchen Verlust nur schwer verkraften, so die Hoffnung der Fachleute. Ob man als passenden Soundtrack Helene Fischer, Taylor Swift, Joni Mitchell oder doch Joy Division wählt, ist natürlich Geschmacks­sache.

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