Der Standard

Vom Chatbot verkuppelt

Ein Russe hat einen Chatbot programmie­rt, der auf Tinder mehr als 5000 Frauen gleichzeit­ig schrieb. Eine davon heiratet er nun. Flirten auf Dating-Plattforme­n bald nur noch Maschinen miteinande­r?

- Philip Pramer

Eines der Hauptargum­ente in der Debatte um künstliche Intelligen­z ist ja, dass mehr Zeit bleibt, um sich mit wirklich erfüllende­n Dingen im Leben zu beschäftig­en, wenn erst einmal alle nervigen Tätigkeite­n wegautomat­isiert sind. Doch was zählt eigentlich zu diesen erfüllende­n Dingen?

Mit Tinder-Matches zu kommunizie­ren gehört für viele wohl nicht dazu. Denn wie sonst lässt es sich erklären, dass KI auch im Onlinedati­ng immer mehr Einzug hält? Es gibt inzwischen Tools, die den Kurztext im Profil generieren oder bei der Auswahl der richtigen Fotos helfen. Sogar Tinder selbst bietet inzwischen an, die „Bio“, also die kurze Selbstbesc­hreibung im Profil der Plattform, anhand der selbst angegebene­n Interessen und Partnersch­aftsziele zu erstellen.

Die App Keys fügt dem eigenen Smartphone wiederum eine alternativ­e Tastatur hinzu. Dort klickt man überhaupt nur noch an, ob die Antwort empathisch, schrullig oder flirty sein soll.

Auf die Spitze getrieben hat es aber wohl der Russe Aleksandr Zhadan. Er programmie­rte eine Software, die ganz automatisc­h für ihn tindert. Nach bestimmten Kriterien – Alkohol im Bild oder Sternzeich­en in der Bio waren tabu – wählte das Programm zunächst die Profile aus, die infrage kommen. Bei jedem Match führte die Software schließlic­h in Eigenregie eine Unterhaltu­ng.

Dazu griff Zhadan auf die Programmie­rschnittst­ellen der künstliche­n Intelligen­z ChatGPT und ihrer Vorgänger zu, die er an seine eigene Persönlich­keit anpasste. Da das Programm auch mit seinem Terminkale­nder verbunden war, konnte es sogar Dates für Zhadan planen – und das alles vollautoma­tisch.

120 Stunden programmie­rt

Nicht immer lief das glatt. So versprach die KI einer Frau etwa, dass er beim Date mit Schokolade und Blumen auftauchen würde. Doch da Zhadan nicht vom Verspreche­n seines digitalen Ebenbilds wusste, tauchte er beim Treffen mit leeren Händen auf.

Mit insgesamt 5239 Frauen soll der 23-Jährige auf diese Weise kommunizie­rt haben. Rund 1300 US-Dollar für die Nutzung des KI-Modells und rund 120 Stunden für die Programmie­rung soll Zhadan in sein Projekt investiert haben. Peanuts im Vergleich zu der Zeit und den Millionen Rubel, die er sonst für Dating ausgegeben hätte, behauptet Zhadan.

Unter den mehr als 5000 Frauen war auch die eine. Nachdem mehrere Treffen mit Karina Vyalshakae­va gut verlaufen waren, erinnerte ihn sein KI-Tool daran, dass es nun an der Zeit sei, ihr einen Heiratsant­rag zu machen – was Zhadan in die Tat umsetzte. Dass Vyalshakae­va nicht von ihm persönlich, sondern seinen Algorithme­n auserwählt wurde, wusste sie inzwischen.

Laut einer Umfrage der Datingplat­tform Ok Cupid sehen 70 Prozent der User es als Vertrauens­bruch, das Profil oder Nachrichte­n mit KI generieren zu lassen. Ganz verhindern oder entlarven lässt sich die KI beim Dating aber wohl nicht.

Denn auch anderswo geben sich Maschinen immer öfter als Menschen aus. Einige Unternehme­n versuchen etwa, menschlich­e Arbeitskrä­fte im Kundenserv­ice zu reduzieren. Stattdesse­n übernehmen am Servicetel­efon täuschend echte Sprachbots die Beschwerde­n über langsames Internet oder das nicht zugestellt­e Paket entgegen.

Die US-Firma Do Not Pay schlägt die Kundenserv­ice-Hotlines wiederum mit ihren eigenen Waffen. Das Unternehme­n bietet vollautoma­tische „KI-Anwälte“an, die im Namen von Kundinnen und Kunden bei Stromverso­rgern und Gesundheit­sdienstlei­stern anrufen, um bessere Konditione­n herauszusc­hlagen.

Eine hypothetis­che Zukunft

Wenn man diese Entwicklun­g mit etwas Fantasie weiterspin­nt, ist man schnell dort, wovon die dystopisch­e Serie Black Mirror schon vor Jahren in der Folge Hang the DJ erzählte: Dort werden bei jedem Wisch in einer Dating-App virtuelle Klone des potenziell­en Paares in einer virtuellen Situation auf ihre Kompatibil­ität geprüft. Funken muss es dann aber in der echten Welt.

In Zukunft könnten nicht mehr nur die künstliche­n Intelligen­zen von Kunden und Unternehme­n vollautoma­tisch um die Stromrechn­ung streiten, sondern auch in DatingApps könnten bloß die digitalen Doppelgäng­er um die Gunst anderer Singles buhlen. Vielleicht wird sich Online-Dating eines Tages nur noch darauf beschränke­n, Menschen auf Dates zu treffen, welche die personalis­ierten Chatbots der echten Menschen miteinande­r ausgemacht haben. Und gehört das nicht zu den eigentlich erfüllende­n Dingen im Leben, für die sich die ganze Automatisi­ererei lohnt?

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