Das Leben eines Regimegegners in Bildern
Alexej Nawalny galt vielen Menschen als personifizierte Opposition zu den Mächtigen im Kreml.
cken mit Handschellen fixiert, zu bewegen. Hinzu kam: Immer wieder wurde Nawalny in eine Einzelzelle gesperrt. Seine Unterstützer kritisierten, die russische Justiz wolle seinen Widerstand brechen und ihn als abschreckendes Beispiel für andere Regierungskritiker vorführen. Sie sprachen von Folter. International wurde Nawalny stets als politischer Gefangener angesehen.
Menschenrechtler wiesen oft auf den angeschlagenen Gesundheitszustand Nawalnys hin. Sein Körper sei durch den Giftanschlag geschwächt. Ärzte appellierten an den KremlChef Putin, er möge als Garant der Verfassung Nawalnys Recht auf ärztliche Behandlung sicherstellen.
Nawalnys Ehefrau Julija hatte dem Strafvollzug geschrieben und gefragt, ob dort überhaupt noch Menschen arbeiteten. Sie beklagte kürzlich, dass sie schon fast ein Jahr lang nicht mehr mit ihrem Mann habe telefonieren dürfen. „Briefe sind unser letztes Mittel der Verbindung.“Doch zuletzt seien weder Briefe von Nawalny noch Schriftstücke an ihn zugestellt worden, sagte seine Sprecherin Kira Jarmysch.
In einem auf Instagram veröffentlichten Beitrag zum zweiten Jahrestag seiner Inhaftierung schrieb Nawalny, dass ihm in der Einzelhaft ein psychisch kranker Mann in eine Zelle gesetzt worden sei. „Er schreit 14 Stunden am Tag und drei in der Nacht“, teilte Nawalny mit. „Bekanntlich ist Schlafentzug eine der wirksamsten Foltern.“Er habe viel erlebt und gelesen, aber das sei etwas Neues. „Alles, was ihr lest über den Horror und die faschistischen Verbrechen unseres Gefängnissystems, das ist alles die Wahrheit. Mit einer Richtigstellung: Die Wirklichkeit ist noch schlimmer.“
Internationale Reaktionen
EU-Ratspräsident Charles Michel machte das „russische Regime“für den Tod Nawalnys verantwortlich. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte ebenso sein Entsetzen wie auch der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg: „Ich fordere eine vollumfängliche, unabhängige Untersuchung der Umstände seines Todes.“
Unter Josef Stalin wurden einst tausende politische Gegner oder auch nur unliebsame Parteifreunde nach kurzen Schauprozessen hingerichtet. Der heutige Kreml-Chef eliminiert seine Feinde selektiv und auf heimtückischen Wegen. Wladimir Putin lässt sie, wie den Oppositionspolitiker Boris Nemzow, auf der Straße von Unbekannten erschießen oder von seinen Agenten vergiften.
Auch bei Alexej Nawalny wird die russische Regierung jede Schuld von sich weisen. Der arme Mann war eben nicht gesund. Aber diesmal wird ihr das nicht gelingen. Der Giftanschlag auf Russlands führenden Oppositionellen im Sommer 2020 geschah auf Befehl des Kreml, das hat das Recherchenetzwerk Bellingcat klar belegt. Als der Mordversuch scheiterte und Nawalny in einem für viele überraschenden Akt des Heldenmuts nach Russland zurückkehrte, ließ das Regime ihn 2021 verhaften, auf Grundlage absurder Vorwürfe verurteilen und dann über immer schlimmere Haftbedingungen und mangelnde medizinische Versorgung langsam sterben. Jede andere Erklärung für den Tod des 47Jährigen ist unglaubwürdig. Es war ein langsamer und grausamer Mord, den Putin an seinem schärfsten Kritiker begangen hat.
Putins Alleinherrschaft dauert inzwischen genauso lang wie die von Stalin. Dass es ihm nach 25 Jahren an der Macht nicht reichte, Nawalny auf Jahrzehnte wegzusperren, zeigt, dass er sich vor ihm gefürchtet hat. Denn Nawalny hat mit seiner Bewegung die beiden Schwachstellen des Regimes ausgenutzt: die massive Korruption, die auch unpolitische Bürgerinnen und Bürger angesichts des täglichen Existenzkampfes empören kann; und die fehlende Kontrolle über die sozialen Medien. Seine Videos, etwa das von Putins Palast am Schwarzen Meer, trafen den Diktator offenbar ins Mark.
Seit der Annexion der Halbinsel Krim und dem ersten Angriffskrieg gegen die Ukraine vor zehn Jahren hat Putin diese brodelnde Unzufriedenheit mit extremem Nationalismus erstickt. Dass dies nicht mehr so gut funktioniert, zeigt sich bereits an der scharfen Zensur und zunehmenden Repression seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022. Den massiven Zulauf, den der wenig charismatische Präsidentschaftskandidat Boris Nadeschdin erhielt, nachdem er den Krieg verurteilt hatte, zeigt, wie brüchig Putins Popularität geworden ist.
Das wird seinen Sieg bei der Präsidentschaftswahl im März nicht schmälern. Und mit allen Machtinstrumenten in seiner Hand könnte er bis an sein Lebensende regieren. Diktatoren fallen nur dann, das zeigt sich weltweit, wenn sie selbst gravierende Fehler begehen.
Aber der Mord an Nawalny ist ein klares Signal dafür, dass Russland mehr oder weniger wieder zu dem geworden ist, was es vor Michail Gorbatschows Perestroika war – eine blutige Diktatur, die den Menschen kaum Freiraum gibt. Der Staatskapitalismus funktioniert zwar besser als die einstige Planwirtschaft, aber jungen gebildeten Menschen bietet das Land kaum Hoffnung. Sie werden, wenn sie können, auswandern, und daran werden auch militärische Erfolge in der Ukraine nichts ändern.
Mit Nawalny ist in Russland auch die letzte kleine Hoffnung auf eine bessere Zukunft gestorben. Eine vergleichbare Galionsfigur hat die schwache Opposition nicht. Putin herrscht absolut, über ein zunehmend dunkles Reich.