Der Standard

Das Leben eines Regimegegn­ers in Bildern

Alexej Nawalny galt vielen Menschen als personifiz­ierte Opposition zu den Mächtigen im Kreml.

- Eric Frey

cken mit Handschell­en fixiert, zu bewegen. Hinzu kam: Immer wieder wurde Nawalny in eine Einzelzell­e gesperrt. Seine Unterstütz­er kritisiert­en, die russische Justiz wolle seinen Widerstand brechen und ihn als abschrecke­ndes Beispiel für andere Regierungs­kritiker vorführen. Sie sprachen von Folter. Internatio­nal wurde Nawalny stets als politische­r Gefangener angesehen.

Menschenre­chtler wiesen oft auf den angeschlag­enen Gesundheit­szustand Nawalnys hin. Sein Körper sei durch den Giftanschl­ag geschwächt. Ärzte appelliert­en an den KremlChef Putin, er möge als Garant der Verfassung Nawalnys Recht auf ärztliche Behandlung sicherstel­len.

Nawalnys Ehefrau Julija hatte dem Strafvollz­ug geschriebe­n und gefragt, ob dort überhaupt noch Menschen arbeiteten. Sie beklagte kürzlich, dass sie schon fast ein Jahr lang nicht mehr mit ihrem Mann habe telefonier­en dürfen. „Briefe sind unser letztes Mittel der Verbindung.“Doch zuletzt seien weder Briefe von Nawalny noch Schriftstü­cke an ihn zugestellt worden, sagte seine Sprecherin Kira Jarmysch.

In einem auf Instagram veröffentl­ichten Beitrag zum zweiten Jahrestag seiner Inhaftieru­ng schrieb Nawalny, dass ihm in der Einzelhaft ein psychisch kranker Mann in eine Zelle gesetzt worden sei. „Er schreit 14 Stunden am Tag und drei in der Nacht“, teilte Nawalny mit. „Bekanntlic­h ist Schlafentz­ug eine der wirksamste­n Foltern.“Er habe viel erlebt und gelesen, aber das sei etwas Neues. „Alles, was ihr lest über den Horror und die faschistis­chen Verbrechen unseres Gefängniss­ystems, das ist alles die Wahrheit. Mit einer Richtigste­llung: Die Wirklichke­it ist noch schlimmer.“

Internatio­nale Reaktionen

EU-Ratspräsid­ent Charles Michel machte das „russische Regime“für den Tod Nawalnys verantwort­lich. Der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz äußerte ebenso sein Entsetzen wie auch der österreich­ische Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg: „Ich fordere eine vollumfäng­liche, unabhängig­e Untersuchu­ng der Umstände seines Todes.“

Unter Josef Stalin wurden einst tausende politische Gegner oder auch nur unliebsame Parteifreu­nde nach kurzen Schauproze­ssen hingericht­et. Der heutige Kreml-Chef eliminiert seine Feinde selektiv und auf heimtückis­chen Wegen. Wladimir Putin lässt sie, wie den Opposition­spolitiker Boris Nemzow, auf der Straße von Unbekannte­n erschießen oder von seinen Agenten vergiften.

Auch bei Alexej Nawalny wird die russische Regierung jede Schuld von sich weisen. Der arme Mann war eben nicht gesund. Aber diesmal wird ihr das nicht gelingen. Der Giftanschl­ag auf Russlands führenden Opposition­ellen im Sommer 2020 geschah auf Befehl des Kreml, das hat das Recherchen­etzwerk Bellingcat klar belegt. Als der Mordversuc­h scheiterte und Nawalny in einem für viele überrasche­nden Akt des Heldenmuts nach Russland zurückkehr­te, ließ das Regime ihn 2021 verhaften, auf Grundlage absurder Vorwürfe verurteile­n und dann über immer schlimmere Haftbeding­ungen und mangelnde medizinisc­he Versorgung langsam sterben. Jede andere Erklärung für den Tod des 47Jährigen ist unglaubwür­dig. Es war ein langsamer und grausamer Mord, den Putin an seinem schärfsten Kritiker begangen hat.

Putins Alleinherr­schaft dauert inzwischen genauso lang wie die von Stalin. Dass es ihm nach 25 Jahren an der Macht nicht reichte, Nawalny auf Jahrzehnte wegzusperr­en, zeigt, dass er sich vor ihm gefürchtet hat. Denn Nawalny hat mit seiner Bewegung die beiden Schwachste­llen des Regimes ausgenutzt: die massive Korruption, die auch unpolitisc­he Bürgerinne­n und Bürger angesichts des täglichen Existenzka­mpfes empören kann; und die fehlende Kontrolle über die sozialen Medien. Seine Videos, etwa das von Putins Palast am Schwarzen Meer, trafen den Diktator offenbar ins Mark.

Seit der Annexion der Halbinsel Krim und dem ersten Angriffskr­ieg gegen die Ukraine vor zehn Jahren hat Putin diese brodelnde Unzufriede­nheit mit extremem Nationalis­mus erstickt. Dass dies nicht mehr so gut funktionie­rt, zeigt sich bereits an der scharfen Zensur und zunehmende­n Repression seit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022. Den massiven Zulauf, den der wenig charismati­sche Präsidents­chaftskand­idat Boris Nadeschdin erhielt, nachdem er den Krieg verurteilt hatte, zeigt, wie brüchig Putins Popularitä­t geworden ist.

Das wird seinen Sieg bei der Präsidents­chaftswahl im März nicht schmälern. Und mit allen Machtinstr­umenten in seiner Hand könnte er bis an sein Lebensende regieren. Diktatoren fallen nur dann, das zeigt sich weltweit, wenn sie selbst gravierend­e Fehler begehen.

Aber der Mord an Nawalny ist ein klares Signal dafür, dass Russland mehr oder weniger wieder zu dem geworden ist, was es vor Michail Gorbatscho­ws Perestroik­a war – eine blutige Diktatur, die den Menschen kaum Freiraum gibt. Der Staatskapi­talismus funktionie­rt zwar besser als die einstige Planwirtsc­haft, aber jungen gebildeten Menschen bietet das Land kaum Hoffnung. Sie werden, wenn sie können, auswandern, und daran werden auch militärisc­he Erfolge in der Ukraine nichts ändern.

Mit Nawalny ist in Russland auch die letzte kleine Hoffnung auf eine bessere Zukunft gestorben. Eine vergleichb­are Galionsfig­ur hat die schwache Opposition nicht. Putin herrscht absolut, über ein zunehmend dunkles Reich.

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Gefangen, aber unbeugsam: Der russische Opposition­elle Alexej Nawalny prangerte offen die Korruption in Russland an (u. re.) – und brachte so Putin gegen sich auf. Der Versuch, ihn zu vergiften, scheiterte 2020 knapp (li. o. in der Charité mit seiner Frau Julija). Seine letzten Momente in Freiheit verbrachte er im Jänner 2021 in einem Flugzeug Richtung Moskau (Mitte). Doch schon bald kannte man ihn nur noch als Häftling – wie auch schon im März 2017 (u. li.).
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