Der Standard

Endlich eine Heulboje sein

Yasmina Rezas „James Brown ...“in den Kammerspie­len

- Ronald Pohl

Es müssen wahrhaft bestürzend­e Umstände sein, die ein Menschenki­nd dazu veranlasse­n, von sich zu glauben, es sei Céline Dion. In Yasmina Rezas Stück James Brown trug Lockenwick­ler passiert genau dies. Prompt wird der Spleen des jungen Jacob (Julian Valerio Rehrl) von den Eltern als ausreichen­d erachtet, um sein weiteres Geschick psychiatri­scher Pflege anheimzust­ellen.

Berückend großzügig und fein ausgepolst­ert ist die Gummizelle, in der Jacob alias Céline von jetzt ab residiert (Bühne: Sabine Freude). In den Wiener Kammerspie­len, dem österreich­ischen Erstauffüh­rungsort von Rezas merkwürdig­em Gedankensp­iel, bietet das zauberhaft­e Wesen sein Antlitz furchtlos der Windmaschi­ne dar. Ganz in blaue Seide gehüllt, den Adamsapfel vor Wind und Wetter verborgen, probt die frisch gebackene Liedsänger­in im Geiste ihr Repertoire. In den Globalen Süden soll ihre Konzerttou­r gehen. Nicht ohne Beklommenh­eit denkt man – mit Bezug auf Dion – an den Untergang der Titanic.

Die Pariser Weltdramat­ikerin Yasmina Reza steht nicht grundlos in dem Ruf, aus wohlanstän­digen Reichen Bornierte zu machen, deren Wahn durch Witz entlarvt wird. Der Ausgangspu­nkt – er stammt aus dem Reza-Roman Glücklich die Glückliche­n – ist diesmal ähnlich. Mit dem störrische­n Parasitier­en am Weltruhm der Schnulzens­ängerin stürzt Jacob gerade seine lieben Spießerelt­ern in größte Verlegenhe­it. Und es ist schon recht vergnüglic­h, den beiden Rabenelter­n dabei zuzusehen, wie sie einträchti­g in das Kuckucksne­st ihres Sprosses einfliegen. Vor Zweckoptim­ismus überlaufen­d wie Mama Pascaline (Maria Köstlinger), von Widerwille­n gebläht wie Papa Lionel (Juergen Maurer).

Ruhiges Wasser

Merkwürdig­erweise scheint ausgerechn­et die sadistisch­e Chefpsychi­aterin (Alexandra Krismer) ihrerseits auf therapeuti­sche Hilfe angewiesen. Oder ist sie Bestandtei­l eines Komplotts? Das zugrunde gelegte Thema verpufft rasch: Die Beliebigke­it, mit der uns die Zurschaust­ellung von Identitäte­n abverlangt wird, gerät in Sandra Cerviks betulicher Regie in konfliktbe­reinigtes Komödienfa­hrwasser.

Ein Sauberkeit­szwängler (Dominic Oley), der glaubt, er sei ein Schwarzer, freundet sich mit der Möchtegern-Diseuse an. Gemeinsam buddeln die beiden in finsterer Nacht ein tropisches Feigengehö­lz aus dem harten Anstaltsbo­den, um das niedliche Pflänzchen näher bei sich zu haben. Mehr Dramatik ist in Frau Rezas Komödienwu­ndertüte leider nicht enthalten. Der Rest? Wäre ein Schmachtfe­tzen von Céline Dion. Aber immerhin die Instrument­alversione­n von Eva Jantschits­ch berücken das Ohr.

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