Der Standard

Das volle Leben

„Ich bin ja nirgendwo zugehörig“: Am 28. Februar feiert Erika Pluhar ihren fünfundach­tzigsten Geburtstag. Manfred Rebhandl traf die Schauspiel­erin, Sängerin und Schriftste­llerin zu einem Gespräch über ihren Weg, ihre Verluste und das Weiterlebe­n.

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Wohin mit dem Graffel, das einem ein Leben lang was bedeutet hat?“, fragt sie, als wir im Salon im oberen Stockwerk ihres Hauses in Wien-Grinzing Platz nehmen. Im Parterre packt Gabi Flossmann mit ihrem ORF-Team gerade noch die Sachen zusammen, zuvor hat sie mit Erika Pluhar über Susi Nicoletti gesprochen. Erstere – jugendlich schlank und fesch wie immer – absolviert in diesen Tagen Presseterm­ine im Stundentak­t, anlässlich ihres 85. Geburtstag­es wollen wirklich alle was von ihr wissen.

Und da darf man schon auch einmal selbst fragen, was einmal werden wird: „Dem Enkerl gehört das Haus ja schon, der liebt es auch, und wenn ich einmal nimmer bin, wird er es mit seiner wunderbare­n Familie gemächlich verändern.“Dann werden sie vielleicht wirklich „das Graffel“raushauen und auch mal die Schindel erneuern oder die Fensterläd­en neu streichen. „Aber das alles sind Geschichte­n, die mich dann nichts mehr angehen werden.“

Noch aber sei eh alles so geordnet, „dass ich bis zum Ende meiner Tage hier leben kann“. Nachsatz: „Zu meinen Konditione­n.“Unterstütz­t wird sie in ihrem Alltag von Eva, einer „Perle“aus Ungarn, die an fünf Tagen in der Woche kommt. „Ich brauch aber noch keine Pflege!“, lacht sie. Beinahe beschwerde­frei kann sie sich regelmäßig ihrem dreieinhal­bjährigen Enkerl widmen, der immer „Oma Erika“zu ihr sagt, wenn er die Treppe heraufgest­apft kommt.

Zugehörigk­eitsscheu

Es ist eine ruhige Sackgasse, in der sie hier lebt und an deren Ende ein Weinberg ist, in dem gerade ein Mann seine Reben anbindet. Auf der anderen Seite des Hauses liegt ein Kindergart­en, vor dem die Eltern an diesem Freitagnac­hmittag ihre Kleinen abholen. „Wenn mich welche fragen, wie ich das aushalte, dann sage ich immer: Besser als Autos!“Die Dichands, die hier gleich nebenan ihre Villa hatten, hat sie zwar immer gegrüßt, aber engeren Kontakt zu ihnen gab es nicht.

„Ich bin ja nirgendwo zugehörig“, sagt sie. „Keiner Musikszene, keiner Schauspiel­szene, keiner Literaturs­zene.“Da untertreib­t sie vielleicht ein bisserl, aber dass sie eigentlich immer am liebsten alleine war und schon gar keiner Society angehören wollte, das nimmt ihr gerne ab. Nicht einmal ihre gute Freundin Lotte Tobisch konnte sie jemals zum Opernballb­esuch überreden: „Na, tut mir leid, Lotte, da komm’ ich nicht.“Sie waren bis zum Tod der Opernballl­ady eng befreundet, und als sie selbst 77 wurde, gratuliert­e ihr die damals weit über 90-jährige Freundin: „Erika! Einmal noch 77 sein! Wie schön das wär!“

Zunächst hatte sie hier nur eine Wohnung im ersten Stock bezogen, dann wollten die Besitzer verkaufen, aber sie wollte keinen Besitz. Allerdings hatte sie in Anna Baumbauer eine wunderbare Agentin in München, die sie streng anschaute, als sie ihr davon erzählte: „Wenn S’ das nicht kaufen, ist es aus zwischen uns!“Längst ist sie ihr dankbar, dass sie dieses Haus mit Garten vorne und hinten erworben hat, denn: „Ich bin eher ein Mensch, der auch den Rückzug braucht, und dafür ist dieses Haus perfekt.“

Feiern und Verluste

Gefeiert hat sie aber natürlich schon hier: „Das Haus war oft voll mit Menschen, die ich geschätzt habe, ich mochte es, wenn getanzt wurde.“Der kürzlich verstorben­e Freund Achim Benning war oft hier, für den sie auf der Stiege im Burgtheate­r letzte Worte sprechen wird, wie sie es schon 2005 für ihre verehrte Mentorin Susi Nicoletti getan hat. „Die Verluste von Lebensfreu­nden sind sehr schmerzlic­h.“Sie hörten

Charles Aznavour bei diesen

Festen, weil sie den liebte, und die Beatles fand sie auch noch ganz okay. Aber den Mick Jagger fand sie schon als Jungspund „schiach“, und mit dem alten Hüpfball kann sie erst recht nichts anfangen.

Ihr erster Ehemann Udo Proksch hingegen gefiel ihr. Als sie den kennenlern­te, hat sie während ihrer Anfangsjah­re an der Burg am Kohlmarkt auf Nummer 6 gewohnt. „Es war noch schön dort und ruhig, es lebten Wiener in den Häusern, und es gingen nicht nur die Reichen einkaufen.“Das Café Korb in der Nähe war ein stilles Café, und es gab die Buchund Papierhand­lung Huber & Lerner. „Meine ältere Schwester hatte dort mit ihrem Ehemann Roland Pleterski einen Haushalt gegründet, und als die nach USA zurückgega­ngen sind, bin ich dort eingezogen.“

Dann kam die Anna, ihre Tochter, zur Welt, und gemeinsam zog die Familie noch in die Weyergasse im dritten Bezirk. Aber dort war es bald vorbei mit Familie, und nach der Scheidung zog sie mit der Anna nach Grinzing in dieses Haus, wo die Tochter knapp vier Jahrzehnte später an einem Asthmaanfa­ll verstarb und die Mutter gewisserma­ßen mit ihr: „Ihr Tod war auch mein Tod. Aber da mein adoptierte­r Enkelsohn, der Ignaz, damals erst 15 Jahre alt war, konnte ich ihn nicht alleine lassen. Leben wollte ich damals aber wirklich nicht mehr.“

Wenn ihr heute jemand sagt, dass sie die Anna ja bestimmt wieder sehen werde, antwortet sie gelassen: „Na geh! Da müsste ich ja alle anderen auch wieder sehen ... Die Anna ist in meinem Herzen, und da bleibt sie für immer. Ich bin Agnostiker­in. Wenn nachher was ist, ist es schön. Wenn nicht, ist halt nix.“

Von ihren Männer, mit denen sie Liebe, Erotik und Arbeit verband, hebt sie den Portugiese­n António Victorino de Almeida und Peter Marinoff hervor, mit denen zusammen sie jahrelang ein Musiktrio bildete. „Dass ich mit denen Musik machen durfte, war ein Geschenk. Der Antonio hat immer zu mir gesagt: Du hast eine gute Ohr, musst du nicht lernen Noten! Und ich bin wirklich Musikantin geworden, weil ich ein wahnsinnig gutes Gehör habe.“

Dass wiederum André Heller, ihr zweiter Ehemann, so „wahnsinnig poetisch war“, führte bei ihr zu der klugen Einsicht, dass sie das ja selbst auch ist, also hat sie zu schreiben begonnen. Heute nennt sie sich vor allem Schriftste­llerin, „auch wenn es sehr schwer ist, sich von einer ehemals doch recht bekannten Schauspiel­erin zu einer solchen zu wandeln.“

Ihre Burgtheate­r-Pension beschreibt sie als „sehr ordentlich, aber es ist nicht die höchste“. Und dann kommen ja noch die Einnahman men dazu aus ihren zahlreiche­n Lesungen, „die immer sehr gut besucht sind, was mich wirklich sehr ehrt und freut, weil das können ja nicht nur die alten Fans sein“. Sie schrieb über ihre Schwester Gitti, die an Alzheimer erkrankt ist und in einem Heim in der Nähe lebt. „Es ist so traurig. Sie war so ein wichtiger Mensch für mich, und jetzt weiß ich oft gar nicht, wo sie sich befindet, wenn ich sie besuche. Ich umarme sie und bussle sie ab, und manchmal erkennt sie mich dann noch.“

Damals in Floridsdor­f

Ihr deutscher Verlag hat sie früher gerne nach Hamburg eingefloge­n, „aber so was gibt’s heute nicht mehr“. Überall wird gespart, und an die Gagen eines Mario Adorf oder Josef Meinrad kam sie – „trotz meiner sehr tüchtigen Agentin!“– sowieso nie heran. Nach Hollywood hätten sie gehen können, aber das waren „schiache Angebote in dummen Filmen“. Nackt sollte sie sich zeigen, aber das machte sie dann doch lieber daheim im Akademieth­eater in Tom Stoppards Die Akrobaten, die Peter Wood inszeniert­e, der zu ihr sagte: „Diana Rigg was naked!“

Das war die in der Uraufführu­ng 1972, und da hat sie sich eben gedacht: „Na, dann mach ich das auch! Ich lag auf einem Fell, und man hat nur meine Rückseite gesehen. Aber das war eine Sensation damals, ich war die erste Nackerte an der Burg. Und die Karten am oberen Rang waren immer als Erste verkauft, weil man von dort oben meinen Popo gut sehen konnte.“

Heute, sagt sie, wären ja alle nackt, erst recht in den sozialen Medien, deren Trends sie nicht mitmacht. Sie hat noch immer ihr altes Nokia, und die ganze Fotografie­rerei geht ihr sowieso auf die Nerven. In Lissabon, das sie seit 1973 bereiste, konnte sie noch alleine über den Praça de Comércio laufen, „das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen, wo alle mit ihren Handystick­s herumstehe­n“. Und in Portugal hat sie sich auch ihren Trademark-Pony schneiden lassen für einen Film mit dem Titel Marafona.

„Die Maskenbild­nerin sagte: Let’s cut your hair! Und das war der Moment, an dem ich es zuließ.“Denkt sie an Portugal heute und die Touristen überall, dann überkommt sie ein wenig „saudade“, die sie am ehesten mit der guten alten Wiener Melancholi­e gleichsetz­en würde: „Waunn da Hergott ned wü, nutzt des goar nix“, singt sie plötzlich in ihrem schönen Wienerisch, das sie beherrscht, seit sie es als Kind in Floridsdor­f drüben gelernt hat.

Versionen des künftigen Lebens

Wegen ihrer tiefen Stimme taugte sie ja nie zur Hysteriker­in, anderseits: „Glauben S’, i war mein ganzes Leben lang ruhig?“Sie konnte sich immer furchtbar aufregen, wenn sie mit Dummheit oder Faschismus konfrontie­rt war, und da war es manchmal ganz gut, dass sie in Floridsdor­f gelernt hat, wie man jemanden „in den Gatsch hupfen“schicken konnte zum Wellenschl­agen.

„Dieses Wienerisch ist heute fast ausgestorb­en“, sagt sie, aber danach hat es ihr auch keine Mühe bereitet, das schöne Prager Deutsch zu lernen, das sie heute spricht und das weder Piefkinesi­sch ist noch Wienerisch. Was sie hingegen gar nicht ausgehalte­n hat: Kolleginne­n und Kollegen, die nach Deutschlan­d gegangen sind und plötzlich versuchten, zu berlinern. „Geh bitte, redets normal!“, gab sie dann zurück, auf Wienerisch.

Nach Ende des Krieges, während dessen sie die Bombardier­ungen in Döbling miterleben musste, entdeckte sie in Oberösterr­eich, wo sie danach bei einer Kleinhäusl­erin untergekom­men waren, auf dem Friedhof des Ortes ein paar schöne Steinengel, „von denen einer mein Freund wurde“. An den wandte sie sich in kindlicher Vorfreude auf ihr Leben „und entwarf unter seinem gesenkten Blick alle Visionen meines zukünftige­n Lebens, und er hieß sie gut“.

Und heute, vielleicht 80 Jahre später, würde sie ihm, wenn sie ihn noch einmal sehen würde, erzählen, dass vieles, wenn nicht das meiste schön war in ihrem Leben. Trotzdem es den Tod gab und Trennungen und Melancholi­e und anderes, das wehtat.

 ?? ?? Erika Pluhar, „Trotzdem – Ein Lebensweg in Bildern“. Herausgege­ben von Isabella Suppanz. € 35,– / 192 Seiten. ResidenzVe­rlag, Salzburg und Wien 2024
Erika Pluhar, „Trotzdem – Ein Lebensweg in Bildern“. Herausgege­ben von Isabella Suppanz. € 35,– / 192 Seiten. ResidenzVe­rlag, Salzburg und Wien 2024
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Foto: Corn Trotzdem leben: Erika Pluhar.

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