Der Standard

Den Körper von der Leine lassen

Das Kunsthaus Bregenz zeigt das Lebenswerk des kürzlich verstorben­en Aktioniste­n Günter Brus

- Ivona Jelčić

Soll keiner sagen, dass der Ausbruch aus dem Bildformat ein Spaziergan­g gewesen wäre. Günter Brus betrieb ihn mit einer verstörend­en Radikalitä­t, die ihn in den 1960er-Jahren zum Staatsfein­d, viel später dann zum Staatsküns­tler werden ließ. Alles musste raus, raus aus der Bigotterie, dem braunen Mief, der konservati­ven Enge: Die Wut aus der Seele, der Kot aus dem Körper, der Körper aus dem Bild.

Das ging bis hin zur Selbstvers­tümmelung und zur finalen Zerreißpro­be im Jahr 1970, in der sich der gebürtige Steirer mit Rasierklin­gen ins eigene Fleisch schnitt und seine Wunden mit Urin übergoss. Es musste dann, nach gut sieben Jahren und um des eigenen Überlebens willen, aber auch wieder Schluss sein mit dieser exzessiven Körperkuns­t, der Verkörperu­ng von Widerstand und Protest gegen gesellscha­ftliche Missstände und Machtverhä­ltnisse. Die im Gesamtwerk von Günter Brus vergleichs­weise kurze ist zweifellos auch die für die Brus-Rezeption prägendste Schaffensp­hase. Indem er den eigenen Körper zum Bildträger, Ausdrucksm­ittel und Malmateria­l gemacht hat, wurde der Mitbegründ­er des Wiener Aktionismu­s auch zum Pionier der Body-Art. „Mein Körper ist die Absicht, mein Körper ist das Ereignis, mein Körper ist das Ergebnis“, sagte Brus selbst.

Paradigmat­isch für den Weg dorthin erscheint nun im Kunsthaus Bregenz die in puncto Selbstverl­etzung und Verstörung­spotenzial noch vergleichs­weise harmlose Selbstvers­trickung: Der Künstler kämpft, schält, quält sich durch den engen Rahmen des Tafelbilde­s und die Leinwand, verheddert sich – und wird, wie wir heute wissen, auch wieder ins Bildformat zurückkehr­en: als Zeichner und Bild-Dichter, in dessen Werk die dunklen Seiten, aber auch die Lächerlich­keit der menschlich­en Existenz sowie die Auseinande­rsetzung mit der Literatur und mit malenden Literaten eine gewichtige Rolle einnimmt.

Letzte Mitwirkung von Brus selbst

Das zeigt sich auch in der Retrospekt­ive im Kunsthaus Bregenz, an der der Künstler von Graz aus noch aktiv mitgearbei­tet hat. Knapp eine Woche vor der Eröffnung ist Brus 85-jährig gestorben, und man kann nun gar nicht anders, als die mit leeren Stühlen möblierten, kargen Räume, die einen im Erdgeschoß des KUB empfangen, sinnbildli­ch für die Abwesenhei­t des Künstlers zu sehen.

Es sind frühe, den Geist des Existenzia­lismus atmende Akademiear­beiten, mit denen die in Kooperatio­n mit dem Grazer Bruseum entstanden­e, chronologi­sch aufgebaute Schau beginnt, Stockwerk für Stockwerk erklimmt man sodann die vielfältig­en Brus’schen Schaffensp­hasen – und wähnt sich dabei mitunter in einem Druckkocht­opf.

Bereits ganz unten, in der Zeit von 1958 bis 1960, brodelt und gärt es gewaltig unter noch an van Gogh geschulten Landschaft­ssujets. Ein wenig juvenile Großkotzig­keit ist auch dabei, wenn Brus sie mit „Ich bin der derzeit größte lebende Künstler“unterschre­ibt, man merkt aber viel eher am nervösen, fahrigen Strich, dass hier etwas im Aufbruch befindlich ist. Übrigens ist es Anna Brus zu verdanken, dass diese Blätter erhalten sind, Brus selbst hätte sie am liebsten vernichtet.

Ein Aufenthalt auf Mallorca mit Alfons Schilling und die Begegnung mit der US-amerikanis­chen Malerin Joan Merritt eröffnen Brus die Welt des abstrakten Expression­ismus und markieren den Beginn einer Phase des Informel, in der er die Pinselschl­äge wie abwehrend aufs billige Packpapier peitscht.

Brus habe jede Phase bis ins Letzte ausgereizt, um sie dann mit einem harten Schnitt zu beenden, sagt Bruseum-Leiter Roman Grabner im STANDARD-Gespräch. Das mag in formaler Hinsicht zutreffen, doch das Brodeln und Gären bleibt und steigert sich ein Stockwerk höher zu jener Phase des radikalen Dampfablas­sens, in der der Körper zum künstleris­chen Medium und Mittel der Entgrenzun­g wird.

Wiener Spaziergan­g

Die großen Klassiker und performati­ven Aktionen der Jahre 1964 bis 1970 sind hier versammelt, von der Selbstbema­lung über die Selbstvers­tümmelung bis zum berühmten, von der Polizei beendeten Wiener Spaziergan­g, bei dem sich Brus als lebendes Gemälde durch die Wiener Innenstadt bewegt. Dass diese gespenstis­che, weiß getünchte Gestalt, die vom Scheitel bis zu Sohle von einer schwarzen Linie zerrissen zu werden scheint, auch als Sinnbild für die polarisier­te Gegenwart taugt, wie KUB-Chef Thomas Trummer insinuiert, lässt sich durchaus unterschre­iben.

Brus selbst hätte das wohl mit jenem Humor genommen, der sich auch durch seine Bild-Dichtungen und während der PandemieZe­it entstanden­en Aquarelle zieht. Der wilde Widerständ­ige entpuppt sich da mitunter auch als „Neurosenka­valier“.

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Brus’ eher unbekannte Malereien korrespond­ieren mit den Aktionen.

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