Der Standard

Österreich will in Indien mitnaschen

Wirtschaft­sminister Martin Kocher (ÖVP) besucht derzeit gemeinsam mit Unternehme­n Indien. Österreich will vom dortigen Aufschwung profitiere­n, über die autoritäre Entwicklun­g des Landes spricht man weniger gern.

- Joseph Gepp aus Bangalore Die Reise nach Indien erfolgt mit finanziell­er Unterstütz­ung des Wirtschaft­sministeri­ums.

Fast kein Land der Welt boomt derzeit wie Indien. Der Staat mit 1,4 Milliarden Einwohneri­nnen und Einwohner erlebt einen Aufschwung sonderglei­chen. Das Wirtschaft­swachstum wird heuer rund 6,4 Prozent betragen. In den kommenden Jahren soll es weiter ansteigen.

Dem Boom liegen unter anderem geopolitis­che Verschiebu­ngen zugrunde: Staaten und Konzerne wollen sich weniger von China abhängig machen und weichen auf Indien aus. Aber auch die hindunatio­nalistisch­e Regierung unter Premier Narendra Modi hat ihren Anteil daran. Sie verbindet einen immer autoritäre­ren politische­n Kurs mit wirtschaft­sfreundlic­hen Maßnahmen, beispielsw­eise der Vereinheit­lichung des Steuersyst­ems über Indiens 28 Bundesstaa­ten hinweg.

Nicht überrasche­nd also, dass auch Österreich in Indien vorstellig wird. Eine hochrangig­e Delegation aus 18 Unternehme­nsvertrete­rn – von Autozulief­erern bis zur Chemieund Bauwirtsch­aft – samt Industriel­lenvereini­gung und Wirtschaft­skammer bereist dieser Tage das Land. Angeführt wird die Gruppe vom Wirtschaft­sministeri­um unter Martin Kocher (ÖVP). Auf dem Programm stehen etwa die IT-Metropole Bangalore im Süden des Landes und die Hauptstadt Neu-Delhi. Ein Zweck der Reise: Schönwette­r machen für österreich­ische Betriebe.

Schönwette­r für Betriebe

Immerhin betrug der Wert der österreich­ischen Exporte nach Indien im Jahr 2022 gerade einmal 1,19 Milliarden Euro – auch wenn das einen starken Zuwachs im Vergleich zu früher darstellt, bleibt viel Luft nach oben. Dies gilt umso mehr wegen umfangreic­her Investitio­nspakete, die Modis Regierung aufgesetzt hat. Allein für die Erneuerung und Dekarbonis­ierung indischer Städte sieht die Regierung 137 Milliarden Euro vor. Vieles davon betrifft Bereiche, in denen österreich­ische Unternehme­n stark sind.

In Bangalore treffen Kocher und die Unternehme­nsvertrete­r etwa Regionalmi­nister des Bundesstaa­ts Karnataka, der als Knotenpunk­t für IT- und Biontechno­logie-Start-ups gilt. Dazu besucht man indische Unternehme­n, Universitä­ten und Start-up-Zentren. Überall liegt neues Selbstbewu­sstsein in der Luft; allerorts preist man die Innovation­skraft und die vielverspr­echenden weiteren Entwicklun­gsmöglichk­eiten Indiens. Bangalore zählt dank seiner dynamische­n Wirtschaft seit langem zu den schnellstw­achsenden Städten weltweit.

Bei alldem gibt es aber einen Elefanten im Raum. Ein Name und ein Thema kommen in all den Gesprächen im Rahmen des Kochers-Besuchs interessan­terweise nicht vor, weder auf indischer noch auf österreich­ischer Seite: Modi und seine autoritäre Politik.

Dabei finden in Indien gerade politische Verschiebu­ngen statt, die durchaus auf die Wirtschaft des Landes rückwirken können. Immer öfter werden Opposition­spolitiker und etwa kritische Journalist­en mundtot gemacht. Vor allem hetzt Modi die hinduistis­che Mehrheit in Indien gegen die muslimisch­e Minderheit auf, die rund 13 Prozent der Bevölkerun­g stellt.

Ein vorläufige­r Höhepunkt dieser Entwicklun­g wurde Ende Jänner erreicht: Da wurde in der Stadt Ayodhya im Norden des Landes ein halbfertig­er hinduistis­cher Tempel, der größte im Land, für den Gott Ram eingeweiht. Er steht an einem Ort, an dem sich zuvor eine Moschee befand, die weggerisse­n wurde. Dessen Schleifung hatten Hindunatio­nalisten jahrzehnte­lang gefordert; unter Modi wurde aus der einstigen Utopie von Extremiste­n Wirklichke­it. Zur prunkvolle­n Einweihung tanzte die komplette indische Wirtschaft­selite an – aus Respekt vor Modis wirtschaft­lichen Leistungen, aber auch aus Angst vor Schikanen der Regierung infolge eines Fernbleibe­ns, wie der britische Economist analysiert­e.

„Theokratis­ierung“

Im kleineren Maßstab stecken Österreich­s Unternehme­n in demselben Dilemma. In Hintergrun­dgespräche­n mit Wirtschaft­streibende­n werden durchaus Sorgen wegen möglicher politische­r Repressali­en laut. Die Rede ist von einer „Theokratis­ierung“, die in Indien stattfinde – mit unklaren Folgen. Immerhin: Auch in China war es vor einigen Jahren eine Wende hin zu (noch mehr) Autoritari­smus, die den Abschwung des einst so hoffnungsf­rohen Wirtschaft­sraums mitverursa­chte. Offiziell will aber kein österreich­ischer Geschäftst­reibender zu der Entwicklun­g Stellung nehmen – immerhin stehen Milliarden­aufträge auf dem Spiel, auch des indischen Staates.

„Indien ist ein demokratis­cher Staat“, sagt Martin Kocher im Gespräch mit dem STANDARD und anderen Medienvert­retern, angesproch­en auf die politische Situation vor Ort. Aber es sei auch „wichtig, für europäisch­e Werten einzutrete­n“. In der Hauptstadt Neu-Delhi – es handelt sich nach Bangalore um die zweite Station von Kochers Reise – werde er diese Position bei seinen Gesprächsp­artnern auf Regierungs­ebene „mit Nachdruck vorbringen“, stellt der Wirtschaft­sminister in Aussicht. Allerdings: „Man kann nicht davon ausgehen, dass diese Positionen jeder teilt.“

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Foto: Reuters / Vivek Prakash Bangalore ist das Zentrum des indischen Tech-Sektors. Hier befindet sich etwa ein Campus von Infosys.

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