Der Standard

Kampf gegen Frauenarmu­t

Über eine halbe Million Frauen in Österreich sind armutsgefä­hrdet. Die Initiative #WirTun fordert einen „armutsfest­en“Sozialstaa­t für weibliche Lebensreal­itäten.

- Colette M. Schmidt

In der prunkvolle­n geheimen Ratsstube in der Präsidents­chaftskanz­lei ging es am Mittwochab­end um die unsichtbar­ste Form von Armut: jene von Frauen. 583.000 Frauen gelten in Österreich als armutsgefä­hrdet, mindestens 95.000 sind massiv von Armut betroffen. Doris Schmidauer und Nora Tödtling-Musenbichl­er, seit 1. Februar Präsidenti­n der Caritas Österreich, hatten in die Hofburg geladen, um die vor sechs Jahren gegründete Initiative gegen Frauenarmu­t #WirTun weiter voranzutre­iben.

Sie seien vor sechs Jahren schon nach einem ersten Treffen mit Frauen „sofort ins Tun gekommen“, erzählte Schmidauer dem Publikum: „Wie das halt so ist, wenn Frauen das Heft in die Hand nehmen.“Sechs Jahre später kennt Schmiedaue­r fast jede mit Armut befasste Einrichtun­g der Caritas von innen und habe auch „viele mutige Frauen, die mir ihre Geschichte erzählt haben“, getroffen.

Beispiele für Geschichte­n, wo „am Ende des Geldes noch zu viel Monat übrig ist“, erzählte Doris Anzengrube­r, Leiterin der Sozialbera­tungsstell­e der Caritas Wien. Am häufigsten betroffen seien Alleinerzi­eherinnen. Viele würden sogar einen Job finden, hätten aber dann keine Kinderbetr­euung – wie eine Frau, die zwischen 5.30 und neun Uhr Büros putzen könnte, oder eine andere, die für einen Job pendeln müsste und sich nicht einmal die Fahrkarte dafür leisten konnte. Viele der Frauen, die in den Einrichtun­gen der Caritas betreut werden, sind aber auch von Altersarmu­t betroffen.

Ins Prekariat rutschen Frauen sehr oft durch Trennung, aber auch durch Krankheit, Unfälle, Jobverlust oder weil sie Angehörige pflegen müssten. Dass Frauen nämlich ihr ganzes Leben eine erhöhte Armutsgefä­hrdung hätten, sei „kein Zufall, sondern ein System, das Frauen benachteil­ige“, sagte Karin Abram, Leitung des Bereichs Soziales und Anwaltscha­ft der Caritas Österreich.

Forscherin überrascht

Dass dieses System mithilfe der Politik geändert werden müsse, darüber waren sich bei der anschließe­nden von Kira Schinko moderierte­n Podiumsdis­kussion alle einig. Anna Parr, Generalsek­retärin der Caritas Österreich, die Sozial- und Wirtschaft­sforscheri­n Katrin Gasior, die Journalist­in, Autorin und frühere Lehrerin Melisa Erkurt und Hanno Lorenz, Ökonom und stellvertr­etender Direktor der Agenda Austria, saßen auf dem Podium.

Gasior erstellte für die University Essex eine Studie zu Frauenarmu­t. „Es hat mich sehr überrascht, dass die Ergebnisse überhaupt in Österreich diskutiert werden“, sagte Gasior, die sich mehr evidenzbas­ierte Politik wünschen würde.

Laut der Studie müsse die Lebensreal­ität von Frauen in den Vordergrun­d rücken. Der Lebensstan­dard von Frauen hänge etwa vor allem davon, wie viel sie zum Haushaltse­inkommen beitragen müssten.

Zudem seien auch Frauen, die erwerbstät­ig sind, sehr oft armutsgefä­hrdet, betont Gasior, bei selbststän­digen erwerbstät­igen Frauen seien es sogar 48 Prozent: „Eine geschlecht­sspezifisc­he Armut lässt sich nicht abstreiten.“Parr wies zudem darauf hin, dass aktuelle Zahlen zur Frauenarmu­t in Österreich im April zu erwarten wären. Sie dürften sich durch die Teuerung verschlech­tert haben.

Erkurt betonte, dass „Bildung allein“nicht die Lösung sei. Familien mit Migrations­geschichte erreichten erst nach fünf Generation­en Chancengle­ichheit. Zudem würden gerade die Eltern mit „Problemsch­ülern“auch noch bestraft, wenn man etwa darüber diskutiere, ihnen Sozialhilf­en zu streichen. Dabei hätten es Migrantinn­en nicht nur am Arbeitsmar­kt schwerer, bei vielen haperte es schon an der Kinderbetr­euung, um einen Deutschkur­s besuchen zu können.

Männer in die Pflicht

Der Ökonom Lorenz wies darauf hin, dass es auch „andere Länder geschafft haben“. Elementar sei die Frage der Kinderbetr­euung, die auch als Bildung für Kinder fungiere. Und es müsse Karenzmode­lle geben, die „Männer in die Pflicht“nehmen.

Neben der Kinderbetr­euung sahen auch alle die Aufwertung der Care-Arbeit und die Schaffung eines „armutsfest­en Sozialstaa­tes“als notwendig. „Aus Caritas-Sicht braucht es deshalb eine Reform der Sozialhilf­e, eine Anhebung der Ausgleichs­zulage auf Höhe der Armutsgefä­hrdungssch­welle sowie eine Reform des Arbeitslos­engeldes unter Beibehaltu­ng der Notstandsh­ilfe“, konkretisi­erte das Tödtling-Musenbichl­er.

Gleich mehrstimmi­g wurde am Ende gegen das Patriarcha­t angesungen. Der Femchor trat als Überraschu­ng auf und begeistert­e die Zuhörenden.

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95.000 Frauen sind in Österreich massiv von Armut betroffen. Um gegenzuste­uern, soll die Initiative #WirTun vorangetri­eben werden.

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