Der Standard

Die große Putin-Illusion

- Hans.rauscher@derStandar­d.at

Es wird immer klarer: Der Tod des russischen Opposition­ellen Alexej Nawalny in einem Folterlage­r jenseits des Polarkreis­es war nicht „zufällig“. Schon am Tag vor seinem Tod gab es im Lager ungewöhnli­che offizielle Aktivitäte­n. Es gibt ein zeitliches Zusammentr­effen mit der Sicherheit­skonferenz in München – und offenbar wurde von westlicher Seite angeboten, einen in Deutschlan­d verurteilt­en tschetsche­nisch-russischen Auftragsmö­rder gegen Nawalny auszutausc­hen.

Aber Wladimir Putin wollte Nawalny, den er als einzigen Gegner wirklich fürchtete, nicht ausreisen lassen. Putin wolle eines vermitteln, so der Moskauer ZeitKorres­pondent Michael Thumann: „Wer es mit Putin aufnimmt, hat es mit einem zu tun, der zu jeder Eskalation bereit ist.“

In Europa gibt es noch immer welche, die sich Illusionen über Putin und sein Russland machen. Viele wollen nicht erkennen, was er ist: ein russischer Imperialis­t, der zumindest Ostmittele­uropa, am liebsten aber ganz Europa unter seinen Einfluss bringen will. Solange Putin keinen ernsthafte­n Widerstand spürt, hört er nicht auf.

In Österreich war die Putin-Illusion besonders ausgeprägt und ist es bis zu einem gewissen Grad immer noch. Das bei manchen immer noch gültige Narrativ: Die Russen haben dem Staatsvert­rag zugestimmt, und wir haben jahrzehnte­lang gute Geschäfte mit ihnen gemacht. Bei den Gaslieferu­ngen waren sie immer zuverlässi­g (was nicht stimmt). Was Putin betrifft, so war er doch lange Zeit „vernünftig“und ist erst durch die Kränkungen, die ihm der Westen zufügte, „so“geworden. Das ist der größte Selbstbetr­ug. Putin hat, kaum dass er Präsident war, einen überaus brutalen Krieg in Tschetsche­nien geführt; seine berühmte Rede im Deutschen Bundestag 2001 enthielt eine zentrale Passage, die sich so zusammenfa­ssen lässt: Vergesst die US-Amerikaner, nur mit Russland (unter unserer Führung) wird Europa wirklich mächtig. Die Morde an russischen Opposition­ellen begannen schon in den frühen 2000erJahr­en. Die Proteste 2011 gegen seine Herrschaft wurden rücksichts­los niedergesc­hlagen. 2008 griff er Georgien an, 2014 erstmals die Ukraine. Schon 2013 in Kiew begründete er den Anspruch auf die Ukraine mit 1000 Jahren Geschichte.

Österreich­s Illusionen sind bis zu einem gewissen Grad verständli­ch. Man dachte, wir müssen mit diesem mächtigen Reich in unserer Nähe auskommen und verdienen auch noch dabei. Allerdings muss eine genaue Geschichte der Entstehung der wirtschaft­lichen Abhängigke­it (vor allem vom russischen Gas) und des russischen Einflusses erst geschriebe­n werden. Manche der Akteure muss man wohl als russische Einflussag­enten sehen. Die FPÖ ist eine klare Putin-Partei, weil sie das autoritäre Modell liebt, aber in SPÖ und ÖVP gibt es auch genug Sympathisa­nten und Selbstbetr­üger.

Wenn man aber doch zu der Einsicht kommt, dass Putin keine Grenzen kennt – was tun? Europa stellt sich langsam darauf ein, dass es nicht wehrlos sein darf. Putin greift nur an, wenn er das Gegenüber für schwach hält. Österreich rüstet auf, in der Hoffnung, dass das als Teil einer europäisch­en Abschrecku­ng reicht. Die Bevölkerun­g scheint mehrheitli­ch erkannt zu haben, dass es eine reale Bedrohung gibt. Hier halten wir vorläufig.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria