Der Standard

Nicht in Sicherheit

Dem U-Ausschuss angeliefer­te Chatnachri­chten geben Einblick in die Korrespond­enzen aktueller und ehemaliger blauer Parteigran­den

- Beate Hausbichle­r, Lara Hagen, Noura Maan

Binnen weniger Tage wurden in Österreich sechs Frauen und Mädchen getötet. Damit kündigt sich schon jetzt an, dass auch 2024 ein Jahr wird, in dem Frauen sterben, weil sie Frauen sind. Meist stehen Täter und Opfer einander sehr nah – gerade deshalb ist die Gewaltspir­ale so schwer zu durchbrech­en.

Einfach mal schreien. Das war das Ziel des von Frauenorga­nisationen ausgerufen­en „Schreitags“am Freitag, um lautstark und in Trauerklei­dung gegen die vielen Femizide in Österreich zu protestier­en. Denn es waren schockiere­nde Fälle von tödlicher Gewalt gegen Frauen, die Österreich binnen kurzer Zeit erschütter­ten. Vor gut einer Woche, Freitagmit­tag, kommt die erste Meldung: In Wien-Erdberg werden eine 51-jährige Frau und ihre 13-jährige Tochter tot aufgefunde­n. Eine Angehörige hatte sich Sorgen um die Mutter gemacht und die Polizei verständig­t. Beamte öffnen die Wohnung in der Erdbergstr­aße und finden die beiden leblos vor, sie wurden erwürgt.

Wenige Stunden später die nächste Nachricht: In Wien-Brigittena­u werden drei Frauen mit Stichverle­tzungen tot aufgefunde­n. Die Berufsrett­ung Wien wird zum Tatort, einem Bordell, gerufen, kann für die Opfer aber nichts mehr tun (siehe Seiten 6 und 7).

Nur drei Tage später die nächste Meldung: Eine 84-Jährige wird in einem Wohnhaus im niederöste­rreichisch­en Eschenau erschossen. Tatverdäch­tig ist ihr Partner, der versucht, Suizid zu begehen. Wenige Tage später stirbt der 93-Jährige. Auch jener Mann, der seine Frau und sein Kind in Wien getötet haben soll, wird tot in Slowenien aufgefunde­n.

Neue Eskalation

Am Donnerstag wurde dann noch publik, dass eine erst Zwölfjähri­ge in Wien von mehreren Teenagern über Monate sexuell missbrauch­t worden sein soll (siehe Seite 14). Das Mädchen lebt. Der Fall schließt eine Woche unfassbare­r Gewalt gegen Frauen ab.

„Die Gewaltspir­ale zu durchbrech­en ist vor allem Männersach­e“, schreibt Sozialmini­ster Johannes Rauch (Grüne) kurz nach den fünf Femiziden am Freitag. Es sei eine „neue schrecklic­he Eskalation der Gewalt an Frauen in Österreich“. Neben Männern nimmt Rauch auch Politiker und Politikeri­nnen in die Pflicht. Sie sollten in ihrer gesamten Arbeit die Situation von Frauen in den Fokus rücken und „damit zum Gewaltschu­tz beitragen“. Zutiefst bestürzt zeigt sich Frauenmini­sterin Susanne Raab (ÖVP), gibt aber zu bedenken, dass „nicht jeder einzelne Fall von Gewalt“verhindert werden könne. Österreich verfüge mittlerwei­le über ein „gut ausgebaute­s Gewaltschu­tzsystem“.

Doch die Zahl der Femizide bleibt in Österreich konstant hoch, was vor allem in Zeiten verdichtet­er tödlicher Gewalt gegen Frauen die Frage aufwirft: Warum greifen bestehende Maßnahmen nicht? Zeugt das davon, dass es womöglich zusätzlich­e und gezieltere Maßnahmen braucht? Denn im Laufe der vergangene­n Tage wurde besonders deutlich, dass sich die tödliche Gewalt sehr unterschei­det – was etwa ihre Form sowie Alter, Herkunft oder soziale Schicht der Opfer und Täter betrifft. Fachleute predigen schon seit Jahren und Jahrzehnte­n, dass Gewalt gegen Frauen ein Problem ist, dass sich in allen sozialen Schichten, Nationen, Familienve­rhältnisse­n und Berufsgrup­pen findet. Die einzig eindeutige Konstante: Männer töten Frauen. Und diese stehen in den meisten Fällen in einem Naheverhäl­tnis zu den Opfern.

Gefahr im privaten Raum

Laut einer Studie des Instituts für Konfliktfo­rschung, in der Femizide in Österreich zwischen 2016 und 2020 untersucht wurden, waren die (Ex-)Partner oder Angehörige in 93 Prozent der Fälle die Täter. „Das gesellscha­ftliche Narrativ geht noch immer von fremden Tätern auf der Straße aus, vor denen sich Frauen und Mädchen schützen müssten“, kritisiert Nicole Krejci, Leiterin des Gewaltschu­tzzentrums in Wien. Die eigentlich­e Gefahr liege im privaten Raum – besonders in diesem Setting sei es aber schwer, sich Hilfe zu holen.

„Den Täter gut zu kennen bedeutet auch, dass es keine Heute-auf-morgen-Situation ist“, sagt Krejci. „Es ist nicht so, dass der Partner bis zum Tag X sehr liebevoll war, und am nächsten Tag gibt es plötzlich eine Gewalteska­lation.“Es handle sich vielmehr um eine Dynamik, die sich steigere. Nach einer Eskalation folgen Entschuldi­gungen und Wiedergutm­achungen – bis sich das Ganze wiederholt. Dazwischen gebe es Phasen der Reue, des Liebevolls­eins, der Bekundung, dass das nicht mehr passieren werde. „Wenn das eine Person ist, die wir lieben, dann wollen wir auch daran glauben.“

Falscher Fokus

Männer könnten das Problem freilich am effiziente­sten bekämpfen: indem sie nicht mehr gewalttäti­g sind. Helfen soll dabei eine verpflicht­ende Gewaltpräv­entionsber­atung im Ausmaß von sechs Stunden. Seit Herbst 2021 müssen Personen, gegen die ein Betretungs­und Annäherung­sverbot ausgesproc­hen wird, diese Maßnahme absolviere­n. In Wien waren es bis dato 9000 Personen, zu 90 Prozent sind es Männer. Mittlerwei­le können auch Richter die Beratung anordnen.

Es kommen Männer, die zu einem sehr großen Teil noch nie eine Beratung irgendeine­r Art in Anspruch genommen haben. „Keine Psychother­apie, keine Paar- oder Männerbera­tung. Für sie ist Gewalt eine Bewältigun­gsstrategi­e. Dass es andere gibt, haben sie nie gelernt“, sagt Thomas Marecek vom Verein Neustart, der in fünf Bundesländ­ern die Beratung durchführt. Der Grund dafür liege wahrschein­lich in falsch verstanden­em Stolz.

Die Zahlen zeigen, wie groß das Problem der Männergewa­lt ist. So wurden österreich­weit 2023 etwas mehr als 15.000 Betretungs­und Annäherung­sverbote ausgesproc­hen. Seit 2020 gibt es eine konstante Steigerung. Angewendet wird die Maßnahme von der Polizei, wenn „gefährlich­er Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit“droht.

Krejci betont, dass das Problem schon vorher beginne. „Wenn Frauen zu uns kommen, fragen sie sich oft, ob das, was ihnen widerfahre­n ist, überhaupt schlimm genug ist, ob das schon Gewalt war. Für viele beginnt die erst beim körperlich­en Übergriff – eigentlich beginnt sie aber schon viel früher.“

Für Aufruhr und Maßnahmen sorgt meistens erst die tödliche Gewalt. So fand am Donnerstag ein Arbeitstre­ffen zwischen den zuständige­n Ministerin­nen und Experten aus Sicherheit, Justiz und Gewaltschu­tz statt. Beschlosse­n wurden zum Teil schon lange, unter anderem vom Rechnungsh­of, geforderte Schritte. Etwa dass es eine noch bessere Koordinier­ung und Vernetzung geben soll.

Aber vor allem bei ÖVP-Ministerin­nen und -Ministern schwingt oft mit, es handle sich um ein importiert­es Problem, dem mit konsequent­en Abschiebun­gen beizukomme­n wäre. Auch am Donnerstag wurde die Causa um den verdächtig­en Asylwerber hervorgeho­ben.

Tatsächlic­h sind ausländisc­he Staatsbürg­er auch in der Femizidstu­die des Instituts für Konfliktfo­rschung als Täter überrepräs­entiert. Obwohl sie im untersucht­en Zeitraum nur etwa 15 Prozent der Bevölkerun­g stellten, sind knapp 30 Prozent der Täter Ausländer. Ein isolierter Blick auf Staatsbürg­erschaft oder Herkunft hilft beim Kampf gegen Gewalt an Frauen allerdings nicht. Vielmehr müsse man sich laut Krejci ansehen, wie die Menschen sozialisie­rt wurden: „Welches Bild herrscht davon vor, wie man mit Frauen oder anderen Personen, die man für unterlegen hält, umgehen soll?“In einigen Herkunftsl­ändern gebe es sehr starke patriarcha­le Strukturen – für Männer wie für Frauen. „Das aber wiederum sagt gar nichts darüber aus, dass wir diese Strukturen in Österreich nicht haben“, sagt Krejci.

Täter-Opfer-Umkehr

Warum schämen sich immer noch so viele für die Gewalt, die ihnen angetan wird? Das liegt auch daran, dass Täter Opfern suggeriere­n: Wenn du anders wärst, müsste ich nicht zur Gewalt greifen. So entsteht beim Opfer der Eindruck, es sei selbst schuld. Betroffene denken, sie hätten keine Unterstütz­ung verdient, sagt Krejci. „Da sind wirkmächti­ge Strategien wie eine Täter-Opfer-Umkehr am Werk, deshalb ist es wichtig, immer wieder zu sagen: Es gibt nie eine Entschuldi­gung für Gewalt. Betroffene sind niemals schuld.“

Den von der ÖVP initiierte­n UAusschuss zum „rot-blauen Machtmissb­rauch“erreichten diese Woche erste Chats des früheren FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache mit seinen damaligen engsten Mitstreite­rn – und aus diesen geht mitunter Brisantes hervor. Darin geht es etwa um Unmut über Identitäre­n-freundlich­e Berichters­tattung in FPÖ-nahen Medien, Inseratenb­oykotts und die Abschaffun­g der GIS-Gebühr des ORF.

Im April 2019 – damals war die FPÖ noch um Abgrenzung von den rechtsextr­emen Identitäre­n bemüht – sorgte etwa ein Jubelberic­ht über die Gruppierun­g auf Unzensurie­rt für Unmut. „Das ist so ärgerlich !!!! Die beschimpfe­n uns und werden dann noch hofiert“, schreibt der damalige Regierungs­koordinato­r Norbert Hofer in einer Chatgruppe unter anderem mit Strache. „Absurd !!!! “, erwiderte dieser. Aber auch über Berichte in Info-Direkt war man teilweise nicht glücklich.

„Vorbestraf­te FPÖ-Hasser“

Info-Direkt „lassen wir jetzt einmal dunsten“, formuliert­e es Generalsek­retär Christian Hafenecker, nachdem Strache angewiesen hatte, dort bis auf weiteres keine Inserate mehr zu schalten. Alle anderen „patriotisc­hen Medien“sollten laut ihm aber „bitte nach wie vor mit Inseraten“betreut werden.

Einige Tage später zeigt sich Strache verärgert – diesmal über Medienmana­ger Wolfgang Fellner. Dieser würde trotz gegenteili­ger Zusagen weiterhin Straches Intimfeind Ewald Stadler zu TV-Diskussion­en „zur FPÖ-Beschimpfu­ng“auf Oe24 einladen. „Und wenn er (Fellner, Anm.) dann wieder vorstellig werden sollte, sollten wir ihm klarmachen, dass wir ihn nicht mit Inseraten füttern, damit er permanent vorbestraf­te FPÖ-Hasser einlädt und gegen uns anschreibt.“„Sehr gut!“, antwortet der damalige Generalsek­retär Harald Vilimsky. Schon wenige Tage später dürften sich die Wogen wieder geglättet haben. „Bitte weiter bei Fellner schalten. Wir haben es geklärt! Er kommt uns entgegen!“, schreibt Strache.

Auch über ein blaues Lieblingst­hema – den ORF und die mittlerwei­le durch eine Haushaltsa­bgabe ersetzte GIS-Gebühr – findet im Jänner 2019 reger Austausch statt. Thema zwischen Strache, Hofer und Vilimsky ist die von ÖVP und FPÖ in Sideletter­n zum Koalitions­pakt vereinbart­e Abschaffun­g der Gebühr.

„Jemanden rausschmei­ßen“

Strache pocht mehrfach darauf, dass die GIS-Gebühr „ohne Hintertür“abgeschaff­t werden müsse. Vilimsky verweist darauf, dass unter anderem die schwarzen Landeshaup­tleute „sehr stark“in der Sache blockieren würden. „Das kann niemand blockieren“, erwidert Hofer und erinnert an den Sideletter.

Auch bereits bekannte Chats finden sich in den Unterlagen wieder – etwa über blaue Personalvo­rstellunge­n im ORF. „Ohne Personelle­s (ORF-Reform) wird trotzdem kein einziger FP-Beitrag objektiver oder freundlich­er werden! Dazu muss wer rausgeschm­issen werden !!!! “, schreibt Strache. Und: „Wrabetz (Alexander, damaliger Generaldir­ektor, Anm.) muss gehen.“Hofer sekundiert und schreibt: „Wrabetz kann nicht bleiben.“

Bald könnten schon weitere Chats an den U-Ausschuss geliefert werden. SPÖ und FPÖ sind nämlich mit ihrem Ansinnen, den U-Ausschuss der ÖVP wegen Rechtswidr­igkeit zu Fall zu bringen, gescheiter­t – und mit ihrem Antrag vor dem Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) abgeblitzt. „Dies zu prüfen kommt dem VfGH nicht zu“, gab das Höchstgeri­cht am Freitag bekannt.

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„Schreitag“auf dem Wiener Minoritenp­latz: Angesichts der vielen Femizide haben am Freitag Demonstran­tinnen vor dem Innenminis­terium ihre Wut lautstark rausgelass­en.

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