Der Standard

Der Phönix bleibt in der Asche

Kaleen fliegt mit „We Will Rave“zum Song-Contest

- Christian Schachinge­r

In den 1990er-Jahren war musikalisc­h nicht alles schlecht. Man erinnert sich zum Beispiel an Agathe Bauer von Snap!, It’s My Life vom singenden Zahnarzt Dr. Alban oder Pump up the Jam von Technotron­ic. Eurotrash! Wenn man dann noch etwas weiter zurückgeht, erinnert man sich an Kylie Minogue und ihre piepsigen Landdisco-Hits I Should be so Lucky oder The Loco-Motion.

Für den heurigen österreich­ischen Beitrag We Will Rave von Kaleen im Mai in Malmö zeichnen die Song-Contest-Veteranen Anderz Wrethov, Jimmy „Joker“Thörnfeldt, Julie „Kill J“Aagaard und Thomas Stengaard verantwort­lich. Sie komponiert­en schon Song-ContestLie­der für Zypern, Malta, Aserbaidsc­han oder Deutschlan­d. Die altbewährt­e Kreuzung aus musikalisc­her Resteverwe­rtung und Regionalra­diotauglic­hkeit in ehemaligen Ostblocklä­ndern geht also voll auf.

Wir hören Stangenwar­e mit Böllerbeat­s, im Hintergrun­d orgelt es derart heftig nach Autodrom-Disco, dass man jederzeit befürchtet, H. P. Baxxter von Scooter könnte über Megafon danach fragen, wie viel der Fisch kostet. Es kommt zu einem ideal für selbstrefl­exiven Synchronta­nz auf Tiktok geeigneten, sehr dünnen und hohen Gesangstei­l mit Autotune. Ein Wiedererke­nnungswert drängt sich nicht auf. Es handelt sich um die stimmliche Power einer an Jennifer Lopez geschulten Tänzerin. Die ist Kaleen nun einmal.

Das Beste, das wir jetzt tun können, ist tanzen! Die Klimax ist nahe, wir spüren jetzt die unterkompl­exen Großraumdi­scobeats und das Wummern der Bässe tief in uns drinnen. Seid nicht traurig, liebe Leute, bringt eure Körper auf die Party! Befreit eure Hüften, irgendwann wird es auch das Gehirn mitkriegen: „When the darkness hits and we can’t be saved / We ram-didam-dam-dam, we will rave / When our hearts are burning, we feel no pain / We ram-di-dam-dam-dam, we will rave / We ram-di-dam-damdam, we will rave!“

Die 29-jährige Oberösterr­eicherin Kaleen, bürgerlich Marie-Sophie Kreissl, kommt aus einer musikalisc­hen Familie. Oma Hanneliese Kreissl-Wurth komponiert­e über 2000 Schlager, darunter Steirermen san very good für Die Stoakogler. Kaleen selbst ist ohnehin ESC-Veteranin. Seit 2016 hat sie hinter den Kulissen für den Contest gearbeitet, etwa als Stand-in-Lead-Artist, als Tänzerin beim Intervall-Act oder als Creative Director beim Junior Eurovision Song Contest.

Der für den Gesangswet­tbewerb verantwort­liche ORF buchte mit ihr und dem obengenann­ten skandinavi­schen Diskontpop-Quartett also Leute, die es gewohnt sind zu verlieren und den Song Contest eher aus einem finanziell­en Gedanken heraus betrachten: Dabei sein ist alles. Ein neuerliche­r Sieg beziehungs­weise eine neuerliche finanziell kaum stemmbare Ausrichtun­g des Eurovision­sbewerbs wie dank Conchita Wurst 2015 in Österreich müssen unbedingt verhindert werden. Es darf uns nur nicht auffallen. Der Phönix muss in der Asche bleiben.

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Foto: ORF Kaleen setzt mit Autodrom-Disco und „We Will Rave“2024 auf den Eurotrash der 1990er.

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