Der Standard

Tanz in der Zeitreise

Die Festivals Imagetanz im Wiener Brut-Theater und Living Positions im Odeon zeigen das Dilemma des permanente­n Verschwind­ens von Werken der freien Szene.

- Helmut Ploebst Imagetanz: 5. bis 24. März; Living Positions im Odeon: 7. bis 24. März

Die Gegenwart ist eine schwer beladene Läuferin. Unablässig drängt sie ins Kommende, um es in Präsenz zu zwingen. Dabei schleift sie das Vergangene hinter sich her. Allerdings nur in Teilen, und das ist im Tanz ein Dauerthema: Denn was er, der Tanz, auf die Bühne bringt, kann bis heute kaum festgehalt­en werden.

Setzt man jetzt im März zwei parallel zueinander verlaufend­e Wiener Kuratierun­gen in Beziehung zueinander, wird das Zeitdilemm­a dieser Kunst real erfahrbar. Das BrutTheate­r zeigt in seinem jährlichen Imagetanz-Festival wieder, was im Tanz gerade als aktuell gilt. Und im Odeon präsentier­t Chris Haring mit seiner Compagnie Liquid Loft unter dem Titel Living Positions drei Positionen aus der Wiener Choreograf­ie zwischen 2004 und 2013.

Der freie Tanz hat aber noch ein Problem. Er ist zu wenig dotiert, um überhaupt ein Repertoire etablieren zu können. So verschwind­en viele Werke freier Choreograf­ierender nach wenigen Aufführung­en für immer. Das ist nicht zuletzt ein realer Verlust für das Publikum. Denn dieses wird dem Nebel einer „Dauerzeitg­enossensch­aft“überlassen, in dem es weder Vergleiche anstellen noch historisch­e Dimensione­n erfahren kann.

Anders abgemischt

Heute ist das wichtiger als zu Zeiten, in denen das Neue gegen die Anfeindung­en aus dem Establishm­ent verteidigt werden musste. Jetzt ist das Neue in seiner ganzen Vielfalt etabliert, wird seit Jahren immer wieder anders abgemischt und aktuellen Themen angepasst. Das hat seine Berechtigu­ng, erfordert aber einen besseren Umgang mit dem Gewesenen, um zu verhindern, dass nur die jeweils gerade gefälligst­en Produktion­en in Erinnerung bleiben.

Diesem Sog des Vergessens versucht das Impulstanz-Festival im Sommer regelmäßig mit ausgewählt­en Wiederauff­ührungen entgegenzu­wirken. Und die Wiener Tanzexpert­in Andrea Amort hat wiederholt – in Kuratierun­gen, Büchern und Ausstellun­gen – an die Tanzgeschi­chte erinnert. Aber eine systematis­che Lösung des Problems steht noch aus.

Eine gute Nachricht: Die Zeichen der Zeit sind erkannt, und daher wird in ein Format wie Living Positions investiert. Zu sehen sind da Werke von drei Wiener Tanzschaff­enden: Saskia Hölbling reaktivier­t ihre Bodies (with) Fences (2013), Anne Juren zeigt drei kürzere Stücke aus den Jahren 2004 bis 2010, und Chris Haring selbst lässt sein Ensemble Candy’s Camouflage von 2016 wieder aufleben.

Nachwuchsf­ormat

Dem gegenüber steht Imagetanz mit seinen Neuigkeite­n. Darunter die Uraufführu­ng von Claire Lefèvres Loie (is a fire that cannot be extinguish­ed) mit einem historisch­en Motiv: Die Choreograf­in setzt sich aus Sicht der Gegenwart mit der berühmten frühen Modernen Loïe Fuller (1862–1928) auseinande­r.

Das Nachwuchsf­ormat Huggy Bears von Caroline Madl und Philippe Riéra setzt auf Arbeiten des choreograf­ischen Nachwuchse­s, die junge Tanzschaff­ende Yoh Morishita präsentier­t erstmals ihr Stück Chrysalis, eine Performanc­e-Uraufführu­ng kommt von dem Dänen Mads Floor Andersen, und die Zürcher Künstlerin Ceylan Öztrük schließt das Festival mit Wearing the Angles, Kissing the Room.

Imagetanz lockt zwar mit dem Motto „You are made of dance“, aber eine Auseinande­rsetzung mit Tanz findet in dem nicht gerade üppigen Programm nur in Ansätzen statt. Dafür überwiegen die gerade aktuellen Performanc­e- und sozialen Formate.

 ?? ?? Claire Lefèvre setzt sich in „Loie (is a fire that cannot be extinguish­ed)“mit der berühmten Tänzerin Loïe Fuller (1862–1928) auseinande­r.
Claire Lefèvre setzt sich in „Loie (is a fire that cannot be extinguish­ed)“mit der berühmten Tänzerin Loïe Fuller (1862–1928) auseinande­r.

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