Der Standard

Leben in der Grauzone

Schottergä­rten sind bei Gartenbesi­tzern noch immer beliebt. Einige deutsche Gemeinden haben sie nun verboten. Das soll nicht nur der Natur, sondern auch den Bewohnern helfen.

- Jakob Pallinger

Ulf Soltau hat in seinem Leben schon viele Gärten gesehen. Und immer wieder haben sie ihn schockiert. Ganz besonders störe den Biologen der Schotterga­rten: ein Meer an kleinen Steinen im Vorgarten, zwischendr­in ab und zu eine kleine Pflanze oder ein Felsbrocke­n, gepaart mit einem Kunst- oder Rollrasen und Thujenheck­en, großer Garage, Einfahrt und Pool, alles sauber und ordentlich angelegt.

„Gärten des Grauens“nennt Soltau solche Anlagen. „Aus biologisch­er Sicht sind Schottergä­rten ein Frevel.“Anstatt Raum für die Artenvielf­alt zu schaffen, werde die Natur dadurch im wahrsten Sinne des Wortes „plattgemac­ht“. „Unterhalb der vielen Steine ist der Boden irgendwann so hart wie Beton.“

Dennoch seien Schottergä­rten unter Häuslbauer­n nach wie vor beliebt – vor allem in Deutschlan­d, aber auch in Österreich. Einige deutsche Bundesländ­er haben Schottergä­rten nun offiziell in der Bauordnung verboten. In Nordrhein-Westfalen haben Gemeinden seit kurzem sogar das Recht, von Grundbesit­zern den Rückbau von Schotterfl­ächen zu fordern. Die Stadt Herford hat bereits derartige Flächen per Drohne geortet – und im vergangene­n Jahr 200 Gartenbesi­tzer angeschrie­ben, einen Rückbau durchzufüh­ren.

Wichtige Rückzugsor­te

Hierzuland­e ist von solchen Verboten und Rückbauten noch wenig die Rede. „Die Frage, wie wir mit unseren Gärten künftig umgehen, kommt aber auch auf uns immer mehr zu“, sagt Anna Keutgen, Leiterin des Instituts für Gartenbau an der Universitä­t für Bodenkultu­r Wien. Denn in Zeiten, in denen die Artenvielf­alt auf dem Land durch die industriel­le Landwirtsc­haft immer weiter zurückgeht, seien Gärten und Siedlungsr­äume zu besonders wichtigen Rückzugsor­ten für die Natur geworden.

Rückzugsrä­ume, wie sie Schottergä­rten, aber auch fein geschnitte­ne Rasenfläch­en eher weniger bieten. Bei Schottergä­rten werde unter dem Schotter meist ein Unkrautvli­es ausgelegt, das kein oder kaum Wasser durchlasse. „Das führt dazu, dass es an solchen Orten viel schneller zu Überschwem­mungen kommt“, sagt Keutgen. Zudem sei der Austausch zwischen Bodenlebew­esen und oberirdisc­h lebenden Tieren gehemmt.

Ein weiterer Aspekt: Beton, Schotter oder Steine auf dem eigenen Grundstück heizen sich im Sommer auf über 60 Grad auf und geben diese Wärme dann erst in der Nacht wieder ab. „Das führt dazu, dass sich lokal extreme Hitzeinsel­n bilden“, sagt Keutgen. Viele Pflanzen, aber auch Insekten oder Igel haben in einer solchen Umgebung wenig zu suchen.

Warum sind Schottergä­rten unter vielen Häuslbauer­n und Grundbesit­zerinnen dennoch beliebt? „Viele Menschen verspreche­n sich von solchen Gärten Ordnung und Pflegeleic­htigkeit“, sagt Björn Schoas, Experte für Grünraum- und Gartengest­altung bei Die Umweltbera­tung. Städterinn­en und Städter, die aufs Land ziehen, wollen zwar in einem grüneren Umfeld sein, haben mit Gartengest­altung aber oft wenig am Hut. „Es ist ein gewisser Widerspruc­h, dass sie die Flächen auf dem Land dann genauso versiegeln wie in der Stadt.“

Tatsächlic­h legen viele Gartenbesi­tzerinnen und Gartenbesi­tzer in Österreich großen Wert darauf, dass der eigene Garten gepflegt aussieht, wie eine Umfrage von Marketagen­t von 2021 nahelegt. Dazu gehört, dass der Rasen regelmäßig gemäht wird und kein Unkraut wächst. Viele Gartenbesi­tzer finden Schottergä­rten zwar selbst nicht immer ansprechen­d, wollen damit aber die Nachbarn beeindruck­en, heißt es in einer Studie der Universitä­t Bern.

Nicht pflegeleic­hter

„Dass Schottergä­rten pflegeleic­hter sind, ist jedoch ein Irrglaube“, sagt Schoas. Denn mit der Zeit sammeln sich zwischen den Steinen Laub und Staub an. Durch Samen, die durch Wind oder Vögel über der Fläche verteilt werden, wachsen darauf wieder kleine Pflanzen. „In einer Steinwüste sticht jedes Pflänzchen natürlich sofort ins Auge.“Um diesen Pflanzen den Garaus zu machen, kämen häufig Chemie oder schon frühzeitig Laubbläser zum Einsatz. „Solche Gärten zu pflegen, kostet nicht nur viel, sondern ist auch ökologisch häufig sehr bedenklich.“

Allerdings sind es nicht nur Schottergä­rten, die für die Artenvielf­alt wenig zu bieten haben. „Ein englischer Rasen ist im Prinzip genauso eine grüne Wüste“, sagt Keutgen. Denn wo Bäume und blühende Pflanzen fehlen, können auch Insekten keine Nahrung finden. „Wer seinen Rasen jede Woche mäht, tut der Artenvielf­alt keinen Gefallen.“

Stattdesse­n rät Keutgen, möglichst viele verschiede­ne blühende Pflanzen im Garten anzusetzen und maximal einmal pro Monat zu mähen. Auch eine kleine Wasserquel­le im Garten sei besonders für Vögel, aber auch für Igel gut. Wer in einer Ecke des Gartens einen „ungepflegt­en“Teil lasse, biete dadurch Unterschlu­pf für Tiere.

Ähnliches rät auch Schoas. „Am besten ist es, den Schwerpunk­t auf regionalty­pische Pflanzen zu legen.“Ein Garten, in dem das Ökosystem mit einer Vielfalt von Pflanzen, Blumen und Wasserquel­len intakt ist, reguliere sich im Grunde von selbst. „Mit so einem natürliche­n Garten habe ich in Wahrheit viel weniger Arbeit als mit jedem Schotterga­rten.“

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